Christine Godt – Equitable Licensing — den Zugang zu Innovationen sichern

Christine Godt, Christian Wagner-Ahlfs und Peter Tinnemann

Ergebnisse der öffentlich-finanzierten Forschung müssen für alle zugänglich sein

– das gilt vor allem für lebenswichtige Medikamente. Im Kern beruht dieser Grundsatz auf zwei Prinzipien: Erstens, medizinische Versorgung und das Recht auf eine gesunde Umwelt sind Menschenrechte, die dem Einzelnen einen Anspruch auf Teilhabe geben; zweitens, Forschung ist in der Medizin und in den Umweltwissenschaften in wesentlichen Teilen öffentlich finanziert, womit Ansprüche an die Ziele und die Verfügbarkeit der Ergebnisse verbunden sind. Das hier vorgestellte Lizenzmodell »Equitable Licensing« hat zum Ziel, den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten zu sichern, die durch öffentliche Förderung entstanden, aber patentgeschützt sind. Es hat damit Modellcharakter für die Absicherung sozialer Ansprüche an öffentlich geförderte Forschung unter den Bedingungen des modernen, patentgeschützten Technologietransfers.

»Equitable Licensing« (»Gerechte Lizenzen«) wurde erstmals 2001 in der Diskussion um die Versorgung Südafrikas mit AIDS-Medikamenten entwickelt (Stevens/Effort 2008). Es versetzt Forschungseinrichtungen in die Lage, aktiv auf die Entwicklung und Vermarktung ihrer Ideen Einfluss zu nehmen, und reagiert auf eine zentrale Herausforderung moderner Medizin in der globalisierten Welt: Nicht nur gibt es eine allseits beklagte Forschungslücke in Bezug auf Krankheiten, die vergleichsweise wenige Menschen, vor allem in armen Regionen der Welt, betreffen (sogenannte »vernachlässigte Krankheiten« wie Malaria, Tuberkulose, Schlafkrankheit etc.). Von größerer Bedeutung ist, dass verfügbare Arzneien für viele Patienten nicht zugänglich sind, weil es sie entweder nur zum Weltmarktpreis gibt oder weil arme Staaten von der Industrie aus Sorge vor der Rückführung in hochpreisige Märkte – wo sie die »Preise verderben« – nicht beliefert werden.

Equitable Licensing und seine Geschichte

Der Begriff »Equitable Licensing« wurde 2001 an der Universität Yale geprägt. Diese hatte dem Pharmaunternehmen Bristol-Myers Squibb (BMS) für die Nutzung ihres Patents am HIV-Wirkstoff d4T (Stavudine) eine Exklusivlizenz vergeben. d4T war bereits in den 1960er-Jahren am Detroiter Krebsforschungsinstitut als Wirkstoff gegen Krebs entwickelt worden. In den 1980ern fanden Tai-Shun Lin und William Prusoff an der Universität Yale heraus, dass der Wirkstoff gegen AIDS einsetzbar ist. Ihre Forschungen waren mit Mitteln der U.S. National Institutes of Health und von Bristol-Myers Squibb finanziert. Im Jahr 1986 meldete die Yale-Universität ein (Anwendungs-)Patent für die Therapie von HIV-Infektionen an, das ihr 1990 erteilt wurde. Die Nutzungserlaubnis gab sie jedoch exklusiv dem Unternehmen Bristol-Myers Squibb. BMS brachte 1994 das Medikament Zerit® auf den Markt. Wie damals üblich wurde das Produkt weltweit zu einem einheitlichen Preis vermarktet. Dementsprechend kostete eine Tagesdosis Zerit® im Jahr 2001 pro Patient 11,97 Euro, also 4.369,05 Euro pro Jahr – für afrikanische Patientinnen und Patienten ein unerschwinglicher Preis.

