Eine Skizze
Woran müssen Sie denken, wenn Sie ein wohnliches Haus bauen möchten? Vielleicht schauen Sie sich zunächst die Umgebung an, zum Beispiel ob die Nachbarschaft einen angenehmen Eindruck macht oder ob es Grünflächen in der Nähe gibt. Sie prüfen das Baugrundstück und nehmen sich vor, das dort Vorhandene optimal zu nutzen. Sie schaffen eine nach Süden ausgerichtete Freifläche und geben ihr eine ansprechende Form. Das Gebäude soll das Tageslicht sanft aufnehmen und in unterschiedlichem Ausmaß Intimität bieten. Gemeinsam zu nutzende Flächen gehören in die Mitte, direkt auf dem Weg ins Haus hinein, gehören in die Nähe einer Küche und des Ausgangs zum Garten. Und so weiter.
All dies mag trivial erscheinen, ist es aber nicht. Es gibt tausend mögliche Fehler — und nur einige wenige Möglichkeiten, es richtig zu machen. Sie hängen von der Situation ab, von Ressourcen und Zielen. Wie wäre es, wenn wir eine Art Werkzeugkasten hätten, der es uns ermöglicht, in einem bestimmten Bereich, etwa der Architektur, zielführende Lösungen zu erkennen und zu kombinieren? Das ist die Idee, die Christopher Alexander als »patterns« (engl.) in die Architektur eingeführt hat (Alexander 1977).1
Damit soll ein Bereich der Realität mittels einer begrenzten Zahl von Grund-mustern beschrieben werden können. Diese Grundmuster setzen Verbundenheit zwischen den Elementen einer »lebenden« Realität voraus. Zusammengefasst behauptet Alexander, dass »gute« Architektur hauptsächlich deswegen funktioniert, weil sie die richtigen Problemlösungen erkennt. Richtig in diesem Sinn ist das, was mit verschiedensten Bedürfnissen und Anforderungen nicht nur harmoniert, sondern selber menschliches Wohlbefinden und Nachhaltigkeit erzeugt. Diese Lösungen können als Grundmuster beschrieben werden, die ein Entwurfsprozess erkennt und nachvollzieht, wobei sowohl die individuelle Ausgestaltung als auch die richtige Kombination der Muster große Freiheitsgrade bieten.
Dementsprechend kann ein Grundmuster definiert werden als bewährte Lösung für ein immer wiederkehrendes Problem. Diese Lösung kann benannt, analysiert und reproduziert werden. Fast alles kann ein Grundmuster sein, von physischen Strukturen bis hin zu Denk- und Verhaltensweisen. Idealerweise ergänzen und verstärken sich Grundmuster gegenseitig auf effiziente und kreative Weise und ermöglichen es so einander, zu funktionieren. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, weil die Teile schon immer aufs Ganze bezogen sind. Daher ist eine »Sprache« der Grundmuster erforderlich, um die mannigfachen Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen offenzulegen. Wenn Nicht-Experten die »Grammatik« einer solchen Sprache verstehen, können sie sich schnell grundlegende Kompetenzen in einem bestimmten Bereich aneignen, Gestaltung und Entwicklung eines Prozesses verstehen und sich daran beteiligen. Grundmuster sind demnach die beste Möglichkeit, um Erfahrung zu verdichten und Menschen in die Lage zu versetzen, über theoretische Betrachtungen hinaus in praktischen Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Alexander entwickelte eine solche Sprache mit 253 Grundmustern verschiedenster Größenordnung, die er mitunter auch gegen den heutigen Status quo einklagt. Sie reichen von der »Organisierung des Planeten als Gemeinwesen unabhängiger Regionen« bis hin zur »Verwendung von Gegenständen aus Ihrem Leben anstelle von unauthentischem Dekor für die Innenraumgestaltung«. Alex-anders Grundmuster sind von einer riesigen Vielfalt an Einflüssen und wechselseitigen Abhängigkeiten im jeweiligen Gegenstandsbereich — Städten, Gebäuden und Anlagen — geprägt. Seine Methode, Komponenten anhand ihrer sich gegenseitig verstärkenden und das Leben aufbauenden Beziehungen zu identifizieren, ist in viele verschiedene Bereiche erfolgreich übertragen worden, etwa in die objektorientierte Programmierung2, die Pädagogik und das politische Engagement. Weitere Übertragungen dieses Konzepts scheinen bevorzustehen. Manche Menschen behaupten, dass dieser Prozess Vorbote einer wissenschaftlichen Revolution ist, die die Unzulänglichkeiten analytischer und isolierender Methoden, die seit René Descartes die Wissenschaft bestimmen, auf höherer Stufe durch ein »Wiederzusammenführen« aufhebt. Eine solche Wissenschaft würde zusammenhängende Perspektiven auf einen Sachbereich erlauben und den eigenartigen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis überwinden.
