Einhegung oder Einfriedung (engl. »enclosure«) ist ein präziser Begriff (Hecke, Zaun, Wall). Er veranschaulicht die damit verbundene Unfreiheit: das Wegsperren und Einmauern. »Enclosure« prägt zudem unser Verständnis der historischen Unterdrückung der Frauen, der von Foucault mit dem Begriff »Great Confinement« umschriebenen Masseninhaftierung des 17. Jahrhunderts, aber auch die Kapitalakkumulation durch Enteignung.
Der »Enclosure«-Prozess in England reiht sich in die Serie der Verbrechen der Moderne wie der Sklavenhandel, die Hexenverbrennungen, die irische Hungersnot oder der Völkermord an den amerikanischen Ureinwohnern.1 Das Antonym von »Enclosure« – Commoning – deutet dagegen eine viel versprechende Alternative an.
Die Einhegung der Allmende scheint sowohl individuelles Eigentum als auch soziale Produktivität zu versprechen. Tatsächlich aber ist das Konzept untrennbar mit Unterdrückung und mit der Zerstörung von Unabhängigkeit und Gemeinschaft verbunden.
Nehmen wir den Cowboy: »Neben seinem Weggefährten, dem Pferd, war die Unabhängigkeit der größte Stolz des Cowboys. Er arbeitete für andere, die jedoch nichts von ihm besaßen außer seiner Zeit. Er war eine freie Seele, konnte von Rio Grande zum Powder River reiten, und traf dabei nur selten auf einen Zaun. Er konnte mit fünf Dollar in der Tasche aufbrechen, und bei seiner Rückkehr immer noch drei übrig haben, wenn er es wollte. Das Geld hatte keine Macht über ihn« (Kelton 1971). Elmer Kelton ist Autor zahlreicher Cowboy-Romane und Autor dieser Zeilen über den Canadian-River-Cowboy-Streik im Jahre 1883 in Texas. Unter dem Einfluss Hollywoods, das den Cowboy als Revolverhelden und den »Indianer« als Mörder darstellte, wurde der unabhängige Cowboy zum geltungssüchtigen Individualisten der amerikanischen Männerwelt. So verlieren wir den Cowboy als Arbeiter aus dem Blick, der den kontinentalen Fleischhandel abwickelte und damit den sozialen und ökologischen Wandel in Nordamerika seit der Eroberung im 16. Jahrhundert verkörperte (Cockburn 1996). Auch das traditionelle altenglische Roast Beef hing vom Rinderhandel ab, der Schottland mit dem Londoner Smithfield-Fleischmarkt verband. Und doch sind die englischen Viehhändler kulturell und ideologisch nicht die Entsprechung der Cowboys. Warum? Das Symbol der Unabhängigkeit war eher der »Commoner«, der zähe und ausdauernde Freibauer. Auch er definierte Unabhängigkeit als Fehlen von Zäunen: Wo kein offenes Weideland oder freies Feld war, da waren Stacheldraht oder Dornenhecken.
Vier Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass die Einhegung der Allmende im 21. Jahrhundert wieder als Thema auftauchte. Dazu gehört zunächst der Aufstand der Zapatisten in Chiapas 2 im Jahr 1994: Die Aufständischen wandten sich gegen die Aufhebung des Artikels 27 der Mexikanischen Verfassung, nach dem jedes Dorf über ein »ejido« (etwa: Allmendeland) 3 verfügte. Ein ähnlicher Einhegungsprozess fand auch in Indonesien statt. So wie der Cowboy-Roman-Autor Kelton einen Zusammenhang zwischen Einzäunung und Geld herstellt, so beschreibt Pramoedya Ananta Toer am Beispiel der indonesischen Insel Buru zur Zeit des Suharto-Regimes den Zusammenhang zwischen Einzäunung und Kriminalität: »Doch das Innere der Insel war nicht unbewohnt; hier wohnten Menschen […] lange bevor die Ankunft von politischen Gefangenen sie dazu zwang, ihre Ländereien und Behausungen zurückzulassen. Als dann die Gefangenen die Savanne in Felder umwandelten, gab es immer weniger Jagdgebiete für die Einheimischen. Sogar der ursprüngliche Ortsname wurde ihnen genommen, und auch sie nannten die Insel nun ›Einheit 10‹. 4 Angesichts der zehn großen Kasernen, die auf ihren Grund und Boden gebaut wurden, sowie der fünfhundert Gefangenen, die sich auf ihrer Insel niederließen, blieb ihnen keine Wahl. Das Seltsamste an der ganzen Sache war jedoch, dass die Gefangenen begannen, Zäune und Einfriedungen zu bauen, wo nie zuvor Grenzlinien gezogen worden waren. Die einheimischen Inselbewohner hatten kein Wort für ›Zaun‹ – das Konzept war in ihrer Kultur gänzlich unbekannt. Sie begriffen nicht, wie Menschen das Recht der Landnutzung begrenzen konnten« (Toer 2000: 78).
