Subsistenz ist die Summe all dessen,
was der Mensch notwendig zum Leben braucht:
Essen, Trinken, Schutz gegen Kälte und Hitze, Fürsorge und Geselligkeit.
Wenn die Subsistenz gesichert ist,
kann das Leben weitergehen.
Bennholdt-Thomsen/Mies 1997
Ohne Bezahlung
Viele Aspekte der Subsistenz – Güter und Tätigkeiten – sind in der Gegenwart in Waren verwandelt worden, aber bei weitem nicht alle. Denn ohne genährt und gepflegt zu werden, ohne bekümmert und beschenkt zu werden können nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene nicht existieren. Entscheidende Elemente der Subsistenz, die sozusagen die Menschlichkeit ausmachen, sind nicht kommerzialisierbar. Entsprechend definiert sich Subsistenz in der ansonsten umfassend vom Markt durchdrungenen Gesellschaft als der Lebensbereich jenseits der Bezahlung.1. Leben fällt gewissermaßen nur als Nebeneffekt an« (Bennholdt-Thomsen/Mies 1997: 26).] Nach wie vor gehört Subsistenz zur Alltagserfahrung der modernen Menschen, auch wenn diese Tatsache durch die Globalisierung der Märkte aus dem Bewusstsein verdrängt worden ist. Das gilt auch für die Commons, auf denen unsere Gesellschaft nach wie vor ruht.
Subsistenz und Commons sind beide keine Überbleibsel vergangener Jahrhunderte, sie enthalten vielmehr zukunftsweisende Perspektiven. Das Gegenteil aber wird propagiert. Die Privatisierung (von Land, Wasser und mehr) und die Kommerzialisierung der Gemeingüter (etwa Luft oder Gene) – und damit ihre Ab schaffung – werden sogar als die Lösung für weltweite Probleme wie Hunger und Klimaerwärmung angesehen. Die Bauern weg von der Subsistenz hin zur kommerziellen Landwirtschaft zu bringen, das ist seit den 1970er-Jahren erklärte Politik der Weltbank.
Entsprechend besteht das Ziel globalisierter Entwicklungspolitik durch die Welthandelsorganisation WTO darin, möglichst viele Bereiche, die für den alltäglichen Lebensunterhalt relevant sind, in die Geld- und Warenwirtschaft zu integrieren. Ein Beispiel dafür ist die international geförderte Verbreitung von Mikrokrediten. Je mehr Bedürfnisse durch Geld befriedigt werden, desto besser und umso entwickelter. Spätestens jetzt, angesichts der umfassenden Krise der Wachstumsökonomie – und die ökologischen Krisen sind ein Teil davon –, sind erhebliche Zweifel an dieser Sicht angebracht.
Das Selbst-Verständliche
Commons bzw. Allmende bzw. Gemeingüter haben als gesellschaftliche Institutionen im Laufe der Moderne eine zunehmende, ja neoliberal eine geradezu fundamentalistische Verdinglichung erfahren. Weder der Sinn noch die Bedeutung der sozialen Verbindlichkeit der Commons werden wahrgenommen, sondern weitgehend nur noch der Gegenstand selbst. Und wo die »Gegenständlichkeit« der betreffenden Phänomene immateriell und flüchtig ist, wie bei der Luft oder dem Wissen um die Heilkraft einer Pflanze, werden sie verdinglicht, indem sie privatisiert und mit einem Geldwert versehen werden; Beispiel: die Patentierung von Wissen gemäß der Intelectual Property Rights der WTO.
Die ursprünglich »moderne« Geisteshaltung stammt aus dem 19. Jahrhundert. Sie gilt nicht nur in der Physik längst als obsolet. Wie die Teilchen in der Quantenphysik nicht nur einfach isolierte Materie sind, so sind die Gemeingüter weit mehr als der Stoff, aus dem sie bestehen, und weit mehr als der Geldwert, mit dem sie dingfest gemacht werden sollen. Sie sind Teil eines Beziehungsgefüges, gegenständliche Materie und bewegter Prozess in einem. Tatsache ist aber erst einmal, dass sie da sind, so wie uns das Leben gegeben wird, heute, wie vor Hunderten von Jahren.»Subsistere« (lat.) heißt »was aus sich selbst heraus Bestand hat«. Subsistenz ist das, was zum Überleben nötig ist und was zu jedem Leben gehört, unfraglich wie die Luft zum Atmen. Der Begriff umfasst neben den (Lebens-)Mitteln auch den alltäglich neuen Prozess der Reproduktion des Lebens, und dieser ist qua Existenz selbst-verständlich. Noch die frühe englische Arbeiterklasse teilt die Weltanschauung der »moral economy«. Damit bezeichnet Edward Palmer Thompson die jahrtausendealte gesellschaftliche Konvention, durch die niemand in Zweifel zieht, dass alle Menschen die Bedingungen vorfinden sollen, mit denen ihr Leben weitergehen kann. Zu sagen, dass sie ein »Recht« hätten, die Bedingungen vorzufinden, wäre bereits irreführend, denn dies würde eine vorhergegangene Einschränkung voraussetzen. Wirtschaft in Kategorien von Subsistenz zu denken – also die Subsistenzperspektive des Wirtschaftens zu sehen – heißt zu erkennen und anzuerkennen, dass das menschliche Leben Teil des Naturprozesses ist.
