Ryan T. Conway – Ideen für den Wandel — der Institutionenvielfalt Sinn geben

Ryan T. Conway

Die Theorien und Ideen von Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom, die der Frage nachgeht, wie Menschen in Gemeinschaften kooperieren (oder auch nicht), haben zu einem eigenen Ort kollektiven Handelns inspiriert. Dieser »Ort« ist der Workshop in Political Theory and Policy Analysis an der Indiana University in Bloomington, Indiana, USA. Studenten und Wissenschaftler vieler Disziplinen arbeiten hier sowie Menschen, die aktiv am Management gemeinschaftlicher Wassernutzung, in Fischereiorganisationen, an der Bereitstellung städtischer Dienstleistungen und in Genossenschaften beteiligt sind.
Fasziniert von dem praktischen Ansatz und der Möglichkeit, das Instrumentarium des Workshops zu nutzen, sowie von der bunt gemischten Gruppe von Wissenschaftlern und Praktikern, bewarb ich mich 2010 beim Workshop als Doktorand. Das Team in Bloomington hat mit der Zeit fast 260 Gastwissenschaftler aufgenommen, weitere 18 kommen im laufenden akademischen Jahr hinzu. Eine derartige internationale und interdisziplinäre Vielfalt – die den Workshop seit seiner Gründung 1973 prägt – ist wahrlich eine Quelle der Inspiration. Und eine Seltenheit in der akademischen Welt.

Im Folgenden skizziere ich die Grundlagen des Workshops und beantworte – aus meiner Sicht – die Frage, wie nützlich das dort entwickelte Instrumentarium für die Praxis und die wissenschaftliche Forschung ist. Meine Grundüberzeugung ist einfach: Geteilte Ideen und ein gemeinsames Grundverständnis von Situationen und Problemen sind sowohl für die Schaffung als auch für die Analyse von Institutionen unabdingbar.

Die klassische Sichtweise in Frage stellen

Im Workshop wird häufig gewarnt: »Es gibt keine Patentrezepte!« Das heißt: Es gibt für problematische Situationen keine »Lösung von der Stange«, und es gibt kein endgültiges Modell für eine soziale Ordnung, denn Verhaltensweisen und Umstände verändern sich fortlaufend. Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, unsere Modelle der sozialen Ordnung stets auf den neuesten Stand zu bringen. Nur so können wir sie genauer beschreiben und – hoffentlich – nützliche Erkenntnisse für jene Menschen anbieten, die in der Komplexität des sozialen Miteinanders vor schwierigen Entscheidungen stehen. Diese kontinuierliche Anpassung ist nicht nur praxisrelevant, sie ist auch eine wichtige Sichtweise.
Ein Beispiel: Strategien zur »bestmöglichen« Nutzung der uns zur Verfügung stehenden Ressourcen auszuarbeiten und anzuwenden bedeutet, mit dem geringstmöglichen ideologischen Ballast zu »wirtschaften«. Jede Art zu wirtschaften – ob es sich nun um den internationalen kapitalistischen Markt handelt, ein zentral geplantes nationales Produktions- und Distributionssystem oder um eine Tauschgemeinschaft unter Nachbarn – geht mit ihrem eigenen Verständnis der Welt und einer Vorstellung davon einher, was »am besten« ist. Wenn sich demnach eine Gruppe auf gemeinsame Annahmen über die Welt einigt, etwa darüber, wie eine Volkswirtschaft funktionieren soll, kann sie den Dingen eine Ordnung geben. Mehr noch: Wenn sie solch ein gemeinsames Modell der Welt hat, kann sie einzelne Aspekte, Attribute und Beziehungen klären und weitere Ordnungsschichten hinzufügen.
Aber was ist ein Modell der Welt ohne die Menschen, die darin leben?1 Uns selbst mit einzubeziehen erfordert Selbstreflexion. Es erfordert einen Prozess, in dem wir anerkennen müssen, dass unsere rationalen und sinnstiftenden Fähigkeiten zusammenwirken, um uns – und künftigen Generationen – das Überleben zu ermöglichen. Doch dabei können Probleme auftauchen: Wenn alle Beteiligten in einer bestimmten Konstellation versuchen, die zur Verfügung stehenden Ressourcen einzeln zu nutzen, profitiert nicht immer die Gruppe davon – im Gegenteil. Und genau das geschieht, wenn Menschen kein gemeinsames Bild davon haben, was vorgeht oder was zu tun ist. Wenn wir Schwierigkeiten haben, unsere Ideen zu koordinieren, haben wir häufig auch Probleme zu kooperieren. Wir nennen solche Situationen »soziale Dilemmata«.
Eines der schwierigsten sozialen Dilemmata ist die sogenannte »Tragik der Allmende«. Zwar kann sich die Allmende (Commons) auf jegliche Art gemeinsamer Ressourcen und deren Nutzungsregeln beziehen, aber ein Großteil der Arbeit von Ostrom beschäftigt sich mit Ressourcen wie Land und Wasser, die von Gemeinschaften zur Existenzsicherung genutzt werden. Solche Ressourcen – etwa Fischressourcen oder Bewässerungssysteme – sind sogenannte »common pool resources« (CPRs), Gemeinressourcen, das heißt, sie sind in ihrer Verfügbarkeit begrenzt und nur schwer durch Eigentumsrechte zu managen.
Lange Zeit glaubten zahlreiche Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger, die einzige Möglichkeit, eine Tragödie zu vermeiden, sei, die Commons zu privatisieren oder durch den Staat zu verwalten. Aber davon ließ sich Ostrom nicht überzeugen. Ihre recht radikale Idee bricht mit der klassischen Sichtweise: Der Erhalt von Gemeinressourcen hängt weder davon ab, ob der Staat Gesetze erlässt oder Strafen auferlegt, noch davon, ob jedem Fisch, jedem Grashalm oder jedem Tropfen Wasser ein monetärer Wert zugewiesen wird. Stattdessen können Menschen sich zusammentun, ihre Sicht der Dinge teilen und ihre Ressourcen verwalten, indem sie selbst erarbeitete Normen und Regeln durchsetzen. Sie können, auch wenn das weithin als unkonventionell gilt, »jenseits von Markt und Staat« kooperieren (Ostrom 2010).

