Die Geschichte der Commons spiegelt sich in der Expansion der Märkte und in der Zunahme privater Entscheidungen über Dinge, die zuvor gemeinschaftlich geregelt wurden. Die Technologien des späten 20. Jahrhunderts sind in dieser Hinsicht zweischneidig. Sie haben einerseits zu mehr Commons geführt, indem sie neue, marktferne Räume schaffen wie jenen der virtuellen Welt.1 Auf der anderen Seite sind sie geeignet, die private Aneignung der Gemeinressourcen zu verschärfen, wie im Falle der Lebewesen und der Biosphäre. Viele haben geglaubt, mit der Ausbreitung der Informationstechnologien würde sich eine neue Kernzone der Commons etablieren. Unendlich reproduzierbar bei gegen Null gehenden Grenzkosten2 – in diesem Licht erschien die Informationstechnologie geradezu als Inbegriff eines unveräußerlichen Gemeingutes. Die ständig fortschreitende Miniaturisierung, die Einführung neuer Infrastrukturen für die Produktion von Gütern, an denen der IT-Anteil stetig zunahm (etwa durch 3D-Printer oder programmierbare Werkzeuge), machten eine Renaissance der Commons auch in der Industriewelt denkbar. Und erschien nicht schließlich vor allem das Lebendige durch seine Fähigkeit, sich selbst zu reproduzieren,3 lange als ultimatives Gemeingut? War es nicht allen Menschen gleichermaßen geschenkt? Boten nicht Tiere und Pflanzen die Chance zur uneingeschränkten Entdeckung bislang ungeahnter Stoffe, die dem Leben dienen könnten – von der Ernährung über Arzneimittel bis hin zur Bewahrung des ökologischen Gleichgewichts selbst?
Doch wer heute genau auf die Commons blickt und prüft, wie stark die gemeinschaftliche Organisation kollektiver Ressourcen wirklich ist und ob die beteiligten Akteure tatsächlich in gegenseitigem Einvernehmen entscheiden, der wird zahlreiche neue Bedrohungen ausmachen. Diese richten sich sowohl gegen die Gemeingüter der Biosphäre – etwa durch Genpatente, die die Hand noch nach der innersten Substanz des Lebendigen ausstrecken – als auch gegen die derzeit neu entstehenden Commons der Computer- und Kommunikationssphäre. Um in unserer sogenannten »Wissensgesellschaft« die Natur solcher Bedrohungen zu verstehen und geeignete Mittel des Widerstands zu identifizieren, ist es sinnvoll, sich zunächst über die wichtigsten Dimensionen dieser neuen Einhegungen klar zu werden.
Commons sind stets von Einhegung bedroht
Commons begegnen dreierlei Herausforderungen: Da sind zunächst Bedrohungen, die sich direkt gegen die Gemeinressourcen richten; dann gibt es solche, die indirekt wirken, indem sie die Gemeinschaften korrumpieren,4 und schließlich gibt es destruktive Prozesse, die das gemeinschaftliche Handeln, also das »Commoning« selbst, unterbinden.
Zum Ersten können Gemeinressourcen schlicht der Verschmutzung oder der Übernutzung zum Opfer fallen. Sie können zudem (wie die sogenannten »Anti-Commons«)5 unternutzt oder gar nicht genutzt werden, was gleichfalls heißt, dass sie nicht uns gemein(sam) sind. Sogenannte Trittbrettfahrer nutzen Gemeinressourcen gern, ohne einen Finger für ihren Erhalt krumm zu machen. Derart bedrohte Ressourcen existieren insbesondere in den gerade erwachenden digitalen Commons. Ein Informations-Commons wie die Wikipedia ist zum Beispiel beständig von Vandalismus bedroht – etwa durch verleumderische Artikel, Propaganda oder Tatsachenverdrehungen. Dies verlangt von der Gemeinschaft der Wikipedianerinnen und Wikipedianer fortwährende Aufmerksamkeit. Es kostet permanent eine ungeheure Energie, die Fälle aufzuspüren, nachzuvollziehen und zu korrigieren. Diese Energie wird der Gemeinschaft entzogen und steht nicht der Verbesserung der Wikipedia zur Verfügung. Ähnlich kann ein Commons der weltweiten wissenschaftlichen Forschung vergiftet werden. Von privatem Karriereehrgeiz motivierter Betrug unterminiert das Vertrauen der Allgemeinheit in die akademische Forschung. Derselbe Ehrgeiz in abgeschwächter Form kann aber auch dazu führen, dass sich die Wissenschafts-Community in hochspezialisierten Sackgassen verfängt und dadurch wichtige Forschungen vernachlässigt, die den menschlichen Bedürfnissen direkter nützen würden.