Die gesellschaftliche und die individuelle Ebene
Die Menschen einer Gesellschaft, die auf Gemeingütern gründet, konzentrieren sich auf das, was notwendig ist zum guten Leben, und nicht auf den Verbrauch von immer mehr Konsumgütern. Sie fühlen sich individuell für das uns Gemeine verantwortlich. Der Konsumismus hingegen unterhöhlt die Gemeingüter und schließlich auch die Gesellschaft, nämlich die Zusammengehörigkeit. Diese Erfahrung machen wir jetzt in der Epoche der multiplen Krisen. Die wirtschaftliche, ökologische und soziale Krise laufen in einer einzigen, der Zivilisationskrise, zusammen. Die Werte, die diese Zivilisation prägen, erweisen sich anhand der Katastrophen, die sie auslösen, als zerstörerisch. Es bedarf des Paradigmenwechsels, weltweit, weg vom egozentrischen Konsumismus, weg vom eingebauten Wachstumszwang der Maximierungsgesellschaft und weg von der Überheblichkeit gegenüber den lebendigen Zusammenhängen. Wir, die Menschen unserer Epoche, brauchen neue (alte) gesellschaftliche Institutionen, die einem neuen (alten) Mensch-Natur-Verhältnis verpflichtet sind.
Wir stehen nicht mit leeren Händen da, Anknüpfungspunkte sind vorhanden, sowohl was die Kenntnisse, die kulturellen Werte als auch die Naturgegebenheiten anbelangt. Das Erfahrungswissen um die Commons gibt uns Mittel zur gesellschaftlichen Umgestaltung an die Hand. Individuell erfährt jeder Mensch die Bedeutung der Subsistenz schon anhand der unbezahlten und unbezahlbaren Fürsorge, die fast jedem als Kind zuteil wird.
Der enge Zusammenhang, der zwischen der individuellen Erfahrung und der Erfahrbarkeit der Gemeingüter als Naturgabe besteht, wird von Miguel D’Escoto und Leonardo Boff in ihrem Vorschlag für eine UN-Charta der Rechte der Erde in der Präambel formuliert. Auf beiden Ebenen ist es die Erfahrung der Lebendigkeit, die nicht nur im Prozess des Gebens, sondern auch in der Gabe selbst als Werden und Vergehen enthalten ist: »Das höchste, universelle Gemeinschaftsgut, die Existenzbedingung für alle sonstigen Güter, ist die Erde selbst. Denn sie ist unsere Große Mutter, die geliebt, geachtet, gepflegt und verehrt werden muss, so wie unsere eigenen Mütter.«2
»Unsere eigenen Mütter« werden ebenso selbst-verständlich verehrt, wie jedem Menschen qua menschlicher Geburt die Subsistenzfürsorge und die entsprechenden Subsistenzmittel zuteilwerden. Die Ebenbürtigkeit – weil wir alle aus »einer Mutter« geboren wurden – wird an-erkannt (Bloch 1961). Diese Haltung, die fest in unserer persönlichen sinnlichen Erfahrung verankert ist, stützt die Überzeugung, dass jeder Mensch Bedingungen vorfinden soll, mit denen sein Leben weitergehen kann. Dafür brauchen wir die Commons. Sie schlagen eine wichtige Brücke zwischen dem Individuum und der Gesellschaft und lehren uns, die Naturgegebenheiten und das Miteinander-in-Beziehung-Sein zu respektieren, statt beides zu zerstören.
Manche, auch westliche Gender-Feministinnen, lehnen die Metapher »Mutter Erde« ab, denn sie enthält die Anerkennung einer besonderen Bedeutung der menschlichen Mutter – dies ist der sogenannte Essentialismus-Vorwurf. Wer diesen Vorwurf teilt, kann die Metapher durch ein anderes, adäquates Bild ersetzen Einzig wichtig sind in unserer Epoche Bilder, die helfen, die zerstörerischen Werte der Maximierungsgesellschaft zu entlernen und die genannte Ebenbürtigkeit neu zu erlernen, damit erfühlt und verstanden wird, dass die Naturgegebenheiten nicht privat angeeignet werden dürfen, weil sie uns allen gegeben sind, so wie uns das Leben gegeben ist. Es bedarf Bilder, die die Einsicht fördern, dass eine auf Commons basierte Gesellschaft eine entsprechende individuelle, alltägliche Subsistenzpraxis erfordert.
