Neuere Entwicklungen in der Stadtplanung
Nikos A. Salingaros und Federico Mena-Quintero
Nach Jahrzehnten zentralisierter Stadtplanung, die die jeweils lokalen Bedingungen und die vielfältigen Bedürfnisse der Nutzer unberücksichtigt ließ und die Commons finanziellen Interessen opferte, sind die Muster der Raumgliederung, die die Entstehung erfolgreicher und den Menschen angemessener Stadträume ermöglichten, in Vergessenheit geraten. Der Verlust jenes gemeinsamen Wissens, das es den Menschen einst ermöglichte, menschenfreundliche Lebensräume ohne viel formelle Planung zu bauen, war zweifellos beträchtlich.
Im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden die Städte im Wesentlichen großräumig und zentral geplant. Es kamen verschiedene Methoden des Entwerfens in Mode, die explizit versuchten, traditionelle Bauformen und -techniken, die für Hunderte oder Tausende von Jahren genutzt worden waren, zu vermeiden. Dies diente oft ausschließlich dem Zweck, »nicht das Gleiche zu machen wie in der Vergangenheit«. Die prominentesten Figuren in Architektur und Stadtplanung waren die sogenannten »Stararchitekten« – bekannte Planer, deren Gebäude ins Auge fallen und deren Neuartigkeit das wichtigste Verkaufsargument war und ist.
Neben dem Bau von Gebäuden verwirklichten die Stadtplaner nach dem Zweiten Weltkrieg auch eine Reihe formalistischer Ideen, die die »Stadt als Maschine« ansahen, und sie schufen eine gesetzliche Grundlage von Bauvorschriften, um die modernistische Transformation der Städte abzusichern.
So führte die aufkommende Massenproduktion des 20. Jahrhunderts zu einer am Auto orientierten Stadtentwicklung, die es zunehmend erschwerte, zu Fuß von einem Ort zum anderen zu kommen. Profitorientiertes Bauen schuf Gebäudeformen, deren Nachteile mittlerweile allgemein bekannt sind: Wolkenkratzer mit maximaler Nutzfläche, deren Form das Stadtgefüge zerstört, Häuser von der Stange, die individuellen Bedürfnissen nicht gerecht werden, und Büroviertel, die weit von den Wohngebieten der Angestellten entfernt sind.
Die Bewegung des »Neuen Urbanismus« (engl. »New Urbanism«) wollte eine menschlichere Alternative zur modernistischen Stadtplanung entwickeln, die sich hinsichtlich der Entfernungen, Räume und Geschwindigkeiten an Maschinen und Industrieproduktion orientierte. Zu den Zielen des Neuen Urbanismus gehören begehbare Gemeinschaften, in denen Menschen auch ohne Auto leben, arbeiten und gesellig sein können; eine flexible Zonierung, die eine Mischung aus Arbeit, Industrie und Wohnen ermöglicht; sowie wohlproportionierte Gebäude, die stark auf traditionelle Formen und Techniken zurückgreifen. In Europa wird eine ähnliche Bewegung einfach als »traditionelle Stadtplanung« bezeichnet. Beiden Stadtplanungskonzepten ist gemein, dass sie die betroffenen Menschen in die Planung ihrer Wohngegend einbeziehen, statt große Gebäudekomplexe hinzustellen und den Bewohnern oder Nutzern wenig oder gar keinen Einfluss auf deren Gestaltung zu geben.
Trotzdem sind auch New Urbanism bzw. traditionelle Stadtplanung noch zentral und großflächig geplant, anstatt die Initiative für das Bauen tatsächlich den Endnutzern selbst zu überlassen. Es ist ein Problem unserer Zeit, in der die existierenden Finanzierungsmethoden großflächige Projekte begünstigen. Eine Verzerrung hin zur Top-down-Umsetzung ergibt sich zudem aus dem pragmatischen Wunsch des Neuen Urbanismus, zum vorhandenen System anschlussfähig zu bleiben, anstatt ganz von vorne zu beginnen. Um dezentrale Stadtentwicklung zu fördern, veröffentlichten Anhänger des New Urbanism im Jahr 2003 den »Smart Code« von Duany Plater-Zyberk (DPZ), der kostenlos im Internet heruntergeladen werden kann. Dabei handelt es sich um ein Archiv von Messwerten und detaillierten Entwurfsvorlagen für den Bau einer am menschlichen Maß orientierten Stadt, die sich grundlegend von den modernistischen Stadtplanungs-Vorschriften unterscheidet, die heutzutage gesetzlich verankert sind.