Im späten 20. Jahrhundert gab dann ein zweiter Prozess der Diskussion über die Allmende und deren Einhegung Auftrieb: die Entwicklung des Internets und des World Wide Webs als Wissensallmende. 5 Eine dritte Einhegung stellte die Verschmutzung der Gewässer und der Atmosphäre unseres Planeten dar. Und der Zerfall der kommunistischen Staaten markierte schließlich den vierten Aspekt. Mit ihm wurde es einfacher, über die Commons zu reden.
Mit diesen Prozessen, die alle entweder einen Bezug zur Einhegung (»enclosure«) oder zur Allmende selbst (»the commons«) haben, lebte auch das Interesse an der klassischen Einhegung, die vor allem in England stattfand, neu auf. Der von Raymond Williams verfasste Überblick über die englische Literatur zum Thema reicht vom Weideland der Aristokratie des 16. Jahrhunderts bis hin zu den Bergmännern in den Kohlebergwerken. Williams arbeitet den Prozess der Einhegung als eine von mehreren Triebkräften der Entwicklung des Kapitalismus heraus.
In England begannen die Einhegungen schon im 13. Jahrhundert, sie erreichten ihren Höhepunkt zunächst im 15. und 16., und dann erneut im 18. und 19. Jahrhundert. Die Ausweitung der landwirtschaftlichen Anbauflächen ging dabei mit der Konzentration von Eigentum einher. Man könnte dies den »großen Bogen« der englischen Geschichte nennen. Nach Einschätzung von Gregory King machten gegen Ende des 17. Jahrhunderts in einem 47 Millionen Morgen großen Land Weideflächen, Wiesen, Wälder, Heide, Moore, Berge und Ödland 20 Millionen Morgen aus (Williams 1973). Obwohl nur die Hälfte dieser Fläche auf der Basis gemeinschaftlicher Verfügungsrechte genutzt wurde, bedeutet dies, dass im Jahr 1688 knapp ein Viertel der Gesamtfläche von England und Wales in Gemeinbesitz war.
Zwischen 1725 und 1825 eigneten sich die politisch mächtigen Landbesitzer durch fast 4000 gesetzliche Bestimmungen mehr als sechs Millionen Morgen Land an. Diese über das Parlament vorangetriebenen Einhegungen waren zumindest besser dokumentiert und wurden öffentlicher, doch in der Konsequenz trug die Trennung von dörflichem Gemeinschaftsland und gemeinschaftlichen Verfügungsrechten zur Armutskrise des späten 18. Jahrhunderts bei. Arthur Young, zunächst energischer Verfechter der Einhegungen, änderte Anfang des 19. Jahrhunderts seine Meinung und zitierte fortan einen armen Mann: »Ich weiß nur, dass ich eine Kuh hatte, und das Parlament hat sie mir weggenommen.« Solche Situationen waren Ergebnisse der legalisierten Landnahme durch die Privilegierten. E.P. Thompson nannte es einen eindeutigen Fall von Raubzug einer Klasse gegen die andere (Thompson 1964: 218).