In seinen späteren Arbeiten ging Alexander über die Architektur hinaus und begann zu analysieren, was sich hinter Grundmustern im Allgemeinen verbirgt. Sehr grob ausgedrückt könnte man sagen, dass es universelle Lebensgesetze sind, die sich in diesen Mustern immer wieder auffinden lassen. Oder, ein wenig genauer: Grundmuster sind die Eigenschaften von Strukturen, die die Beständigkeit und die Wechselwirkungen von verschiedenen Arten dessen, was wir »Energien« und »Potentiale« nennen würden, erleichtern. Grundmuster sind wie Behälter für komplexe, lebendige Prozesse, deren Energien zu »Ganzheit«, »Proportion«, »Synergie« und »Schönheit« führen.3 Sie sind die verdichtete Erfahrung vieler erfolgreicher Schöpfungen, sind intuitiv erkennbar und sprechen uns mittels einer »Qualität ohne Namen« an. Sie verlangen nach Visualisierung, nicht nur nach sequentieller Beschreibung.
Die von Alexander beeinflussten Denkschulen sprechen daneben häufig auch von »Anti-Mustern«. Dabei handelt es sich um gesellschaftliche Praktiken, die Vitalität und Nachhaltigkeit mindern. Der Geniekult in der gegenwärtigen Architektur beispielsweise führt häufig zu Gebäuden, die wenig wohnlich sind. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Präsenz der Grundmuster keinesfalls selbstverständlich ist, denn sie werden häufig nicht nur ignoriert, sondern oft genug bewusst unterdrückt.
Ich glaube, dass Muster ein zentrales Thema sein sollten für Menschen, die sich für Commons interessieren, und zwar vor allem aus drei Gründen:
- Grundmuster sind ein gemeinsamer Nenner für soziale und kulturelle Praktiken aller Art, die uns ermöglichen, unsere Welt bewusst zu gestalten. Sie kennzeichnen jenes Wissen, das zu einer reichhaltigen, vitalen und nachhaltigen Realität führt. Sie erlauben uns, das zu generalisieren, was funktioniert. Sie sind daher vielleicht der am stärksten verdichtete Ausdruck der Wissens-Commons. Commoning von Grundmustern ist daher in vielen Berufen, Handwerken und Disziplinen eine althergebrachte Tradition. Wo auch immer Grundmuster respektiert werden, steht dahinter auch ein spezifischer sozialer Prozess ihrer Pflege und Vermittlung.
- In einer Zeit, in der alles mühelos maschinell und automatisiert produziert werden kann, verlagert das Kapital seine Verfahren, für Wachstum zu sorgen, weg von traditionellen Wegen (Produktion) hin zu nichts weniger als »feudalen Methoden«: In einer Zeit immenser Wertminderung von Produkten durch die Automatisierung kann wirtschaftlicher Erfolg eher dadurch erzielt werden, dass man Eigentumsrechte an erfolgreichen Grundmustern geltend macht; dies gewährt einem die Möglichkeit, andere zu besteuern, wenn sie in ihrer Arbeit ein bestimmtes Grundmuster verwenden (müssen). So bewegen sich Arbeit und Kapital allmählich auseinander; eine lange währende Ehe geht auf ihr Ende zu. Grundmuster der Produktion und der Produkte sind daher die strategischen Knotenpunkte, die die Privatmacht des Geldes nutzt, um ihre (lukrativen) Fallen zu etablieren: etwa Aktivitäten von Wettbewerbern zu behindern und zu verbieten — oder diese auszubeuten, indem die Wettbewerber zum Erwerb von Lizenzen gezwungen werden. Man denke auch an die Biopiraterie oder Bioprospektion zum Zwecke der Kommerzialisierung indigenen Wissens. Oder an die explosive Ausdehnung von Patenten in allen Technologiebereichen. Die heutige Wirtschaft kann man als ein großes Commons-Verhinderungs-Projekt denken, da es nichts weniger einhegt als die Essenz der freien, autonomen Arbeit: nämlich Wissen, Erfahrung und Verfahren, die in allen beruflichen Bereichen erforderlich sind. Dieses Einhegen nimmt in dem Maß zu, in dem Netzwerke und neue Technologien es zunehmend ermöglichen, in größerem Maßstab Wissen zu teilen und in viel kleinerem Maßstab Produktion zu betreiben — eine tödliche Gefahr für das Kapital, das genau das Gegenteil tun muss: Produktion aufblähen und Wissenstransfer minimieren.
