Zwischen Krise und Hoffnung
In der Gegend um Brüssel haben sich die Preise für Wohnraum zwischen 2000 und 2010 verdoppelt. Sozialwohnungen wurden im gleichen Zeitraum kaum gebaut, während die Nachfrage stieg. Dies hat zu Wartezeiten von zehn Jahren und mehr geführt. Daher stehen viele Familien inzwischen vor der Wahl, in beengten Verhältnissen zu leben oder aus Brüssel wegzuziehen.
Angesichts dieser Situation begann man im Gemeindezentrum Buurthuis Bonnevie in Molenbeek, einer der ärmsten Gegenden Brüssels, zu überlegen wie man erschwinglichen Wohnraum selbst schaffen könnte. Es entstand das Projekt »L’Espoir«, in dessen Rahmen in Molenbeek 14 neue Wohnungen errichtet wurden. 14 Großfamilien mit Migrationshintergrund und niedrigem Einkommen konnten sich so eine eigene Wohnung leisten. Der Erfolg von »L’Espoir« (frz. für »Hoffnung«) beruhte nicht zuletzt auf der intensiven Beteiligung der Familien am gesamten Prozess. Das Projekt bewies mit dem Bau der ersten Mehrfamilien-Passivhäuser Brüssels zudem, dass umweltbewusstes Wohnen kein Privileg für Besserverdienende sein muss.
Trotz aller Bemühungen, die Baukosten so niedrig wie möglich zu halten, sind solche Projekte ohne erhebliche öffentliche Zuschüsse nicht realisierbar; in diesem Fall wurden 25 Prozent der gesamten Baukosten, etwa 30.000 bis 40.000 Euro pro Familie, vom Staat übernommen. Das war auch nötig, doch nun überlegten wir, ob es für öffentliche Mittel nicht auch Verwendungsweisen jenseits des klassischen Eigentumsprinzips geben müsse. Wir erkannten, dass bei einem künftigen Verkauf der bezuschussten Wohnungen die jetzigen Eigentümer die ursprünglichen Zuschüsse behalten würden, zuzüglich der Wertsteigerung zum Zeitpunkt des Verkaufs. Das Wohneigentum würde dann an den Meistbietenden verkauft, vermutlich an jemanden aus einer höheren Einkommensschicht als die derzeitigen Eigentümer. Was also durch gemeinsames Engagement für bezahlbare Sozialwohnungen entstanden war, würde auf dem Immobilienmarkt enden. Wir sahen uns nach neuen Rezepten um.
Wohneigentumsprogramme sind eine interessante Möglichkeit, um Familien mit niedrigem Einkommen dabei zu unterstützen, eine angemessene Wohnung zu finden. Wohneigentum emanzipiert, es bietet Sicherheit, Unabhängigkeit und ein gewisses Familienkapital. Allerdings ist eine Wohnungspolitik, die auf der Förderung von Wohneigentum beruht, für die Gesellschaft kaum von Vorteil. Bei traditionellen, staatlich geförderten Wohneigentumsprogrammen können die Objekte nicht mehr als Sozialwohnungen genutzt werden, sobald die Ersteigentümer ausgezogen sind; sie werden stattdessen Teil des Immobilienmarkts, der ja gerade eine Ursache dafür ist, dass einkommensschwache Familien von erschwinglichem Wohnraum ausgeschlossen bleiben. Eine ideale Wohnungspolitik würde daher die Vorteile des Wohneigentums für Individuen mit den Vorteilen des sozialen Wohnungsbaus für die Gesellschaft verbinden.
Die Trusts für Gemeinschaftsland kommen nach Belgien
Wir stellten bald fest, dass wir nicht die einzigen waren, die nach Alternativen suchten. Viele Brüsseler waren betroffen von steigenden Wohnungsmieten, einer unangemessenen Wohnungspolitik, den sich verschärfenden Problemen in Sozialsiedlungen und von der Gentrifizierung, die im Zuge der Stadterneuerung auch in den ärmeren Stadtvierteln eingesetzt hatte. Die Wirtschaftskrise spitzte nun einerseits die Problemlage zu, erzeugte aber andererseits auch eine Atmosphäre, in der Innovation wieder möglich wurde. Im Jahr 2008 lernten mehrere Brüsseler Organisationen erstmals die Trusts für Gemeinschaftsland (Community Land Trusts, CLT) kennen. Sie beschlossen, gemeinsam die Brüsseler Plattform für Trusts für Gemeinschaftsland zu gründen, um das Modell auch in Belgien einzuführen. Wir wollten ein neues Kapitel in der Geschichte dieser Trusts schreiben.
Die ersten dieser Land-Trusts entstanden in den 1970er-Jahren in den USA. Sie stehen in einer langen utopischen Tradition, die privates Eigentum an Grund und Boden als eine der Ursachen für Armut und Ungerechtigkeit erkannte und Gemeineigentum an Grund und Boden als Grundlage einer besseren Gesellschaft sah. Die Ideen von Männern wie Henry George, einem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler, oder von Ebenezer Howard, dem englischen Vater der Gartenstadtbewegung, inspirierten die Gründer des »New Communities Inc.«, des ersten Community-Land-Trusts. Er wurde 1969 in Albany (Georgia, USA) von dem weißen Friedensaktivisten Swann und dem schwarzen Bürgerrechtler Slater King, einem Cousin Martin Luther Kings, ins Leben gerufen.