Das Instrumentarium des Workshops

Im Laufe vieler Jahre und zahlloser Untersuchungen über Erfolgs- und Misserfolgsfälle gemeinsamer Ressourcenbewirtschaftung haben Elinor Ostrom und die am Workshop Beteiligten ein Instrumentarium entwickelt, um kollektives Handeln zu analysieren. Die so gewonnenen Erkenntnisse helfen den Praktikern und inspirieren die Wissenschaftler. Jedes Instrument kann genutzt werden, um die verschiedenen Arten und Weisen zu beschreiben, wie Gemeinschaften ihr Tun durch strukturierte Entscheidungsprozesse organisieren; das heißt: wie sie sich auf eine Art des Wirtschaftens einigen und wie sie wirtschaften. Im Folgenden die wichtigsten Instrumente:

  • Die »Grammatik von Institutionen« ist eine Art Prüfwerkzeug; sie erlaubt dem Analytiker, jede soziale Norm oder Regel in kleinere Komponenten zu fassen und sie so leichter zu verstehen. Man könnte sie auch »Bausteine der Sozialbeziehungen« nennen. Dies reicht für die Analyse einzelner sozialer Gebote im Grunde aus, doch die meisten Menschen fällen Entscheidungen in Situationen, in denen sie mit mehreren und häufig konfligierenden Normen und Regeln konfrontiert sind.
  • Um die Analyse solch komplexer Situationen voranzubringen, wurde ein weiteres Instrument entwickelt: die Workshopper nennen es »IAD: Institutional Analysis and Development Framework« (Modell zur Analyse von Institutionen und Entwicklungsprozessen). Während die Grammatik von Institutionen am ehesten geeignet ist, um einzelne soziale Normen oder Regeln zu analysieren, so ist IAD am besten geeignet, ein ganzes Set von Normen und Regeln zu studieren, die in einer einzigen Entscheidungssituation zusammentreffen. Zugleich können die grundlegenden relationalen Bausteine vieler sozialer Gebote mit diesem Modell analysiert werden.
  • Der »Social-Ecological Systems Framework« (SES, Modell zur Analyse Sozialökologischer Systeme) wiederum erlaubt dem Wissenschaftler, alle jene Variablen aufzulisten, die mit einem sozial-ökologischen System in Beziehung stehen. Obwohl dieses Modell etwas allgemeiner ist als die beiden anderen Instrumente, kann es sie integrieren.