- Auch die Praktik des Commoning selbst könnte als Satz miteinander zusammenhängender Grundmuster aufgefasst werden. Das ist sogar dringend notwendig: Commoning kann nicht von einem einzelnen Ansatzpunkt oder Axiom abgeleitet werden. Vielmehr ist es das Produkt einer großen Vielzahl von Praktiken, die viele verschiedene Formen annehmen können, je nach der Natur der kollektiven Ressource, auf der es aufbaut, sowie vieler weiterer Faktoren. Daher könnte eine »Sprache der Grundmuster des Commoning« eine Möglichkeit sein, Dogmatismus und Spaltungen in der Commons-Bewegung zu verhindern und Einheit in der Vielfalt anzuerkennen.
Das Commoning von Mustern
Grundmuster sind mehr als Schnipsel irgendeines kulturellen Erbes; sie sind ihrem Wesen nach universeller. Ihre Essenz liegt jenseits von kultureller Identität und Tradition, auch wenn Tradition und Kultur die fruchtbarsten Möglichkeiten bieten, Grundmuster zu entdecken und am Leben zu erhalten. Idealerweise besteht eine Grundmuster-Gemeinschaft aus Menschen, deren Wurzeln in kulturellen Traditionen liegen und die dennoch auf globale Kooperation hin orientiert sind. Demnach lautet die essenzielle Frage: Wo gibt es Gruppen von Menschen oder Gemeinschaften, die effektiv eine geteilte Ressource pflegen und ein ganzes Umfeld, Verhaltensweisen, Institutionen etc. gestalten können?
Wir können die entstehenden »Grundmuster-Gemeinschaften« mit der traditionellen »wissenschaftlichen Gemeinschaft« vergleichen. Obwohl deren Ansatz universell ist, distanziert sie sich zumeist von den Fragen der praktischen Anwendungen von Wissen. Es gibt viele Arten, über praktische Anwendungen und Auswirkungen zu reflektieren — etwa durch Technologiebewertung —, aber die Wissenschaft behandelt ihre Objekte im Allgemeinen einzeln und »neutral« und reflektiert häufig erst im Nachhinein über die Praxis.* Grundmuster-Gemeinschaften hingegen versuchen fortwährend über die Wertigkeit, die Wirkung und das Zusammenspiel der Gegenstände ihres Tuns zu reflektieren. Analogien sind in alten Handwerksgilden oder Ingenieurvereinigungen zu finden. Solche Netzwerke mit freiwilliger oder obligatorischer Mitgliedschaft waren allerdings häufig vom Wettbewerb innerhalb des Berufsstandes oder von politischen Machtspielen überschattet. Wissen wurde Nicht-Mitgliedern oft vorenthalten. Nach unserer Vorstellung handelt es sich bei Grundmuster-Gemeinschaften im eigentlichen Sinne um selbstorganisierte Gesellschaften des Lernens, des Wissens und der Selbstbestimmung. Sie könnten sogar von Nicht-Experten geleitet werden, was auf der grundsätzlich demokratischen Idee fußt, dass das moderne Individuum nicht an spezifische Rollen im Rahmen der Arbeitsteilung gebunden sein soll.