Nachdem der Wirkstoff von der Weltgesundheitsorganisation auf die Liste der lebenswichtigen Medikamente gesetzt worden war, schlug die Organisation Ärzte ohne Grenzen Alarm und forderte preissenkende Maßnahmen. Im Februar 2001 bat sie die Universität Yale, auf das südafrikanische Patent zu verzichten. Die Universität sah sich jedoch aufgrund des Vertrages mit BMS daran gehindert. Daraufhin intervenierten die Studierenden der Universität und brachten William Prusoff dazu, im März 2001 einen Beitrag für die New York Times zu schreiben. Aufgrund des öffentlichen Drucks trat die Universität an BMS heran, das Unternehmen möge die Preise reduzieren. BMS lenkte ein und zeichnete im Juni 2001 einen Vertrag mit dem führenden südafrikanischen Generikahersteller Pharmacare, der daraufhin den Wirkstoff in einheimischer Produktion herstellen konnte. Aufgrund der Preiskonkurrenz vor allem zum indischen Konkurrenten CIPLA fiel der Preis für d4T im Laufe eines Jahres um 96 Prozent. Erst diese Entwicklung ermöglichte es Ärzte ohne Grenzen, die AIDS-Programme im südlichen Afrika auszuweiten.
Eine ähnliche Vereinbarung wurde zwischen dem Pharmaunternehmen Gilead, dem Rega Institute for Medical Research an der Katholischen Universität Leuven (Belgien) und dem Institut für Organische Chemie und Biochemie in Prag für das Medikament Tenofovir getroffen, dem Wirkstoff der AIDS-Medikamente Viread® und Truvada® (Van Overwalle 2009: 239).

Ausgehend von diesem einfachen Modell, das Preissenkung durch Wettbewerb erzielt, wurde das Konzept des Equitable Licensing weiterentwickelt. Inzwischen gibt es verschiedene Typen dieser »Gerechten Lizenzen«, die entweder dem Lizenznehmer direkte Versorgungspflichten auferlegen oder, indirekt durch den Verzicht auf Patentdurchsetzung in bestimmten Ländern, eine heimische, preisgünstige Herstellung von Medikamenten ermöglichen. Die Universität Berkeley hat das Konzept in ihr Socially Responsible IP Management Program aufgenommen. Private Firmen wie Boehringer Ingelheim griffen es für einseitige Selbstverpflichtungen auf, den Patentschutz in bestimmten Ländern nicht durchzusetzen (sogenannte »non-assert«). Die Universität Edinburgh nahm 2009 ein »policy statement« mit der Verpflichtung an, Patente in Entwicklungsländern nur einzuklagen, wenn es unbedingt notwendig sei. Das gelte auch für ihre industriellen Partner.[Siehe unter: http://www.med4all.org/fileadmin/med/pdf/Edinburgh_Essential_Me dicines_Position_Statement_2009.pd(Zugriff am 17.02.2012).]

Was als Debatte an der Yale University begann, führte zur Gründung der Universities Allied for Essential Medicines (UAEM), die weltweit zahlreiche Mitgliedsgruppen hat. UAEM entwickelte das erste Modell einer Equitable License und regte 2006 die Unterzeichnung des Philadelphia Consensus Statement an, mit dem sich Universitätsvertreter zur sozialen Verantwortung ihrer Einrichtung bekennen.1
Der Begriff »Equitable Licensing« ist weitgehend synonym mit Begriffen wie »Humanitäre Lizenzen«, »Gerechter Zugang« oder »Weltweiter Zugang« (»Equitable Access«, »Global Access«), zu einem gewissen Grade auch mit »Preisdifferenzierung« (»differential pricing«) oder »Zwei-Säulen-Preisgestaltung« (»two-tired pricing«). Er unterscheidet sich aber in fünf Aspekten von anderen Lizenzinstrumenten, die ebenfalls den Zugang zu Medikamenten erleichtern sollen.

  • Equitable Licenses bauen auf Verträgen auf (zwei- oder mehrseitige Konsortialabkommen). Sie unterscheiden sich damit von Zwangslizenzen[Zwangslizenzen sind Benutzungsrechte, die der Staat aus Gründen einer öffentlichen Notlage, an einen Wettbewerber vergibt (nationale Grundlage in Deutschland: § 24 PatG; im internationalen Rahmen: Art. 31 TRIPS).], die einseitig vom Staat dekretiert werden
  • Der Gegenstand des Vertrags ist der Transfer von Wissen in eine Richtung, aus der Forschungseinrichtung hin zur Industrie im Rahmen von Lizenzen oder langfristig angelegten Kooperationen. Damit unterscheidet sich Equitable Licensing von komplexen Lizenzmodellen wie Clearinghouses2, Patent Pools3 oder Informationsplattformen4.
  • Der Begriff »Equitable License« ist auf Transferformen von Wissenschaft zur Industrie beschränkt. Verträge zwischen Wettbewerbern sind nicht für Equitable Licensing geeignet.
  • Ebenso wenig sind einseitige Erklärungen und Angebote von Firmen, wie die »non-assert pledges«, als Equitable Licensing zu bezeichnen, denen es an der Einflussnahme durch die öffentlichen Forschungseinrichtungen fehlt.
  • Schließlich haben Equitable Licenses eine umrissene Zielgruppe, so dass allgemeine und unspezifische Transfers nicht als solche qualifiziert sind wie etwa
  • die neuen Creative- Commons-Initiativen5, die auf die Entwicklung »Grüner Technologien« gerichtet sind (Hall/Helmers 2010).6), dazu kritisch allerdings Hall/Helmers 2010.]