Vieles weist darauf hin, dass Menschen an verschiedenen Orten der Welt die Dominanz des modernistischen Denkens in der Stadtplanung beenden wollen. Politische Bewegungen in Europa haben das Thema aufgegriffen, sie nehmen eine aktive Rolle in der Stadterneuerung ein. An vielen Orten der Welt wurden hässliche Hochhausblocks abgerissen und durch menschenfreundlichere Gebäude ersetzt, die unter Beteiligung örtlicher Gruppen entwickelt wurden. Dafür war ein scharfer Bruch mit der Machtgrundlage und Denkhaltung erforderlich, die noch dem bürokratischen (und autoritären) Top-down-Weltbild anhängt. Allerdings stufte man auch vielerorts unmenschliche Gebäude mit Hilfe gesetzlicher Vorgaben als »Baudenkmäler« ein, um dauerhaft jene Symbole zu erhalten, die von professionellen Architekten und Planern so geliebt wurden.
Stadtplanung auf Augenhöhe
Hier kommt nun die P2P-Stadtplanung ins Spiel. Diese Bewegung bringt verschiedene Richtungen der Stadtplanung zusammen, die seit Jahren getrennt voneinander daran arbeiteten, das Entwerfen zu einem gemeinsamen Prozess mit den Nutzern zu machen: Da gibt es Anhänger des New Urbanism, die in den USA kommerzielle Projekte der neotraditionellen Stadtarchitektur entwickeln; Anhänger des Architekten Christopher Alexander, der mit seinem Buch Eine Muster-Sprache die Mustertheorie begründete;1 Stadtaktivisten und andere. Nach und nach bringen auch Fachleute aus anderen Bereichen ihr Wissen ein, sofern dies angemessen ist. Das können etwa Permakulturalisten sein, die produktive Ökosysteme entwerfen, in denen Menschen in Harmonie mit Pflanzen und Tieren leben können. Sie bringen ein tiefes praktisches Verständnis der engen Verbindung zwischen Mensch und Natur ein. Oder es sind Spezialisten für regionale Bautraditionen und energiesparendes Bauen oder resiliente Gemeinschaften2, die »von Grund auf« selbständig bleiben wollen. In der P2P-Stadtplanung gestalten Menschen ihre eigenen Lebensräume, indem sie frei verfügbare Informationen und Techniken nutzen. Entsprechend der Bewegung der Freien und der Open-Source-Software soll die Planung der eigenen Lebens- und Arbeitsumgebung auf offenen Entwurfsregeln basieren statt auf »geschlossenen« Bauvorschriften, die von einer dafür zuständigen Behörde festgelegt werden. Open-Source-Richtlinien in der Stadtplanung müssen demnach offen für Veränderungen und Anpassungen an lokale Bedingungen und individuelle Bedürfnisse sein: So sind beim DPZ-»Smart Code«3).] Anpassungen an lokale Bedingungen nicht nur möglich, sondern bei der Umsetzung fest eingeplant; daher kann man den Code, trotz der kommerziellen Grundlage vieler Projekte des »Neuen Urbanismus«, zur P2P-Stadtplanung zählen.
Diese neue Art, über Städte nachzudenken, fördert die Wiederaneignung des gemeinschaftlichen Stadtraums. Schließlich war ein bedeutendes Phänomen der Stadtplanung im 20. Jahrhundert die bewusste Zerstörung des öffentlichen Raums, da der freie Raum um freistehende modernistische Gebäude oft als ungestaltet und feindselig empfunden wurde. Er wird damit für die Gemeinschaft nutzlos. Attraktiver öffentlicher Raum wurde durch privat kontrollierten Raum in Einkaufszentren ersetzt. Der für die Interaktion von Bürgern so wesentliche öffentliche Raum (der auch Grundlage gemeinsamer sozialer Werte ist) wurde damit privatisiert, neu verpackt und den Menschen wieder zurückverkauft. P2P-Stadtplanung kehrt diese Entwicklung um.
Partizipation in Architektur und Stadtplanung
Zentral geplante Lebenswelten werden oft ausschließlich auf dem Reißbrett entworfen und nach den vorgegebenen Parametern gebaut, ohne dass es Raum für Anpassungen oder Vorschläge der Nutzer gäbe. Besonders misslungene Beispiele sind Ergebnis spekulativen oder größenwahnsinnigen Bauens, wie etwa in Brasilia4 oder beim 1972 abgerissenen Wohngebiet Pruitt-Igoe in St. Louis/Missouri. Von oben angeordnete Entscheidungen bestimmten die Zugangsmöglichkeiten zu sozialem Wohnungsbau und Bauten der öffentlichen Hand; sie entschieden über die Machtverteilung im städtischen Raum. Dennoch gab es immer eine kleine Schnittmenge zwischen P2P-Denkern und Stadtplanern, die partizipatorische Elemente außerhalb des offiziellen Planungssystems förderten. Diese Interventionen waren jedoch meist nicht von Dauer, da es schwierig ist, in Stadtstrukturen wirklich einzugreifen.