* Es gibt neue Ansätze, etwa »transdisziplinäre Forschung«, die sich dieses Dilemmas bewusst sind. Es mangelt ihnen jedoch häufig an einer klaren Methodologie, mit der eine Vielzahl an Perspektiven mit einbezogen werden kann. Mustersprachen organisieren das theoretische Feld — quer zu den Grenzen von Disziplinen —, indem sie (nahezu) alles aufnehmen können, was in der untersuchten Realität miteinander koexistiert und aufeinander wirkt. Interessanterweise hat Alexander seine Architektur- und Planungsgrundmuster mit vielen kulturellen, politischen und soziologischen Grundmustern vermischt, wobei er die Bedürfnisse und Wünsche von Menschen im Laufe ihres Lebens etc. ausdrückt — einfach dadurch, dass er realisierte, dass es Zweck der Architektur ist, menschliche Bedürfnisse zu erfüllen, und dass die soziale Realität immer intensiv mit der räumlichen Realität zusammenspielt. Daher erlauben Grundmuster-Gemeinschaften nicht nur das Einbeziehen praktischer Perspektiven — sie leben davon.
Ein gutes Beispiel, das alle Voraussetzungen einer Grundmuster-Gemeinschaft erfüllt, scheinen mir die Gemeinschaften rund um PloP, der Pattern Languages of Programs, oder der objektorientierten Programmierung zu sein. In den Worten von Brad Appleton, Mitbegründer der Chicago Patterns Group: »Die Bildung einer gemeinsamen Sprache der Grundmuster, um die Strukturen und Mechanismen unserer Architekturen zu vermitteln, ermöglicht es uns, verständlich zu argumentieren. Der primäre Fokus liegt nicht so sehr auf der Technologie als vielmehr auf der Schaffung einer Kultur, um solide technische Planung, Architektur und Design zu dokumentieren und zu unterstützen.«4
Die Ambitionen von Grundmuster-Gemeinschaften sind enorm. Der Erhalt des gemeinsamen gesammelten Wissens, das Herauskristallisieren und Identifizieren derjenigen Grundmuster mit dem höchsten Potential, ihre Präsentation auf intuitive Art und Weise — all dies wird nur dann existieren, wenn das soziale Interesse an der Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen sich erfolgreich selbst organisieren kann. Daher müssen wir uns fragen: Was ist die soziale Grundlage eines erfolgreichen Commoning von Grundmustern? Welche Art Lebensstil und welche Art wirtschaftlicher Logik können dauerhaften Wissensaustausch, großzügiges Teilen und die kollektive Weiterentwicklung und Abstrahierung guter Lösungen hervorbringen? Umgekehrt: Welcher Lebensstil und welche ökonomische Logik können Grundmustern der Trennung, der Monopolisierung von Wissen und des rücksichtslosen Missbrauchs von Unwissen entgegentreten bzw. sie verhindern?
Die Antwort könnte vielfältig und mehrdeutig sein. Commoning kann den praktischen Bedürfnissen von Einzelpersonen und Unternehmen dienen, die finanziell zu »schwach« sind, um im Bereich des geistigen Eigentums im Wettbewerb zu bestehen oder dort Handel zu treiben. Es ist in den Praktiken derjenigen zu finden, die nach Autonomie und gemeinschaftsbasierter Produktion streben, wie auch in traditionellen Institutionen, die ursprünglich im Rahmen von Nationalstaaten existierten und mittlerweile anerkennen, dass ein globales Bildungs Commons ihren Zwecken dient, sowie in internationalen Organisationen, Berufsverbänden, Genossenschaften, Lehrkräftevereinigungen usw.
Keimzellen von Grundmuster-Gemeinschaften entstehen in vielen verschiedenen Bereichen unter anderem im Herzen der Wissenschaft. Während sich beispielsweise viele Universitäten auf die Sammlung von Patenten konzentrieren, beginnen andere, den Wert großzügigen Teilens und der Kooperation wiederzuentdecken und bilden sogar transdisziplinäre Gemeinschaften im Umfeld von Grundmustersammlungen bzw. -archiven.5 Sie verstehen, dass sich das Wissen am besten entwickeln wird, wenn es geteilt und erweitert werden kann und wenn es offenliegt.
Die Muster des Commoning
Wir können sicher davon ausgehen, dass Grundmuster in jedwedem Bereich idealerweise als Commons organisiert sein sollen. Können wir aber auch behaupten, dass die Commons selbst ein Satz Grundmuster sind? Können wir damit erfolgreiche Praktiken identifizieren, die Commons ausmachen und sie aufblühen lassen?