Zum Zweiten richten sich die Bedrohungen der Commons nicht direkt gegen die Ressourcen selbst, sondern zunächst gegen die Gemeinschaften, welche diese pflegen. Dabei ist das Hauptangriffsmittel oft schlicht die gewaltsame Zerschlagung der Gemeinschaften. In diesem Zusammenhang könnte man den Begriff »Petro-Gewalt« prägen. Er drückt aus, in welchem Ausmaß die Gier nach fossilen Brennstoffen die Lebensräume von Völkern zerstört, in deren Lebensräumen ausbeutbare Erdöl- und Gasreserven gefunden wurden. Durch neue und hocheffiziente Verfahren, auch noch die letzten Vorkommen aufzuspüren und diese selbst unter schwierigsten geologischen Bedingungen zu fördern – etwa im arktischen Eis oder in den Tiefen der Weltmeere – ist diese Petro-Gewalt dabei, sich gegen die globalen Commons der Lebensräume dieser Erde zu richten. Eine tragische Illustration für diesen Prozess liefert die desaströse Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon im Sommer 2010, die nicht nur das marine Ökosystem im Golf von Mexiko, sondern mit ihm auch die von den Produkten dieser Lebensgemeinschaft abhängigen Küstenindustrien wie die Krabbenfischerei schwer geschädigt hat. Commons-Gemeinschaften können auch Opfer interner Konflikte werden, welche zunehmend dadurch entstehen, dass Akteure von außerhalb sich eine gemeinsam verwaltete Ressource teilweise aneignen. Biopiraterie kann hier als typisches Beispiel dienen. Es ist recht schwierig, eine klar umrissene »Gemeinschaft« zu bestimmen, die ein als »traditionell« bezeichnetes Wissen »besitzt« – etwa Kenntnisse über die medizinischen Wirkungen einer Pflanze. Der Austausch solcher Kenntnisse besteht seit alters her, keine Grenze hinderte die Menschen bislang daran, ihr Wissen frei weiterzugeben. Gerade deshalb bringen Versuche, in dieses Universum eine marktökonomische Auffassung von »geistigem Eigentum« einzuführen, zwangsläufig interne Konflikte mit sich.6 Das gilt in besonderem Maße für das gegenwärtige Landgrabbing7, in dessen Zuge Ländereien von manchen Dorfoberhäuptern an internationale Firmen oder fremde Staaten verkauft werden – zum Leidwesen der Menschen, die sie vorher gemeinsam genutzt haben. Schließlich tendieren auch Regelungen, wie sie etwa unter Vermittlung der WIPO (Weltorganisation für geistiges Eigentum) entstanden sind, dazu, ein Modell der Gewinnaufteilung (»benefitsharing«) zu favorisieren, das zwar die »Gemeinschaften« und ihre »traditionellen Kenntnisse« berücksichtigt, aber häufig daran scheitert, dass gerade solche Entitäten sehr schwer zu definieren sind. So klassifizieren sich indigene Gemeinschaften selbst als »Völker«, ein Begriff, der bislang von den Vereinten Nationen anerkannt wird. Die Gefahr ist groß, über die in den Gemeinschaften entwickelten Formen der Repräsentation hinwegzugehen und es den Aneignern oder Privatisierern selbst, mitunter Biopiraten, zu überlassen, eine »begrenzte Gruppe« von Akteuren auszuwählen, mit der die Nutzung dieses traditionellen Wissens verhandelt werden kann.8 Hinzu kommt, dass die oft verschwindend geringen Ausschüttungen, die von den eigentlichen »Einhegern« an die ursprünglichen Nutzer gezahlt werden, kaum gerecht verteilt werden und so Missgunst, Zweifel, Verdächtigungen und schließlich sogar gewaltsame Konflikte heraufbeschwören können.