Erfolgreiche Stadtplanung hat viel mit Lebensqualität und Nachhaltigkeit zu tun. Die Vorlieben der Menschen können entweder durch Biophilie (die Präferenz für natürliche Umwelten) oder durch die Mode (mit manchmal verhängnisvollen Konsequenzen) bestimmt sein. In der modernen oder postmodernen Architektur stand die visuelle Wirkung des fertigen Objekts im Vordergrund. Im Gegensatz dazu sagt P2P-Stadtplanung genauso viel zum Prozess der Planung wie zum Aussehen des Endprodukts, welches anpassungsfähig sein muss und menschliche Dimensionen haben sollte. P2P-Stadtplanung ist durch eine Reihe von Eigenschaften und Zielen gekennzeichnet, die weit über Architektur und Stadtentwicklung hinausgehen. Prinzipien guter Stadtplanung und Architektur sind gut vermittelbar und für den Durchschnittsbürger meist ohne weiteres verständlich, aber sie sind nicht immer offensichtlich. Beispielsweise muss man sorgfältig erklären, wie genau ein Netz aus Fußgängerwegen in autoorientierte Städte geflochten werden kann und dass dadurch kein Verkehrschaos entsteht, sondern dass mit der Verringerung des Gesamtverkehrs ein gutes Ergebnis für alle erzielt wird. Entwicklungsfähiges Design umfasst einen Prozess, bei dem Schritt für Schritt veränderte Anforderungen und Nutzerbedürfnisse einbezogen werden, die ein vorgefertigter Entwurf zwangsläufig ignoriert.
Beispielsweise kann ein Architekt mit den Bedingungen einer bestimmten Region vertraut sein und daher wissen, dass ein Dachüberstand von 80 cm ausreicht, um ein Stockwerk von drei Meter Höhe vor Regen zu schützen, wobei er die durchschnittliche Belastung durch Wind und Regen berücksichtigt. Ein in seinem Handwerk erfahrener Baumeister weiß, welche Materialien und Techniken für den Bau eines solchen Dachüberstands in regionstypischen Formen erforderlich sind. Der spätere Bewohner des Hauses wird daran interessiert sein, Fenster und Wände vor Regen zu schützen, und vielleicht mit entscheiden wollen, welche Fenster verbaut werden: Wenn sie nach außen geöffnet werden sollen, dürfen sie natürlich nicht gegen das überstehende Dach stoßen. Daher ist es wichtig, eine direkte Kommunikation zwischen Nutzern, Bauherren, Entwerfenden und allen, die mit dem Umfeld des Gebäudes zu tun haben, herzustellen.
Unsere hypothetisch regenreiche Region wird nun vielleicht ähnliche Probleme haben wie entsprechende Regionen in anderen Teilen der Welt. P2P-Stadtplanung bringt daher auch diese geographisch getrennten Menschen miteinander in Kontakt, so dass sie voneinander lernen können. Das Prinzip von Versuch und Irrtum kommt seltener zur Anwendung, wenn Planer fragen können: »Wer weiß, wie man Fenster und Dachüberstände baut, die für diese Art von Klima geeignet sind?« – und auf Erfahrung beruhende Antworten bekommen.
So können auch größere Probleme angegangen werden. Anstatt abstrakter, philosophisch klingender Aussagen wie »Die Form der Stadt muss den Geist der Zeit widerspiegeln« oder »Fenster müssen in Form einer Vorhangfassade gestaltet werden« – Warum eigentlich? – können wir nach Beispielen für Städte suchen, die human und lebenswert sind. Wir können dann die dort umgesetzten guten Ideen an die örtlichen Bedingungen anpassen und dabei auf das Wissen all jener Menschen zurückgreifen, die an P2P-Planungsprozessen teilnehmen.
Bauunternehmen könnten dadurch Ansehen gewinnen, dass sie ständig mit den Nutzern ihrer »Produkte« kommunizieren, anstatt einfach etwas in die Landschaft zu setzen, das hinterher von niemandem wirklich gemocht und gepflegt wird. Bislang war es nicht vorgesehen, dass Bewohner Veränderungen an Gebäuden vornehmen, die die »Signatur« eines Architekten tragen, nicht einmal an den unattraktiven Wohnblocks, in denen sie aus finanziellen Gründen leben müssen. Dagegen legt die P2P-Stadtplanung Wert darauf, dass die Menschen ihre Wohnumgebung entsprechend ihren Bedürfnissen verändern können, anstatt sich ausschließlich auf einen Architekten zu verlassen, der nicht einmal dort lebt.