Ein erstes Grundmuster des Commoning haben wir gerade kennengelernt: Es ist das Grundmuster passiver Kompetenz6, das reflexiv das Teilen von Wissen mit »Nicht-Experten« und Außenstehenden bevorzugt. Man könnte den Eindruck haben, dass dieses Grundmuster nur auf Wissens-Commons anwendbar ist. Wenn wir aber genauer hinsehen, fangen wir an zu verstehen, dass passive Kompetenz auch für materielle Commons lebensnotwendig ist. Kein Commons kann ohne weit verbreitetes Wissen über seine Natur und ohne die weit verbreitete Akzeptanz und den Respekt für die Gruppen, Institutionen und Arrangements zu seiner Pflege existieren. In Österreich haben wir ein sehr gutes öffentliches Wasserversorgungssystem, das das Wasser von den Bergen mehr als 200 Kilometer weit nach Wien leitet. Ich sehe darin gewaltige Commons, nicht nur eine öffentliche Institution. (Ganze Familien und Gemeinden widmen sich seit Generationen diesem Thema.) Es werden zum Beispiel viele Bildungsrundfahrten durchgeführt, die das Bewusstsein der Menschen über den Weg des Wassers, den hohen Wartungsbedarf und die Perioden der Knappheit und des Überflusses, die wir teilweise, aber niemals vollständig ausgleichen können, wecken.
Wenn es umgekehrt Experten und Wartungsfachleute braucht, um ein Commons zu steuern und zu schützen, stellt sich die Frage, wie sie sich selbst organisieren und Akzeptanz in ihrem Umfeld erlangen. Es gibt auch hier Grundmuster, die nur darauf warten, besser herausgearbeitet zu werden. Wir haben gehört, dass Commons unter anderem auf Sozialchartas beruhen.7 Diese Chartas sind aber möglicherweise nicht das Grundlegendste, was ein Commons zusammenhält. Andreas Weber beispielsweise schreibt in seinem Beitrag über das natürliche oder »biologische« Paradigma eines sich immer weiter vertiefenden Prozesses der Exploration, in dem Individuen ihre Rollen und Nischen in einem System gegenseitiger Abhängigkeiten entdecken. Rob Hopkins, der Mitbegründer der Transition-Bewegung und ebenfalls Mitautor dieses Buches, strebt an, strenge Grundsatzdokumente zugunsten von Grundmuster-Sprachen aufzugeben, als »Experimentierfeld« für auf Erfahrung aufbauendes Experimentieren und Entwicklung. Dies begründet er folgendermaßen: »Der von uns angestrebte Wandel oder die Transition-Bewegung hat eine Reihe von Eigenschaften u.a.:
- Verbreitet er sich wie ein Virus und taucht an Orten auf, an denen man ihn am wenigsten erwartet.
- Open Source: Transition ist ein Organisationsmodell, das Menschen gestalten, sich zu eigen machen und zugleich anderen zur freien Verfügung stellen.
- Selbstorganisierend: Die Bewegung wird nicht zentral kontrolliert, sondern ist etwas, das die Menschen sich aneignen.
- Lösungsorientiert: Die Transition-Bewegung betreibt keine Kampagnen gegen etwas, sondern steckt die positive Vision einer Welt ab, die ihre Grenzen akzeptiert hat.
- Iterativ: Die Bewegung lernt kontinuierlich aus ihren Erfolgen und Fehlern, um herauszufinden, was funktioniert und was nicht. Sie definiert sich immer wieder neu.
- Klärend: Der Wandel bietet eine klare, auf den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Erklärung darüber an, wo die Menschheit steht.
- Sensibel hinsichtlich Ort und Maßstab: Der Wandel sieht anders aus, je nachdem, wo er stattfindet.
- Historisch: Er versucht, einen Sinn dafür zu entwickeln, dass es eine historische Gelegenheit gibt, etwas Außergewöhnliches zu tun — und, vielleicht das Wichtigste:
- Mit Freude: Wenn es keinen Spaß macht, dann machst du es nicht richtig.