Viele weitere Land-Trusts sollten folgen, wobei das Modell nach und nach fortentwickelt wurde. Die Betonung lag dabei auf städtischem Wohnraum. Neue Verwaltungsformen wurden entwickelt und die juristische und wirtschaftliche Organisation verfeinert. Schritt für Schritt entstand eine richtige CLT-Bewegung. In den letzten Jahren, insbesondere nach der amerikanischen Immobilienkrise, fand die Idee in den USA immer mehr Anhänger (ein Dutzend Land-Trusts existierten in den frühen 1980er-Jahren, heute sind es mehr als 240); inzwischen werden sowohl von Basisbewegungen als auch von der Regierung neue Land-Trusts ins Leben gerufen.
Wie funktioniert ein Trust für Gemeinschaftsland?
Jeder Trust für Gemeinschaftsland ist anders, denn jeder Trust ist an die lokalen Bedingungen angepasst; die meisten operieren aber auf Grundlage folgender Prinzipien:
- Während der CLT Eigentümer des Landes bleibt, werden die Nutzer des Landes die Eigentümer der darauf errichteten Gebäude. Dies wird durch einen langfristigen Pachtvertrag zwischen dem Trust und seinen Mitgliedern ermöglicht.
- Die Trusts für Gemeinschaftsland sichern, dass der Wohnraum nicht nur für die jetzigen, sondern auch für die künftigen Bewohner erschwinglich bleibt, indem sie den Verkauf von Häusern und anderen baulichen Verbesserungen des Landes (etwa Geschäfts- oder Wirtschaftsgebäude) zu bezahlbaren Preisen sichern. Der Trust behält sich eine Option für den Rückkauf aller Gebäude auf seinem Land vor, sofern sich seine Eigentümer irgendwann für den Verkauf entscheiden. Im Pachtvertrag wird eine Aufteilung von Wertsteigerungsgewinnen vereinbart, die den Hauseigentümern einen fairen Ausgleich für ihre Investitionen ermöglicht, aber zugleich die Investitionen der Gemeinschaft in die Schaffung des Trusts sichern und Wohnraum erschwinglich halten. Beim Verkauf eines Hauses fließt ein bestimmter Anteil (zum Beispiel 75 Prozent) der Wertsteigerung zurück an den Trust, während der Rest beim Verkäufer bleibt
– dieses Prinzip wird für alle künftigen Verkäufe festgeschrieben. - Trusts für Gemeinschaftsland werden von einer Gemeinschaft verwaltet und demokratisch kontrolliert; die Bewohner – die Mitglieder des CLT – entscheiden darüber, wie der Trust organisiert wird. Es gibt einen Verwaltungsrat, der zu einem Drittel die Menschen repräsentiert, die Land des Trust pachten, ein weiteres Drittel sind Nachbarn, die kein Land vom Trust pachten, und das letzte Drittel besteht aus Vertretern öffentlicher Behörden und Personen, die das öffentliche Interesse repräsentieren. Diese Zusammensetzung soll sicherstellen, dass alle Betroffenen gehört werden, aber niemand seine Interessen einseitig durchsetzen kann.
- Der Trust übernimmt langfristige Verantwortung sowohl für das Gemeinschaftsland als auch für die einzelnen Bauten und ihre Bewohner.
CLTs sind aber mehr als nur eine pragmatische Lösung für bezahlbaren Wohnraum. Das Modell ist zugleich ein Schritt hin zu einer neuen Form fairen Eigentums.
Neue Formen des Grundeigentums
Was wir oft als natürlich akzeptieren, nämlich dass Land sich in Privateigentum befindet, wird durchaus nicht überall als normal angesehen. Schließlich ist das Konzept des Eigentums alles andere als »natürlich«. Menschengemachte Gesetze bestimmen die Rechte eines Hauseigentümers. Es gibt daher auch keinen Grund, nicht über neue und kreative Formen des Eigentums an Grund und Boden nachzu denken. Formen, die auf ein besseres Gleichgewicht zwischen den Interessen der individuellen Eigentümer und den Interessen der Gemeinschaft abzielen.
Das gegenwärtige Modell des Grund- und Wohneigentums ist eine wichtige Quelle für Ungerechtigkeit und Ausschluss. Spekulation verursacht Preissteigerungen, so dass ärmere Menschen keinen Zugang mehr zu bestimmten Gegenden haben. Zugleich werden Menschen, die zu arm sind, um Eigentum zu erwerben, und daher Mieter bleiben müssen, weiter in die Armut getrieben.
Wenn wir so vielen Menschen wie möglich Zugang zu ihrem eigenen Heim geben wollen, ohne der Spekulation auf dem Immobilienmarkt in die Hände zu spielen, können wir Eigentumsrechte umdefinieren und einige ihrer Elemente (beispielsweise den Wertzuwachs beim Verkauf) vom Hauseigentümer an die Gemeinschaft übertragen. Genau dies geschieht in den Trusts für Gemeinschaftsland.
Innerhalb von zwei Jahren haben wir in Brüssel viel erreicht. Während das Konzept in Belgien bis vor kurzem noch unbekannt war, wird es heute von Politik und Zivilgesellschaft als ein mögliches Werkzeug zur Bekämpfung der Wohnungskrise betrachtet. Im Jahr 2010 hat die Brüsseler Stadtregierung eine Machbarkeitsstudie zu gesetzlichen, ökonomischen und institutionellen Aspekten der Übertragung des amerikanischen Modells auf die Situation in Belgien in Auftrag gegeben. Gleichzeitig bereiten wir uns auf Neues vor: Die ersten 20 CLT-Häuser sollen schon 2012 verkauft werden.
In den USA haben sich CLTs als ein wirksames Mittel erwiesen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und Gemeinschaften stärker zu machen. Es liegt nun an uns, zu zeigen, dass das auch hier möglich ist.