Equitable Licensing und Technologietransfer

Equitable Licensing baut auf den Strukturen des modernen, eigentumsgestützten Technologietransfers von Universitäten zur Industrie auf – eine Entwicklung, die weltweit als »post Bayh-Dole« bezeichnet wird. Der »Bayh-Dole-Act« von 19807 war das Herzstück eines Gesetzespakets, dem das US-amerikanische Wachstum der Informations- und Biotechnologien in den 1980er-Jahren zugeschrieben wird. Es weist den Universitäten das Patenteigentum an Erfindungen zu, die aus staatlich geförderten Projekten entstehen. Zuvor stand das Patenteigentum aus staatlich geförderten Forschungen der US-Regierung zu. Dieses Gesetz legte den Grundstein für einen Boom von Firmengründungen aus Universitäten heraus (»Start-ups«) und es stieß neue Kooperationsformen zwischen Wissenschaft und Industrie an, die die Grundlagenforschung auf Produktentwicklung hin orientierte (Cohen et al. 2002: 1-23). Das Vorgehen wurde weltweit kopiert.

Die Bayh-Dole-Philosophie hat ein gewandeltes Verständnis von Grundlagenforschung angestoßen. Zuvor galt Grundlagenforschung als »anwendungsfern«, ohne konkrete Produktorientierung. Spätestens seit »Bayh-Dole« gilt jedoch auch für die Grundlagenforschung, dass ihre Förderung insbesondere dann sinnvoll ist, wenn sie zur Entwicklung von Produkten beiträgt, die die Verbraucher »haben wollen«. Zentraler Baustein dieser Philosophie ist der Patent-Mechanismus. Er erlaubt frühe Investitionen in neue Technologien, da diese im Nachhinein über den Monopolpreis wieder eingespielt werden können. Allerdings versagt der Mechanismus, wenn es an Nachfrage fehlt. Dies ist unter anderem bei Krankheiten der Fall, die entweder nur wenige oder nur wenig zahlungskräftige Patienten betreffen. In diesen Feldern wird weder genügend Forschung betrieben noch die Versorgung sichergestellt – selbst wenn im Prinzip Medikamente zur Verfügung stehen. In diesen Fällen sprechen die Ökonomen von »Marktversagen«, das staatliches Engagement erforderlich macht.

Es gibt einerseits die klassische Forschungsfinanzierung und andererseits Anreizsysteme, wie das seit 2010 existierende »priority voucher« für humanitäre Zwecke des US-PTO8 (das eine vorzugsweise Bearbeitung von Einsprüchen ermöglicht) oder das »priority voucher« der US-FDA[11 Die Food and Drug Administration (FDA) ist die Behördliche Lebensmittelüberwachung und Arzneimittelzulassungsbehörde der Vereinigten Staaten. Sie ist dem Gesundheitsministerium unterstellt (Anm. der Hg.).], das seit 2008 vorzugsweise für die Genehmigung von Produkten, die für Entwicklungsländer von Bedeutung sind, eingesetzt wird. (Ebenso können regierungsunmittelbare Forschungszentren gegründet werden, wie etwa das im Dezember 2010 beschlossene und im Juni 2011 budgetierte neue National Center for Advancing Translational Sciences (NCATS) unter dem Dach der US-National Institutes of Health.)
Equitable Licensing ergänzt diese staatlichen Interventionen, insbesondere die Forschungsförderung, indem es die steuerfinanzierte Förderung von Wissenschaft in konkrete Verantwortung und Pflichten der Institutionen und Wissenschaftler überführt. Diese Verantwortung wird vertraglich an den Industriepartner weitergegeben, der in die Produktentwicklung investiert. Somit reagiert das Instrument sowohl auf Situationen des »Marktversagens« als auch auf die persönliche und institutionelle Verantwortung, die mit steuerfinanzierter Förderung einhergeht.

Eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Integration von Equitable Licensing in den Aufgabenkatalog der Technologietransferstellen (Universitäten und Forschungseinrichtungen) ist die Honorierung dieses Engagements. Bislang wird die Leistung der Technologietransferstellen allein an der Zahl der Ausgründungen und der Höhe des finanziellen Rückflusses aus dem Rechteverkauf, den Lizenzgebühren und den Unternehmensbeteiligungen gemessen. Die Verhandlung umfangreicher Vertragswerke, die auf den Verwertungsprozess für Medikamente Einfluss nehmen und diesen begleiten, ist in der Praxis ein aufwändiger Prozess. Die Leitungen der Forschungseinrichtungen müssen verstehen, dass Equitable Licensing einen erheblichen Renommeegewinn erwirken kann.
Hieraus folgt zweierlei: Eine Erfindung darf nicht allein deshalb einem Industriepartner zugesprochen werden, nur weil er die höchste Lizenzgebühr verspricht. Zweitens muss die Einrichtung daran interessiert sein, dass ihr das Eigentumsrecht langfristig zusteht.9

Dies erfordert, dass beide, Forschungseinrichtungen und Industriepartner, den Nutzen des Equitable Licensing für sich erkennen und neue Kriterien für die Honorierung dieser innovativen Form des Technologiemanagements entwickeln. Carol Mimura, Technologiemanagerin der Universität Berkeley, spricht sich deshalb für die Bewertung mit nichtökonomischen Wohlfahrtsgewinnen aus, wie etwa dem Gewinn für den Ruf der Universität und der eingesparten Kosten für das Gesundheitssystem (Mimura 2010: 293). Zur Quantifizierung greift sie auf Kriterien der Gesundheitsökonomie zurück, wie DALYs (Disease Adjusted Life Years) und QUALY (Quality Adjusted Life Years).10 Auch wenn diese Ansätze der Verfeinerung bedürfen, so zeigen sie doch, dass führende Forschungsuniversitäten erkannt haben, dass ihre Ziele nicht mit der isolierten Gewinnorientierung von Unternehmen identisch sind. Jede einzelne Institution kann diesen Prozess auf unterschiedliche Weise voranbringen. Die Grundsätze, die eine Institution auf sich anwenden will, gehören in eine Lizenzpolitik, auf die sich die Mitarbeiter in den Technologietransferbüros berufen können.

Equitable Licensing in Deutschland

In Deutschland geht der eigentumsgestützte Technologietransfer auf die sogenannte »Verwertungsinitiative« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) von 2002 zurück. Ihr politisches Ziel war die Förderung der Verwertung von Wissen, das in den Universitäten geschaffen wird, durch den Aufbau eines professionellen Transfermanagements. Kernstück der Initiative war die Zuweisung des Patenteigentums an die Universitäten, das zuvor unmittelbar den Professoren zustand. Hierin unterscheidet sich die deutsche Verwertungsinitiative grundlegend vom US-Vorbild. Dort wurde das Patenteigentum, das zuvor nach staatlicher Förderung dem Staat zustand, erstmals 1980 den Universitäten zugeordnet. Diese Zuordnung wurde allerdings an ein Verbot des Eigentumstransfers gebunden. In Deutschland gab es andersartige, gewachsene Strukturen des Technologietransfers, der insbesondere an den Technischen Universitäten gepflegt wurde. In der Regel kam es dabei sehr früh zur Aufgabe der Eigentums-rechte durch die Professorinnen und Professoren; oft wurden die Patente bereits durch die Unternehmen angemeldet. Im Gegenzug wurde Forschung finanziert, Studierende fanden eine Anstellung, Abschlussarbeiten wurden innerbetrieblich betreut. Den entscheidenden Wandel hat die Verwertungsinitiative auf institutioneller Ebene angestoßen. In den vergangenen zehn Jahren waren Politik und Universitäten im Wesentlichen mit dem Aufbau der Technologietransferstellen beschäftigt. Aufgrund des mangelnden Übertragungsverbots führten die Beteiligten ihre vorhandenen Verwertungsmuster des Patentverkaufs oder der Vorababtretung fort, oder sie übernahmen die gewinnorientierten Lizenzvertragsmuster der Industrie. Ersteres hat eine verzerrende Wirkung auf die tatsächliche Verwertungsbilanz der Technologietransferstellen zur Folge. Letzteres verdeckte lange, dass die Universitäten zwar »verwerten« sollen, aber durch ihre neue Aufgabe nicht zu profitorientierten Unternehmen geworden sind. Das fehlende Übertragungsverbot führt bis jetzt noch zu einer Verzerrung der Patentstatistiken. Erst langsam wächst das Selbstverständnis der Universitäten, dass sie (auch) einen anderen Auftrag zu verteidigen haben. Dieser Wandel wird durch eine neue Initiative des BMBF gestärkt: Erstmals verlangte man in der Ausschreibung eines Forschungsprogramms 2011 von den Fördernehmern, sich mit der Möglichkeit des »Equitable Licensing« auseinanderzusetzen (BMBF 2011).