Die Grammatik von Institutionen

Eine Stärke des Workshop-Instrumentariums ist, dass sämtliche Instrumente miteinander kompatibel sind, da sie von einem Hauptwerkzeug aus entwickelt wurden: der schon genannten »Grammatik von Institutionen« (Crawford/Ostrom 1995), mit dem die grundlegenden Bausteine sozialer Beziehungen identifiziert werden. Beim Workshop gibt es besondere Begriffe für diese Bausteine. Nehmen wir als einfaches Beispiel eine Wohngemeinschaft, deren Bewohner sich verschiedene Aufgaben teilen, die sie abwechselnd übernehmen müssen. Eine der Tätigkeiten ist die des »Abfallmanagers«. Dazu gehört der Umgang mit organischem Abfall: Am zweiten Freitag eines jeden Monats muss die oder der Verantwortliche alle Behälter mit organischem Abfall in die Haupttonne entleeren, und zwar ohne die Deckel der Behälter im Wohnbereich zu öffnen und den Abfall in der Wohnung zu »verteilen«. Die zweite Regel lautet: Wer das nicht wie vorgegeben erledigt, muss die Aufgabe für zwei weitere Monate übernehmen.

Wendet man die fünf beziehungsbezogenen Bausteine des Workshops an, könnte man das Beispiel des Abfallmanagers wie folgt analysieren:

  • »Attribute« (für wen gilt die Norm bzw. Regel): den Abfallmanager der Wohngemeinschaft;
  • »Deontik« (darf, darf nicht, oder muss getan werden): muss der Verpflichtung nachkommen, den organischen Abfall zu entsorgen; darf die Deckel nicht im Wohnraum öffnen; darf keinen Abfall in der Wohnung hinterlassen;
  • »Ziele« (vorgesehene Handlungen): alle Behälter mit organischem Abfall sind in die Haupttonne zu entleeren;
  • »Bedingungen« (wann, wo und wie gilt die Regel): am zweiten Freitag eines jeden Monats, im Hauptgebäude;
  • »Sonst …« (vereinbarte spezifische Strafen, wenn jemand die Vereinbarungen missachtet): sonst bleibt sie bzw. er für zwei weitere Monate Abfallmanagerin.2

Das Beispiel zeigt, wie wir die beziehungsbezogenen Bausteine kombinieren, um eine Norm oder eine Regel zu erstellen, die das Verhalten von Menschen in einer Situation kollektiven Handelns leiten. Im Workshop werden diese Kombinationen »institutionelle Aussagen« genannt, die in Form von Regeln, Normen oder gemeinsamen Strategien auftreten. Wenn eine Gruppe ihr Verhalten durch eine Aussage organisiert, die alle fünf Teile enthält, handelt es sich um eine »Regel«. Wenn die Gruppe keine Strafe – kein »Sonst …« – festgelegt hat, handelt es sich um eine »Norm«. Wenn Mitglieder der Gruppe nur das Wissen über »Attribute«, »Ziele« und »Bedingungen« teilen – wer, was, wann, wo und wie man zu handeln hat – so setzt man nach diesem Ansatz3 voraus, dass jede Person dieselbe Situation wahrnehmen und dieselbe Lösung entwickeln wird: dabei handelt es sich um eine »gemeinsame Strategie«.
Die einfachste Möglichkeit, die Beziehung zwischen der Grammatik von Institutionen und den anderen Instrumenten des Workshops (IAD und SES) zu beschreiben, ist, sich die DNA vorzustellen. Genau wie Nukleobasen und Aminosäuren sich auf verschiedene Weise kombinieren, um viele unterschiedliche Proteine zu bilden, gibt es grundlegende Bausteine von Sozialbeziehungen, die verschieden kombiniert werden, um unterschiedliches Gruppenverhalten zu generieren. Naturwissenschaftler brauchen bestimmte Instrumente, um genetische Bausteine zu identifizieren, und wieder andere, um die biologischen Strukturen, die sich aus diesen Bausteinen zusammensetzen, zu kartieren. In den Sozialwissenschaften verhält es sich genauso: Wir benötigen bestimmte Instrumente, um die Bausteine der Sozialbeziehungen zu identifizieren, und wieder andere, um größere Sozialstrukturen abzubilden.