Eine andere Form, Zwietracht von außen zu säen, besteht darin, einzelne wichtige »Mitspieler« zu kaufen und sie zu eigenmächtigem Handeln zu bewegen. Solche Spaltungsphänomene findet man sowohl in den klassischen wie in den neuen Commons, wo etwa Entwickler freier Software oder Universitätsforscher nach einem den Commons gewidmeten Karriereabschnitt in großen Firmen arbeiten, die ausschließlich proprietäre Produkte herstellen. Zu guter Letzt gibt es ganz direkte Bedrohungen für die Schaffung und Pflege der Commons. Sie entstehen nicht selten dadurch, dass einer betroffenen Gemeinschaft bestimmte Gesetze aufgezwungen werden. So akzeptieren etwa die Patentanstalten der Vereinigten Staaten und Japans seit den 1980er-Jahren, dass Informatikfirmen Patente auf Software und Verfahren anmelden. Sie begrenzen damit erheblich die Fähigkeit der globalen Gemeinschaft freier Softwareentwickler, Codes, Algorithmen und Wissen untereinander auszutauschen. Immer gibt es irgendein Patent, und sei es auch noch so vage und allgemein formuliert, dass die Benutzung einer bestimmten Methode oder eines Protokolls verhindert. Eine solche Wirklichkeit macht die internen Regeln obsolet, nach denen die Gemeinschaft freier Entwickler arbeitet, wie etwa die GPL (General Public License), welche die unbeschränkte Nutzung, Veränderung und Weitergabe von Softwarecodes regelt.9
Drittens wird auch der Prozess des gemeinsamen Handelns selbst – das sogenannte »Commoning« – behindert, und zwar immer dann, wenn ein Gut, dass zuvor von niemandem besessen werden konnte, plötzlich handelbar wird. Die Folgen zeigen sich etwa im Massentourismus, der eine Landschaft im Handumdrehen zum Gegenstand ökonomischen Interesses macht und die freie Nutzbarkeit einschränkt. Ein anderes Beispiel: Erkenntnisse, seien sie traditionell oder durch Forschung im Labor gewonnen, können nicht mehr frei verbreitet und universell zum Nutzen der Menschheit verwendet werden, wenn die Forscher selbst oder die Forschungseinrichtungen ihre Forschungsergebnisse patentieren lassen, wenn sie also selbst die Veräußerung vorantreiben, anstatt sich darauf zu konzentrieren, sie ihren Studenten zu vermitteln oder für die Gesellschaft fruchtbar zu machen.10
Die Quellen der neuen Einhegungen
Die Bedrohungen der Commons kommen aus drei Richtungen: dem Recht, den technologischen Entwicklungen und den von ökonomischen Interessen geleiteten Entscheidungen. Grundsätzlich gilt: Strukturen, die die Einhegung vorantreiben, stammen von außerhalb der Gemeinschaften, wirken aber aufgrund globaler politischer Verflechtungen und multilateraler Absprachen auf diese zurück. Das war bereits bei den »Kolonialgesetzen« so, welche sich quer über die zuvor bestehenden Sozialstrukturen der unterjochten Länder legten. Heute nehmen die Regelungen zum »Geistigen Eigentum« die Rolle dieser Kolonialgesetze ein – und alle, samt aller Widersprüchlichkeiten, die der Terminus »Geistiges Eigentum« an sich schon enthält, schlagen sie direkt auf die Praxis des Commoning durch.11
Einhegungen können sich zunächst aus dem Potential technischer Neuerungen selbst ergeben. So können Aneigner technologische Beschränkungen zum Zugriff auf eine (digitale) Ressource installieren oder deren freie Weitergabe limitieren, die zugleich so kostengünstig sind, dass sie sich universell anwenden lassen. Das herausragende Beispiel hierfür ist die Digitale Rechteverwaltung (Digital Rights Management, DRM). Wer einen digitalisierten Inhalt verbreitet, kann mittels DRM überwacht werden – und das geschieht allzu oft zum Nachteil der Allgemeinheit, wie im Falle von Bibliotheken. Außerdem kann der Inhaber der digitalen Rechte die Hardware kontrollieren, auf der sich seine Medien abspielen oder lesen lassen, und die private Weitergabe von Kopien unmöglich machen, indem er die digitalisierten Inhalte verschlüsselt. Das heißt: Heute regeln nicht mehr Gerichte oder soziale Übereinkünfte den Zugang zu bestimmten Ressourcen, sondern allein der Umstand, ob ein Nutzer im Besitz des richtigen digitalen Dechiffrier-Schlüssels ist. Der Erwerb dieses Schlüssels gibt dem Einzelnen zwar einige Nutzungsfreiheiten, bindet ihn aber zugleich für immer an den Rechteinhaber. Die neuen Fassungen der Gesetzgebung zu Autorenrechten, die in den USA und in Europa in den letzten Jahren formuliert wurden, versuchen genau diese Abhängigkeit noch zu verschärfen. Das gilt für die Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG in Europa (engl. European Union Copyright Directive, EUCD) ebenso wie für den Digital Millennium Copyright Act, DMCA, in den USA.