Nicht ein spezifisch deutsches, aber ein wichtiges Element von »Equitable Licensing« ist die besondere Motivation von Wissenschaftlern. Dass diese von zentraler Bedeutung für bahnbrechende Entwicklungen ist, hat jüngst eine Fallstudie am Beispiel des Medikaments Miltefosin gezeigt. Miltefosin kann gegen den Erreger der Leishmaniose eingesetzt werden (Wagner-Ahlfs et al. 2010). Die Studie belegt, dass erst der persönliche Einsatz von Wissenschaftlern langfristig bahnbrechende Ergebnisse ermöglicht und entgegen kurzfristigen Management-Entscheidungen erfolgreich sein kann; sie zeigt: Der Patentschutz ist im Verhältnis zur Schaffenskraft der Wissenschaftler zweitrangig. In diesen Konstellationen kann Equitable Licensing die Ambitionen der Forscher für den Verwertungsprozess in langfristige Vertragsbindungen überführen.

Equitable Licensing — eine pragmatische Annäherung an das Prinzip der Commons

Equitable Licensing ist ein Konzept, um Wohlfahrtsziele zu erreichen. Das von Christine Godt und Tina Marschall (2010) entwickelte modulare Konzept kann mit unterschiedlichem Anspruch (Gold-, Silber-, Bronze-Standard) umgesetzt werden. Die öffentlich frei zugänglichen Leitlinien übersetzen das jeweils anvisierte Niveau in konkrete Vertragsklauseln. Es gibt nicht »die« Modelllizenz.

Equitable Licensing ist demnach ein pragmatisches Beispiel für die Umsetzung öffentlicher Ansprüche an die Forschung als Commons. Es ist pragmatisch, weil es auf die derzeitige Realität der patentierten Forschungsergebnisse aufbaut. Es verlangt keinen freien, öffentlichen Zugang. Was zählt, ist das erreichte Ziel: im Fall des med4all-Projekts zum Beispiel der verbesserte Zugang zu Medikamenten für diejenigen, die dies benötigen. Ausgangspunkt ist die steuerfinanzierte Forschung: Aus der öffentlichen Förderung erwächst öffentliche Verantwortung. Aus diesem Grund kann Patenteigentum nicht unbeschränkt sein. Es unterliegt den Erwartungen, die die öffentliche Hand mit der (Projekt-)Förderung verband.

Equitable Licensing verspricht drei Neuerungen: Erstens kann die Versorgung ganz praktisch durch vertragliche Verpflichtung sehr viel konkretere Formen annehmen. Zweitens erlaubt das Konzept die aktive Beteiligung neuer Akteure: Forschungsinstitutionen, einzelne Wissenschaftler, Nichtregierungsorganisationen, Technologiemanager und die Industrie können sich dafür einsetzen, dass die Früchte ihrer Forschung die Verbraucher erreichen. Das Konzept geht von einer Verpflichtung der öffentlich geförderten Einrichtungen aus, sich im Forschungstransfer zur Industrie aktiv für die öffentlichen Interessen einzusetzen. Drittens begründet und zeigt es, dass »die Interessen der Allgemeinheit« nicht, wie im klassischen Staatsverständnis, allein durch den Staat wahrgenommen werden müssen (etwa in Form von Zwangslizenzen). Vielmehr sind die Eigentümer und die vertraglichen Nutzer der Öffentlichkeit auch direkt verpflichtet. Damit wird der Anspruch aktualisiert, Forschung als Commons zu erhalten.