- Jede Grundmuster-Sprache, die für die Kommunikation von Wandel angelegt ist, muss daher in der Lage sein, diese Eigenschaften zu verkörpern.«8
Hopkins beschreibt im Folgenden einige sehr interessante Grundmuster. Grundmuster wie »Umgang mit Trauer«, »konstruktive Kritik« und »Höflichkeit« sollen Gefühle der eigenen Überlegenheit überwinden und effektive Kommunikation zwischen der Kerngruppe von Erneuerern und der Außenwelt etablieren. Grundmuster wie »kritisches Denken« und »beständiges Messen und Überprüfen« bilden einen Ausgleich zu »Visionen entwickeln« und »Künste und Kreativität«. Es gibt aber auch Grundmuster wie das »Kuchen backen«, die dazu dienen, Energien des Feierns innerhalb der Bewegung aufzugreifen.
Die Idee, dass Grundmuster-Sprachen selbst sich als unabdingbares Instrument oder als Grundmuster des Commoning erweisen könnten, scheint mir nicht allzu spekulativ. Das handlungsleitende Wissen wird dadurch in eine Form gebracht, die es Kollektiven ermöglicht, sich zu entfalten, ins Gleichgewicht zu kommen, Erfahrungen nachzuzeichnen und wertzuschätzen sowie in einer gegebenen Situation die beste Lösung zu synthetisieren.
Das Narrativ, das mich in diesem Zusammenhang am stärksten beeindruckt — und das sehr viel über die Abgrenzung zwischen dem »Öffentlichen« und »Commons« aussagt — ist das des Medizinrads der amerikanischen Ureinwohner. Natürlich handelt es sich dabei nicht um ein einziges Narrativ, sondern um ein vielstimmiges, das von mehreren mündlichen Traditionen weitergegeben wird. Obwohl mein Zugang dazu subjektiv war,9 werde ich versuchen, daraus die Essenz dessen zu filtern, was ich für ein weiteres grundlegendes Muster des Commoning halte.
Grundmuster: Der Kreis
- Der Kreis versucht, alle Belange und Bestrebungen innerhalb und sogar außerhalb einer Gruppe zu umfassen; er behandelt sie als gleichwertig.
- Beim Kreis geht es um Prüfung, Bestätigung und Innovation von sozialen Praktiken.
- Der Kreis ist auf rituelle Art und Weise organisiert, was die Menschen zwingt, mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit und aus einer klaren Perspektive heraus, die sowohl eine individuelle Situation als auch eine Rolle im Sozialen darstellt, zuzuhören und zu sprechen.
- Der Kreis strebt danach, die folgenden Bereiche in der folgenden Sequenz zusammenzufügen: Kreativität/Innovation; Gegenwartsbewusstsein/Realitätssinn; Emotionen, die uns zur Wahrnehmung von Bedrohungen und Chancen leiten; Zielbewusstheit und Sinn für die eigene Identität; Lernen über alle möglichen Instrumente und Ressourcen; Voraussicht zukünftiger Entwicklungen und Strategie; die Notwendigkeit für Klarheit bei der Entscheidungsfindung und — zuletzt und entscheidend — der Eindruck, dass alle Stimmen tatsächlich gehört und in Erwägung gezogen worden sind. So gibt die Entscheidung allen Beteiligten eine gute Perspektive.
- Der Kreis läuft gesteuert von der letzten Perspektive in einem iterativen Prozess weiter, bis ein optimaler Konsens gefunden wird.
Es ist bemerkenswert, dass dieses »kreisrunde« Muster nicht auf wenige Individuen oder »Stämme« begrenzt, sondern sogar als Governance-System zwischen Gruppen und Nationen gedacht war und ist. Idealerweise wird auf jeglichem Niveau einer erfolgreichen Lösung eine lebende und pflegende Beziehung zwischen sehr verschiedenartigen Elementen gefunden — und die Reihenfolge der Perspektiven, mittels derer diese Beziehung geschaffen wird, ist keinesfalls willkürlich. Die acht oben genannten Perspektiven bauen in einem strikten Grundmuster aufeinander auf; keine andere Sequenz würde das erwünschte Ergebnis erzielen können.