Das Modell eines in die Ressource selbst eingesetzten Zugangsschlüssels erobert auch das Reich der Lebewesen. Biologisches Rechtemanagement findet zunächst in allen gentechnisch veränderten Organismen statt, die ein Besitzlabel tragen. Verschärft wird es durch sogenannte »GURTs« (Genetic Use Restriction Technologies) – Verfahren, welche durch technologische Eingriffe die Vitalfähigkeiten der Pflanzen so blockieren, dass diese ohne Spezialbehandlung, etwa die Ausbringung bestimmter Chemikalien auf dem Acker, gar nicht mehr funktionieren. Diese sogenannten »Terminator-Verfahren«, die das natürliche Reproduktionsvermögen (die Keimfähigkeit) von Pflanzen unterbinden, sind ein konkreter Fall von Restriktionstechnologie.
Derzeit erblicken eine ganze Reihe weiterer Verfahren das Tageslicht, die die Landwirtschaft noch stärker als bisher von bestimmten Herstellern eines entsprechend modifizierten Saatgutes und der dazu maßgeschneiderten Chemieprodukte abhängig machen. Die zunehmende Kopplung von Designersaatgut und den dazu notwendigen chemischen Startern stellt die über Jahrhunderte existierenden bäuerlichen Praktiken freier Weitergabe von Pfropflingen und Saatgut in Frage. Sie ist dazu angetan, die biologische Vielfalt der Kulturpflanzen radikal zu verringern – von einer möglichen militärischen Anwendung der agrarischen Wachstumskontrolle ganz zu schweigen.
Aber auch ganz neue Praktiken und Prozesse wirken sich zerstörerisch auf die Commons aus. Das bemerkenswerteste Beispiel dafür ist die industrielle Landwirtschaft mit den aus ihr resultierenden Notwendigkeiten einer flurbereinigten, homogenisierten Landschaft und der Produktion genormter und exakt kalibrierter Früchte und Gemüse, für die nur zertifiziertes Saatgut in Frage kommt, das wiederum den Einsatz maßgeschneiderter Chemiekomponenten erfordert. Eine solche Landwirtschaft zerstört die gewachsenen Beziehungen, in denen Dorfgemeinschaften Saatgut tauschten und so die Biodiversität der Anbauflächen und die Anpassung der Produkte an das lokale Klima beständig pflegten und verbesserten.
Ironischerweise ziehen erfolgreiche Praktiken der Commons gerade solche Nutzertypen an, die weder die gemeinsamen Ziele noch die gemeinschaftliche Erfahrung der Commoners teilen. Solche Aus-Nutzer verwenden beispielsweise Freie Software aus reinem Konsuminteresse, eben weil diese »kostenlos« ist,12 und verschwenden im Gegenzug keine Mühe darauf, die Gemeinschaft der Nutzer und Unterstützer zu fördern, sei es durch Austausch von Wissen oder durch finanzielle Beiträge. Auch Touristen gehören zum Kreis solcher Ver- und Ausnutzer, indem sie hinnehmen, dass durch die für sie geschaffenen Infrastrukt
- Siehe vor allem die Beiträge von Christian Siefkes, Josh Tenenberg and Michel Bauwens in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Dieser mikroökonomische Begriff bezeichnet die Kosten, die durch die Produktion einer zusätzlichen Einheit eines Produktes entstehen (Anm. der Hg.). ↩
- Vergleiche dazu die Argumentation von Roberto Verzola im Gespräch zwischen Davey, Helfrich, Höschele und Verzola über natürliche Fülle in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Zum Thema der Vereinnahmung schreiben unter anderem Massimo de Angelis und David Bollier in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe dazu den Beitrag von Michel Heller zur Tragödie der Anti-Commons (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe dazu auch den Artikel von Carolina Botero und Juio C. Gaitán in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe dazu den Beitrag von Liz Alden Wily in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Diese Strategie, häufig Begleiterscheinung des sogenannten »benefit-sharing«, auch
im Rahmen der Internationalen Biodiversitätskonvention (CBD), führt regelmäßig zur Spaltung von Gemeinschaften, Regionen oder sozialen Bewegungen (Anm. der Hg.). ↩ - Für weitere Einzelheiten zur GPL siehe den Beitrag von Christian Siefkes in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Christine Godt, Christian Wagner-Ahlfs und Peter Timmermann untersuchen in ihrem Beitrag für dieses Buch ein konkretes Beispiel: die Entwicklung von Medikamenten (Anm. der Hg.). ↩
- Beatriz Busaniche greift Fragen des »geistigen Eigentums« im Rahmen des internationalen Handels und der WIPO in ihrem Beitrag zu diesem Buch auf (Anm. der Hg.). ↩
- Zur Philosophie der Freien Software vgl. die Beiträge von Federico Heinz und Christian Siefkes in diesem Buch. »Kostenlos« zu sein ist eben kein intendiertes Merkmal Freier Software (Anm. der Hg.). ↩