Das Modell für die Analyse von Institutionen und Entwicklungsprozessen (IAD)

Doch zurück zu unserem Abfallmanager. Die Aufgabe, den organischen Müll zu entsorgen, beinhaltet drei Entscheidungsebenen: Erstens, ein Plenum der Bewohner der Wohngemeinschaft entscheidet, die Rolle des Abfallmanagers in die Aufgabenliste aufzunehmen, und ernennt ein Komitee zur Erarbeitung der Details; zweitens, das Komitee entscheidet über die konkreten Pflichten und wie sie zu erfüllen sind; drittens, das Mitglied, das diese Aufgabe übernimmt, muss sich entscheiden, ob und wie es die Aufgabe ausführen will.
Ebene 1 ist eine »Entscheidung über eine Verfassung«: Die Mitglieder entscheiden darüber, wie Regeln aufgestellt werden sollen. Ebene 2 ist eine »Entscheidung über die Ausführungsregeln«: Die Mitglieder des Komitees stellen also unter Berücksichtigung der Wie-Leitlinie aus Ebene 1 die Regeln auf. Ebene 3 ist eine »Entscheidung über das Wie der Operation«: Das Mitglied entscheidet, wie es der Aufgabe des Abfallmanagers gerecht wird.

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Jede Entscheidung, die auf einer dieser drei Ebenen getroffen wird, stellt in der Sprache der Workshopper eine »Handlungssituation« dar. Zur Erläuterung dieses Begriffs können wir untenstehende Abbildung nutzen. Betrachten Sie die sieben Hauptelemente: Akteure, Positionen, Handlungen, Information, Kontrolle, Netto-kosten und -nutzen sowie potentielle Ergebnisse. Am Rande zeigt eine bestimmte Regel auf jedes der sieben Hauptelemente. Zum Beispiel bestimmt links unten eine »Entscheidungsregel«, welche Art Handlung eine Person ausführen kann.
Wenn wir uns nun erinnern, dass die Grammatik von Institutionen in der Lage ist, jede dieser Regeln zu analysieren, kann man erkennen, dass sie, je nachdem, wie spezifisch die Analyse sein soll, gemeinsam mit dem IAD sinnvoll genutzt werden kann. Die Beziehung zwischen den Modellen IAD und SES ist ganz ähnlich.
Dieses Modell für sozial-ökologische Systeme (SES) (Ostrom 2007) gibt eine umfassende Liste wichtiger Faktoren, Beziehungen und Variablen vor, die Berücksichtigung finden müssen, um zu verstehen, wie sich soziale Arrangements
– etwa Normen und Regeln – mit natürlichen Beziehungen in einem Ökosystem überlappen. So wie das Modell IAD eingesetzt werden kann, um das Management einer einzelnen Gemeinressource zu analysieren, ermöglicht SES einem Forscher, mehrere Ressourcen in einem größeren Ökosystem zu identifizieren und deren Management zu vergleichen.
Da IAD drei Analyseebenen enthält und jede Ebene wiederum sieben Regeln, liegt es auf der Hand, dass es sehr schnell sehr kompliziert werden kann. Der Vorteil unseres Workshop-Instrumentariums ist allerdings, dass es bei sorgfältigem Einsatz ein gewisses Maß an Konsistenz und Ordnung in unser Nachdenken über diese unglaublich komplexen Situationen bringen kann. Überdies können die Instrumente auch unabhängig voneinander genutzt werden. Man sucht sich die jeweils passenden Werkzeuge nach den spezifischen Gegebenheiten aus.
Wem es nicht lohnend erscheint, sich durch dieses »Fachchinesisch« durchzuarbeiten, sollte sich die Vorteile noch einmal vergegenwärtigen: Wenn wir alle auf der Basis eines gemeinsamen Verständnisses zusammenarbeiten – in unserem Beispiel auf der Basis der analytischen Instrumente des Workshops –, dann verbessern wir unsere Fähigkeit zur Zusammenarbeit.