P2P-Stadtplanung kann man sich wie einen informellen wissenschaftlichen Bauprozess vorstellen: Nimm das veröffentlichte Wissen einer Person, verbessere es und veröffentliche das Ergebnis wieder, so dass andere Menschen dasselbe tun können. Erfahrungsbasiertes Entwerfen basiert auf einem wachsenden Repertoire an wissenschaftlichen Experimenten, die positive oder negative Wirkungen der gebauten Umwelt auf Psyche und Wohlbefinden der Menschen dokumentieren.
Ein wesentliches Merkmal von Projekten des Neuen Urbanismus ist eine sogenannte »Charrette«, wobei in einer ein- bis zweitägigen öffentlichen Präsentation durch die späteren Nutzer Verbesserungsvorschläge eingebracht werden; allerdings kommt dieses Verfahren manchmal nur oberflächlich zum Einsatz. Im besten Fall ist eine Charrette viel mehr als eine Meinungsumfrage. Es ist ein undogmatischer Lernprozess, ein Dialog zwischen Stakeholdern, der schließlich zu einer Einigung und zu einem tieferen Verständnis bei allen Beteiligten führt.
Chancen für Randgruppen
Einige Anhänger sehen P2P-Stadtplanung als einen Weg, marginalisierten Menschen Einfluss auf die Gestaltung ihres Lebensumfelds zu geben. Das ist richtig, aber es ist noch nicht alles. Ein P2P-Prozess hat nämlich die Aufgabe, spontane individuelle Vorlieben und Vorstellungen vieler zusammenzubringen und auf ein erreichbares gemeinsames Ziel auszurichten. Das ist ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen guten und schlechten städtischen Bauformen: Nur die ersteren fördern soziokulturelle Kontakte; schlechte Bauformen können beispielsweise dazu führen, dass Nachbarn nie miteinander ins Gespräch kommen.
Marginalisierte Menschen und Minderheiten können große Kraft daraus schöpfen, eigene Wohnsiedlungen günstig zu bauen und zugleich zu wissen, dass sie etwas Gutes bauen. Dieses Prinzip wurde bereits in mehreren Ökodörfern in Mexiko verwirklicht, die mit lokalen Baumaterialien und komplett in Eigenregie entstanden sind. In der Folge entsteht – ähnlich wie das mit Freier oder Open-Source-Software in Dritte-Welt-Ländern geschehen ist – eine lokale Expertise, auf der lokale Wirtschaftsprozesse aufbauen können und durch die das ganze Land bereichert und schließlich in die Lage versetzt wird, seine Probleme selbst zu lösen. Das Ziel muss sein, die gebaute Umgebung so zu gestalten, dass Menschen, die jetzt auf Grund ihres sozialen Status marginalisiert sind, die Teilhabe ermöglicht wird.
P2P-Stadtplanung liefert somit den Schlüssel für die Integration von zwei Prozessen: erstens großflächige Planung, die erforderlich ist, um die Infrastruktur einer gedeihenden Stadt zu schaffen; zweitens informelle (und meist illegale) selbstgebaute Siedlungen, wie sie in Entwicklungsländern unkontrolliert wuchern.
Widerstand gegen P2P-Stadtplanung
P2P-Stadtplanung will Macht und Wissen des etablierten Architekturbetriebs an die einfachen Leute übertragen. Dies entspricht nicht den kurzfristigen finanziellen Interessen der derzeit Mächtigen. Entwicklungsländer, die Planung und Bau selbst übernehmen, können große Mengen an Geld sparen, wenn sie darauf verzichten, bekannte Architekten zur Planung ihrer Städte anzustellen.
Es kann kaum genug betont werden, welch eine radikale Veränderung eine lokale, geteilte Wissensbasis mit anpassbaren Entwürfen und Bauanleitungen – also P2P-Stadtplanung – im Vergleich zur undifferenzierten Massenproduktion von Gebäuden darstellt, die den internationalen Stil von Stadtplanung im 20. Jahrhundert bestimmte. Dieser Stil förderte eine zentralisierte Industrie auf Kosten örtlicher Baugruppen und nachbarschaftlicher Selbsthilfe; er ignorierte lokale Anpassung und traditionelle Techniken und zog P2P-Stadtplanung als Alternative gar nicht erst in Betracht.