Können wir solche Grundmuster in den heute entstehenden Commons-Praktiken anwenden? Das werden wir wahrscheinlich tun müssen, denn Commons sind nicht möglich ohne Prozesse, die einen Ausgleich anstreben, und zugleich können wir deren Ergebnisse nicht in ihrer Gänze voraussehen. Wir müssen komplementäre Grundmuster einführen, die die Dynamik gänzlich verschiedener ökonomischer Beziehungen enthalten. Wir müssen Grundmuster der Kommunikation ausloten, die es uns ermöglichen, kooperative Arbeitsbeziehungen und Innovation zu etablieren. Wir müssen die optimalen Größen und Eigenschaften unseres Lebensraums bestimmen. Wir müssen ein Gleichgewicht zwischen unserer Privatsphäre und Individualität auf der einen und unserer gegenseitigen Abhängigkeit auf der anderen Seite erreichen. Und so fort.
Mustersprachen werden uns helfen, schematisches Denken zu vermeiden und die tiefere Komplexität sowie die Freiheitsgrade zu begreifen, die eine sich zur wahren Zusammengehörigkeit entfaltenden Welt mit einbezieht — denn Steuerung durch Befehlsgewalt und Kontrolle, durch Geld und Macht sowie konventionelles ökonomisches und politisches Denken, haben sich als viel zu primitiv erwiesen, um die Probleme zu lösen, die sie geschaffen haben.
Literatur
- Alexander, Christopher (2003-2004): The Nature of Order: An Essay on the Art of Building and the Nature of the Universe, 4 Bände, London.
- Alexander, Christopher mit Ishikawa, Sara/Silverstein, Murray/Jacobson, Max/King, Ingrid F./Angel, Shlomo (1977): A Pattern Language: Towns, Buildings, Construction (Center for Environmental Structure Series), New York.
- Leitner, Helmut (2007): Mustertheorie – Einführung und Perspektiven auf den Spuren von Christopher Alexander, Graz.
- Im Deutschen hat sich der Ausdruck »Muster« und »Mustersprachen« eingebürgert, aber um der besseren Verständlichkeit willen verwende ich im Folgenden in der Regel »Grundmuster«. ↩
- Objektorientierte Programmierung betrachtet einzelne Abschnitte von Codes als Einheiten, die man wie Gegenstände, die Eigenschaften und Verhaltensweisen aufweisen, behandeln kann. Dies ist nicht nur ein Weg zum schnelleren Codieren, sondern auch dazu, Codes wiederverwendbar und besser verständlich zu machen. ↩
- Dazu entdeckt er so etwas wie »Grundmuster der Grundmuster«, die er in seinem Spätwerk A Theory of Order genauer beschrieben hat. Eine gute Zusammenfassung gibt Helmut Leitner auf http://www.mustertheorie.de/. Diese Grundmuster sind Kategorien wie Größenstufen, starke Zentren, Grenzen, rhythmische Wiederholung etc. ↩
- Brad Appleton, zitiert auf http://hillside.net/patterns (Zugriff am 29.11.2011). ↩
- Siehe zum Beispiel den »Ontology Design Catalogue« der University of Manchester, http://www.gong.manchester.ac.uk/odp/html/index.html, oder die »Design Pattern Repository« der Aristoteles-Universität Thessaloniki (Griechenland), http://sweng.csd.auth.gr/depre/ (Zugriff am 29.11.2011). ↩
- Der Begriff »passive Kompetenz« kommt aus der Linguistik und bezeichnet die Fähigkeit, eine Sprache zu verstehen, ohne sie notwendigerweise aktiv sprechen zu können. Demzufolge bedeutet passive Kompetenz, dass man versteht, was ein Experte tut, ohne notwendigerweise selbst Experte zu sein. Passive Kompetenz wird in unserem Bildungssystem grob vernachlässigt. ↩
- Zur Rolle von Sozialchartas siehe den Beitrag von James Quilligan in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe unter: http://transitionculture.org/2010/06/04/rethinking-transition-as-apattern-language-an-introduction/ (Zugriff am 29.11.2011). Vergleiche auch die Beiträge von Rob Hopkins und Gert Wessling in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Ich habe von WindEagle und RainbowHawk des Ehama Institute – siehe unter: http:// www.ehama.org (Zugriff am 29.11.2011) – gelernt. ↩