Eine Variable fehlt: Wie Ideen und Worte einen Unterschied machen

»Aber«, könnten Sie fragen, »brauchen wir dieses neue Vokabular denn wirklich, um unsere ganz gewöhnlichen Erfahrungen zu beschreiben?« Ich denke Ja – und zwar aus einem einfachen Grund: Unser Denken und Sprechen strukturiert und bestimmt (teilweise) unser Verhalten, gleichgültig, ob wir kollektiv handeln oder darüber forschen. Wenn wir also lernen, Ideen miteinander zu teilen und sie mit denselben Worten zu beschreiben, werden wir uns einem Thema besser gemeinsam nähern können. Zudem bin ich überzeugt, dass sowohl die Praxis des kollektiven Handelns als auch die Forschung auf dem gründen, was Tomasello »gemeinsame Absicht« nennt und manche Politikwissenschaftler als »kollektive Ideenbildung« bezeichnen (Tomasello et al. 2005).
Mit anderen Worten: Effektives kollektives Handeln kann in der Praxis auf eine gemeinsame Vision angewiesen sein – sowohl eine Vision unserer Welt als auch der Ziele, die wir in ihr zu verwirklichen suchen. In einem Tauschsystem in der Nachbarschaft mag dies eine Idee davon sein, was die Nachbarschaft ausmacht oder welche Güter ausgetauscht werden können. Es kann auch ein explizites oder unausgesprochenes Ziel sein, wegen dem das System überhaupt ins Leben gerufen wurde. Im Workshop ist dieses Gemeinsame die Akzeptanz des Instrumentariums selbst. Es bildet den Ausgangspunkt für Konzepte und Modelle, die uns dabei unterstützen, Sozialverhalten zu erklären. Ohne gemeinsame Ziele wäre es für die Nachbarn schwierig, ein Tauschsystem zu organisieren; ohne die gemeinsamen Ideen und Begriffe würde der Workshop nicht funktionieren. Diese Behauptung ist durchaus kontrovers, und die Gründe dafür sind komplex.4 Aber der eigentliche Kern des Workshops liegt darin, die Grenzen unserer Instrumente kontinuierlich zu hinterfragen, auszuweiten und zu revidieren – und zwar aus so unterschiedlichen Perspektiven wie sie der Vielfalt der Workshopper entsprechen.

Egal, ob man Mainstream- oder Alternativökonomien betrachtet, man wird immer auf irgendein soziales Dilemma stoßen. Viele Wissenschaftler sagen, dass die Überwindung sozialer Dilemmata bedeute, das Problem kollektiven Handelns zu lösen. Das ist eine verallgemeinernde Art zu sagen: Wenn man Vorteile für alle Gruppenmitglieder wünscht, muss ein Teil der Menschen das Risiko akzeptieren, mehr zu zahlen. An diesem Punkt kommen die Ideen des Workshops zum Tragen. Gruppen können manchmal das Problem kollektiven Handelns lösen, indem sie Regeln, Normen und gemeinsame Strategien anwenden. Allerdings können weder institutionelle Aussagen noch ihre beziehungsbezogenen Bausteine einfach aus dem Nichts entstehen. Eine gemeinsame Absicht muss entwickelt werden – das heißt, ein »Problem der kollektiven Ideenbildung« muss überwunden werden, bevor5 Gruppen effektiv zusammenarbeiten können.
Kollektive Ideenbildung beinhaltet, gemeinsame Definitionen, kollektives Wissen und ein gemeinsames Verständnis einer Situation zu finden und sich darauf zu einigen. All dies ist erforderlich, um Institutionen zu schaffen. Crawford und Ostrom merken an, dass man durch die Konzentration auf das gemeinsame Verständnis von Erwartungen, Präferenzen und Verhalten die Falle vermeide, Institutionen als Dinge zu behandeln, die außerhalb des gemeinsamen Verständnisses und dem daraus resultierenden Verhalten der Beteiligten existierten (Crawford/ Ostrom 1995). Andere Wirtschaftswissenschaftler teilen dies. Denzau und North haben einen viel beachteten Artikel geschrieben, in dem sie erläutern, welche Bedeutung dieses gemeinsame Verständnis hat – sie reden von »mentalen Modellen« (Denzau/North 1994). Diana Richards, Whitman Richards und Brendan McKay haben dazu beigetragen, dass wir besser verstehen, wie mentale Modelle die Entscheidungsfindung beeinflussen, indem sie abbilden, wie gemeinsame Wissensstrukturen das Verhalten der Menschen in sozialen Dilemmata beeinflussen (Richards 2001; Richards et al. 2002).
Mentale Modelle zeigen, wie wir die Welt ordnen und verstehen. Sie sind nützliche, vereinfachte Versionen unserer sozialen und ökologischen Welten, genau wie eine Landkarte eine nützliche, vereinfachte Version eines Territoriums ist. Wenn wir jedoch unsere unterschiedlichen mentalen Modelle, zum Beispiel eines Fischereigebiets, nicht durchdiskutieren, gibt es kaum eine kollektive Ideenbildung, denn unsere Auffassungen über den Umgang mit unseren Ressourcen stehen durchaus miteinander im Konflikt.