Literatur

  • Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF 2011): Förderkonzept Vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten, Berlin.
  • Cohen, Wesley M./Nelson, Richard R./Walsh, John P. (2002): »Links and Impacts: The Influence of Public Research on Industrial R&D«, in: Management Science 48, S. 1-23.
  • Godt, Christine (mit Unterstützung von Tina Marschall) (2010): Equitable Licensing – Lizenzpolitik & Vertragsbausteine, online unter: http://www.med4all.or (Zugriff am 05.12.2011).
  • Godt, Christine (2011): »Equitable Licenses in University-Industry Technology Transfer«, GRUR Int., S. 377-385.
  • Hall, Bronwyn H./Helmers, Christian (2010): Innovation in Clean/Green Technology: Can Patent Commons Help? Diskussionspapier für das Jahrestreffen der EPIP in Maastricht (Niederlande), 20.-22. September 2010.
  • Mimura, Carol (2010): »Nuanced Management of IP Rights: Shaping Industry-University Relationships to Promote Social Impact«, in: Dreyfuss, Rochelle C./First, Harry/Zimmerman, Diane L. (Hg.): Working within the Boundaries of Intellectual Property, Oxford, S. 293.
  • Murray, Christopher J.L. (1994): »Quantifying the Burden of Disease: The Technical Basis for Disability-Adjusted Life Years«, in: Bull World Health Organ 72(3), S. 429-445.
  • Stevens, Ashley/Effort, April E. (2008): »Using Academic License Agreements to Promote Global Social Responsibility«, in: Les Nouvelles – Journal of the Licensing Executives Society Intl’, S. 85-101.
  • Van Overwalle, Geertrui (2009): Gene Patents and Collaborative Licensing Models, University of Leuven, University of Tilburg; auch http://www.gilead.com (Zugriff am 23.11.2011), mit mehreren Presseerklärungen.
  • Van Overwalle, Geertrui (2010): »Designing Models to Clear Patent Thickets in Genetics«, in: Dreyfuss, Rochelle C./First, Harry/Zimmerman, Diane L. (Hg.): Working within the Boundaries of Intellectual Property, Oxford, S. 305-323.
  • Wagner-Ahlfs, Christian (2009): »Gesundheitsforschung für wen? Die gesellschaftliche Verantwortung von Hochschulforschung«, in: Forum Wissenschaft, S. 52-54.
  • Wagner-Ahlfs, Christian/Wolf, Jennyfer (2010): »Miltefosin – Eine Fallstudie, wie öffentliche Erfindungen für arme Länder verfügbar gemacht werden können«, in: Chemotherapie Journal, Vol. 19, Nr. 3, S. 63-69.
  1. Siehe unter: http://www.essentialmedicine.org/ (Zugriff am 17.02.2012).
  2. Clearinghouses sind Einrichtungen, die für ein spezifisches Technologiefeld die Serviceleistung des Austauschs und der Bündelung von Lizenzen anbietet, ohne Exklusivität und Bilateralität wie beim Patentpool, ausführlich dazu G. v. Overwalle (2009).
  3. Wie etwa der 2008 von UNITAID eingerichtete Pool. UNITAID wurde 2006 durch fünf Staaten gegründet, um den Zugang zu Medikamenten für HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose zu verbessern, siehe unter: http://www.unitaid.eu/en/The-Medicines-Patent-Pool.html.
  4. ChEMBL Neglected Tropical Disease, Website zu Komponenten der Malaria-Kontrolle, Man Tsuey Tse, in: Nature Reviews, Vol. 6/2010.
  5. Mehr zu Creative-Commons-Lizenzen schreibt Mike Linksvayer in diesem Buch (Anm. der Hg.).
  6. Wie zum Beispiel die »Eco-Patent Commons« (http://www.wbcsd.org/ [Zugriff am 17.02.2012
  7. 35 U.S.C. (United States Code) § 200, § 212, eingeführt durch 37 C.F.R. (Code of Federal Regulations) 40.
  8. Das United States Patent and Trademark Office (PTO oder USPTO) mit Sitz in Alexandria (Virginia) ist die Patentbehörde der USA und dem Handelsministerium unterstellt. Es vergibt die Patente für angemeldete Erfindungen und ist für die Etablierung von Marken- und geistigen Eigentumsrechten verantwortlich (Anm. der Hg.).
  9. In den USA ist die Übertragung von Patenteigentum, das aufgrund öffentlich finanzierter Förderung entstanden ist, grundsätzlich unzulässig.
  10. Beide Konzepte sind Methoden der Quantifizierung von Lebensverlängerung und Lebensqualitätsverbesserung, die in der Medizin, Soziologie und der Ökonomie Anwendung finden. Das DALY-Konzept wurde erstmals 1993 im Welternährungsbericht der Weltbank benutzt. Zur Methode siehe Murray 1994.
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