Doch da P2P auf den Prinzipien des Teilens und gemeinsamer internetgestützter Initiativen basiert, können die Informationsblockaden (beispielsweise durch Architekturmagazine) mit Hilfe jener Techniken, die zunächst für das Teilen von Information und Software entwickelt wurden, mittlerweile umgangen werden. P2P-Stadtplanung ist daher mehr als nur eine Ansammlung von Ideen, ihr Gelingen hängt wesentlich von allgemein zugänglichen Tausch- und Kommunikationsmitteln ab und ist auf Lern- und Informationskanäle angewiesen, die nicht in der Hand multinationaler Unternehmen sind. Zwar konzentrieren sich die Neuen Urbanisten auf Privatleute und geschäftliches Bauen, während die P2P-Aktivisten einen commonsorientierten Ansatz verfolgen; beide haben jedoch gemeinsam, dass sie Open-Source-Regeln für eine auf den Menschen ausgerichtete Architektur und Stadtplanung verwenden.
Obwohl oft das Gegenteil behauptet wird, ist die Gefahr durch unangepasste und energieverschwendende Bauformen und Gestaltungsweisen heute genauso stark wie direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals wurden historische Stadtkerne abgerissen und Menschen in gefängnisartige Hochhäuser gepfercht, der psychotischen Vision des »geometrischen Fundamentalismus« folgend, der simple geometrische Formen wie Kubus, Pyramide und rechteckige Blöcke zur Grundlage der Bauformen macht. Diese Entwicklung spielte eine entscheidende Rolle für die städtische Entfremdung. Am Zeitgeist orientierte Architektur- und Städtebauprojekte gewinnen Wettbewerbe und Preise, ignorieren aber das menschliche Maß, indem sie der gebauten Umwelt gigantische Formen in kostspieliger Hightech-Architektur aufzwingen. Diese überteuerten Projekte werden durch zentralisierte Machtstrukturen durchgesetzt.
Bewegungen wie der »Landscape Urbanism«5 wollten diese Praxis durch die Einfügung schöner »grüner« Räume verbessern, wodurch aber leider nur eine Maskierung der grundlegend naturfeindlichen Muster erreicht wurde, die sich schon in den Formen der Hightech-Gebäude ausdrückt. Die in dieser Bewegung entstandenen Gärten sind wunderschön, und die Gebäude passen sich in Computergrafiken und Magazinbildern gut in sie ein, doch die Gebäude selbst stecken in denselben unzugänglichen, industrieartigen Formen. Zudem wird durch die Anlage großer, relativ unzugänglicher wilder Gärten der verfügbare Stadtraum, den die Bewohner frei nutzen können, zusätzlich eingeschränkt.
Eine Neuausrichtung der Stadtplanung, die die Nutzer konsequent mit einbezieht, hat also weitgehende soziale und politische Implikationen. Es ist durchaus möglich, dass nicht nur gesellschaftliche Veränderungen zu einem neuen Denken über Stadtplanung führen, sondern dass der Prozess auch umgekehrt abläuft. Die Formfindung einer Stadt, die ein harmonisches, fußgängerfreundliches und humanes Zusammenleben ermöglicht, muss sich dabei aus einem tiefen soziokulturellen Veränderungsprozess speisen – sonst bleibt sie eine bloße Nachahmung des Altbekannten.
The future is not some place we are going to,
but one we are creating. The paths to it are not found,
but made; and the activity of making them changes both
the maker and the destination.
Die Zukunft ist kein Ort, auf den wir zugehen, sondern einer,
den wir erst erschaffen. Die Pfade dorthin werden nicht gefunden, sondern gemacht – und dieses Machen verändert den
Macher nicht weniger denn das Ziel.
Peter Ellyard
- Siehe dazu auch den Beitrag von Franz Nahrada in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Vgl. den Beitrag von Rob Hopkins in diesem Band (Anm. der Hg.). ↩
- Der »Smart Code« ist eine Vorlage für eine Bauordnung, die unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an lokale Bedingungen angepasst werden soll. Er beruht auf den Prinzipien der »Smart Growth«-Bewegung und des »Neuen Urbanismus« und kann im Internet in editierbarer Form heruntergeladen werden (http://transect.org/codes.html [Zugriff am 17.02.2012 ↩
- Siehe dazu auch den Beitrag von Josh Tenenberg in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Der »Landscape Urbanism« ist eine in den späten 1990er-Jahren entstandene Bewegung, die Stadtplanung als Organisation einer Landschaft versteht und die Grenzbereiche zwischen Stadtplanung, Landschaftsplanung und Architektur untersucht; Vertreter sind beispielsweise Charles Waldheim, James Corner und Mohsen Mostafavi. ↩