Welcher Schritt folgt nun, nachdem wir anerkannt haben, dass gemeinsame Ideen und eine gemeinsame Sprache für die Entwicklung effektiver Institutionen wichtig sind? Manche Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass die Arbeit innerhalb einer Organisation besser wird, wenn man die Barrieren zwischen verschiedenen Fachsprachen durchbricht und mentale Modelle teilt. Des Weiteren wissen wir, wie schwierig es ist, Basisprojekte kollektiven Handelns zu gründen, auszuweiten oder zu kopieren, etwa Wirtschaftsgemeinschaften zwischen Landwirten und Verbrauchern, Tauschsysteme in der Nachbarschaft und andere. Der Erfolg solcher Vorhaben kann davon abhängen, wie viel Mühe man in die gemeinsame Ideenbildung steckt, bevor man beginnt, messbare Lösungen zum Problem des kollektiven Handelns zu entwickeln.
Wenn es dann gelingt, Gemeinsamkeiten mit Gruppen zu finden, die andere mentale Modelle und ein anderes Vokabular haben, wäre es für alle leichter, kollektiv zu handeln.

Dieser Beitrag ist die adaptierte und gekürzte Fassung eines Aufsatzes, der zuerst im Grassroots Economic Organizing (GEO) Newsletter erschien: GEO Newsletter, Band 2, Ausgabe 9, Collective Action: Research, Practice and Theory.

Literatur

  • Clemente, Floriane (2010): »Analysing Decentralised Natural Resource Governance: Proposition for a ›Politicised‹ Institutional Analysis and Development Framework«, in: Policy Sciences 43(2), S. 129-156.
  • Crawford, Sue/Ostrom, Elinor (1995): »A Grammar of Institutions«, in: American Political Science Review 89(3), S. 582-600.
  • Denzau, Arthur/North, Douglass (1994): »Shared Mental Models: Ideologies and Institutions«, in: Kyklos 47(1), S. 3-31.
  • Ostrom, Elinor (2005): Understanding Institutional Diversity, Princeton.
  • Ostrom, Elinor (2007): »A Diagnostic Approach for Going beyond Panaceas«, in: PNAS 104(39), S. 15181-15187.
  • Ostrom, Elinor (2009): »A General Framework for Analyzing Sustainability of Social-Ecological Systems«, in: Science 325(5939), S. 419-422.
  • Ostrom, Elinor (2010): »Beyond Markets and States: Polycentric Governance of Complex Economic Systems«, in: American Economic Review 100(3), S. 641-672.
  • Richards, Diana (2001): »Coordination and Shared Mental Models«, in: American Journal of Political Science 45(2), S. 259-276.
  • Richards, Whitman/McKay, Brendan D./Richards, Diana (2002): »The Probability of Collective Choice with Shared Knowledge Structures«, in: Journal of Mathematical Psychology 46, S. 338-351.
  • Tomasello, Michael/Carpenter, Malinda/Call, Malinda/Behne, Tanya/Moll, Henrike (2005): »Understanding and Sharing Intentions: The Origins of Cultural Cognition«, in: Behavioral and Brain Sciences 28, S. 675-735.
  1. Fragen von Machtdisparitäten, Rasse, Klasse und Gender wurden nicht formal in den Analyserahmen des Workshops integriert, aber einige Beteiligte haben sie bearbeitet, etwa: Clemente 2010.
  2. Die englischen Begriffe für die Bausteine sind »attributes«, »deontics«, »aims«, »conditions« sowie »or else« und ergeben das Kürzel ADICO, mit dem im Workshop oft gearbeitet wird (Anm. der Hg.).
  3. Diese Grundannahme gilt auch außerhalb des Workshops. Sie leitet sich aus umfangreichen Forschungen der »Spieltheorie« ab, nach der angenommen wird, dass Menschen Entscheidungen treffen, indem sie die Kosten und Nutzen einer jeden verfügbaren Option kalkulieren. Dieser Ansatz hat viele leistungsfähige mathematische Modelle geschaffen, aber er geht davon aus, dass jeder Mensch im Grunde auf dieselbe Art und Weise Entscheidungen trifft, was selbstverständlich stark umstritten ist.
  4. Wenige haben bislang die Spannung zwischen Ansätzen der Spieltheorie und der gemeinsamen Ideenbildung direkt thematisiert. Diana Richards hat hier beispielsweise interessantes Neuland mit der Gestaltung einiger eleganter formaler Modelle betreten. Sie versucht, die Auswirkungen gemeinsamer mentaler Modelle auf ihre Leistung im Umgang mit Dilemmata zu untersuchen und zu verstehen (Richards 2001).
  5. Hervorhebung durch die Herausgeber.
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