Geld ist das Problem, nicht die Lösung
Gemäß dem herrschenden Verständnis, dass die Machbarkeit jeglichen Plans vom Geld abhängt, wird auch bei der Verwirklichung von Alternativen zur Wachstumsökonomie häufig zu schnell nach dem Geld gefragt. Mag aktuell auch manches Vorhaben zur Stärkung der Commons nicht ohne Geld auskommen, so ändert dies nichts daran, dass die Geldlogik, wie wir sie kennen, ein grundlegender Webfehler der heutigen Vergesellschaftung ist.
Im Geldwert sind die Werte der maximierungswirtschaftlichen Zivilisation wie mit einem Brennglas gebündelt. Oft wird übersehen, wenn Wert und Geldwert einfach gleichgesetzt werden, so normal ist diese Verkehrung. Wie verkommen aber das daraus resultierende Wertesystem ist, fällt mir immer wieder neu anhand der Formulierung des ersten UN-Millenniums-Entwicklungszieles auf: »Zwischen 1990 und 2015 die Zahl der Menschen halbieren, die weniger als einen US-Dollar täglich zur Verfügung haben. Zwischen 1990 und 2015 den Anteil Menschen, die Hunger leiden, halbieren.«3 Und was ist mit der anderen Hälfte? Von der Selbstverständlichkeit, wie sie der Subsistenzmoral eigen ist, dass niemand hungrig bleiben darf, solange andere zu essen haben, ist diese Geldmoral Lichtjahre entfernt.
Ein US-Dollar pro Tag! Das simuliert Konkretheit, eine vorgeblich dinglich fassbare, handfeste und zuverlässige Hilfe (»In God we trust«). Aber Geld kann man nicht essen! Die Zahl, so auch die Jahreszahlen und die Anzahl der Menschen, soll Wahrhaftigkeit und Entschlossenheit signalisieren. In Wirklichkeit leiden in der Gegenwart mehr Menschen auf der Welt Hunger als noch zu Beginn des Jahrtausends.
Die Geldlogik ist jene einer rechnerischen Gleichung (Äquivalententausch). Ihr wird die Objektivität (Dinghaftigkeit) einer unsichtbaren, ordnenden Hand zugesprochen, die der Unordnung der naturgegebenen Vielfalt überlegen sein soll. Das erweist sich in der Gegenwart als grundfalsch. Die Geldlogik taugt nicht als zivilisatorisches Paradigma.
Die Subsistenz- und Commons-Perspektive
»Es ist deine Stadt. Grab sie um!« In diesem Motto aus der Bewegung für Urban Gardening sind bereits alle Elemente enthalten, die den Kulturwandel weg vom Wachstumsparadigma, hin zu einer auf Gemeingütern gründenden Gesellschaft ausmachen.4
- Der öffentliche Raum, nämlich die Stadt und ihre Freiflächen, werden als Allmende begriffen.
- Angesprochen wird das Individuum, das sich als Teil der Commons-Gemeinschaft definiert, indem es sich jenseits einer hierarchisch übergeordneten, disziplinierenden, etwa staatlich organisierten Gewalt selbst politisch ermächtigt.
- Dazu gehört ein Verständnis von unmittelbarer gemeinschaftlicher Handlungsfähigkeit, wie sie den Graswurzelbewegungen eigen ist.
- Es geht nicht um Geld, sondern ohne Umschweife um die Subsistenz.
Um heute eine Gesellschaft zu schaffen, die auf Gemeingütern gründet, bedarf es der Subsistenzperspektive. Und damit sich ein Tun entfalten kann, das an dem ausgerichtet ist, was für ein gutes Leben notwendig ist, bedarf es der Konsolidierung der Institutionen der Commons. Subsistenz und Commons stärken sich wechselseitig.
Literatur
- Bennholdt-Thomsen, Veronika/Mies, Maria (1997): Eine Kuh für Hillary. Die Subsistenzperspektive, München.
- Bloch, Ernst (1961): Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt a.M.
- Ostrom, Elinor/Helfrich, Silke (Hg.) (2011): Was mehr wird, wenn wir teilen, München.
- Thompson, Edward Palmer (1980): The Making of the English Working Class, Hammondsworth.
- »Subsistenzproduktion – oder Lebensproduktion – umfasst alle Arbeit, die bei der Herstellung und Erhaltung des unmittelbaren Lebens verausgabt wird und auch diesen Zweck hat. Damit steht der Begriff der Subsistenzproduktion im Gegensatz zur Waren- und Mehrwertproduktion. Bei der Subsistenzproduktion ist das Ziel ›Leben‹. Bei der Warenproduktion ist das Ziel Geld, das immer mehr Geld ›produziert‹ [… ↩
- Siehe unter: http://www.rlp.com.ni/noticias/general/71589 (Zugriff am 13.12.2011). ↩
- Siehe unter: http://www.welthungerhilfe.de/acht-millenniumsziele.html (Zugriff am 13.01.2012). ↩
- Zur Wiederentdeckung des gemeinsamen Gärtnerns in den Städten vgl. den Beitrag von Christa Müller in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