Auf dem Ödland lebende Häusler (Dorfbewohner, die zwar ein Häuschen, aber wenig oder kein eigenes Land besaßen) und informelle Siedler ohne Rechtstitel verloren ihre ohnehin schon eingeschränkte Unabhängigkeit. Viele Dörfer gingen schließlich verloren. Nur vom Flugzeug aus kann man ihre Spuren noch erahnen. Tatsächlich ist der erste Eindruck, den Besucher beim Landeanflug auf London-Heathrow gewinnen, ein von Grünland und Hecken geprägtes Land. Die Landschaft erzählt von der geschehenen Aneignung. Hecken sind Zeugnisse, über Hunderte von Meilen hinweg, für die Grenzen zwischen Mensch und Land. Ein Besucher, der mit dem Zug in die Midlands fährt, wird vielleicht Erdformationen zu Gesicht bekommen, die der rollenden Brandung des Meeres ähneln, kurz bevor sich die Wellen brechen. Es handelt sich dabei um das Wölbacker-Muster [6 | Das Muster resultiert aus den ehemals langgestreckten gewölbten Beeten und einer bestimmten Technik des Pflügens. Die Feldstruktur blieb auch während der Brache erhal-ten (Anm. der Hg.).] , das durch die jahrelange Praxis des auf Allmendeprinzipien basierenden Systems des Streifenanbaus entstanden ist. Im 18. Jahrhundert entstanden zahlreiche Herrenhäuser oder neoklassizistische Villen, die die Stärke der herrschenden Klasse auf dem Land begründeten. Es war die Architektur der Aneignung.
Die General Inclosure Act von 1845 erklärt, dass Gesundheit und Wohlbefinden der örtlichen Bevölkerung während der Einhegungen zu berücksichtigen seien und dass die mit der Gesetzesausführung Beauftragten auch Flächen »zum Zweck der Ertüchtigung und Erholung der Anwohner« ausweisen könnten. Dies war der Grundstein für die weitläufigen Londoner Parks. Die Bestandsaufnahme im Rahmen des Common Lands Census von 1873/1874 ergab, dass in England nur 2,5 Millionen Morgen Gemeindeland geblieben waren. Im Jahr 1955 führt die Royal Commission on Common Lands zusätzlich zu den Grundbesitzern und den Commoners 6 eine dritte Art von Rechtsträgern, nämlich die Öffentlichkeit. Obwohl dadurch ein allgemeingültiges Recht auf öffentlichen Zugang zu Allmendeland anerkannt wurde, kümmerte sich die Öffentlichkeit deutlich weniger aktiv um das Land als die Commoners. 7
Elinor Ostrom, die für ihre Arbeit zur Governance der Gemeingüter 2009 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurde, kritisierte den Biologen Garret Hardin scharf. Hardin hatte 1968 seinen berühmten Aufsatz Die Tragik der Allmende veröffentlicht (Hardin 1968), in dem er schrieb, dass »die Freiheit, sich fortzupflanzen, alle ins Verderben stürzen werde«. Hardin spielt auf Jeremy Benthams Utilitarismus an, auf Adam Smiths unsichtbare Hand, auf Thomas Malthus Bevölkerungstheorie und auf Charles Darwins Theorie der natürlichen Selektion, um seine Argumente mit jenen anerkannter Vordenker des 19. Jahrhunderts zu stützen. Der große Einfluss seines Artikels hat jedoch weniger mit diesen Autoritäten zu tun als vielmehr mit dem eindringlichen Ton Hardins, der düster-furchteinflößend und nüchtern-schlicht zugleich war.
Mit bemerkenswerter Offenheit charakterisiert er verschiedene soziale Klassen: »Aber was bedeutet gut? Für eine Person ist es die Wildnis, für eine andere sind es Skigebiete für Tausende von Besuchern. Für einen sind es Reviere zur Entenaufzucht für die Jagd, für den anderen Gewerbeflächen für Fabriken.« 8 Dies alles sind Aktivitäten von Fabrikbesitzern, nicht von Fabrikarbeitern. Der Kern des Arguments ist in wenigen Absätzen zusammengefasst: »Die Tragik der Allmende entsteht folgendermaßen: Stellen wir uns eine Weide vor, die allen zur Verfügung steht. Es steht zu erwarten, dass jeder Hirte dann so viel Vieh wie möglich auf der Allmendeweide hält. Dies kann zufriedenstellend funktionieren, sogar über Jahrhunderte hinweg, solange kriegerische Auseinandersetzungen, Wilderei und Krankheiten die Anzahl von Mensch und Tier deutlich unter der Belastungsgrenze des Landes halten. Irgendwann einmal kommt jedoch der Tag der Wende, der Tag, an dem das lang ersehnte Ziel sozialer Stabilität zur Realität wird. Fortan führt die inhärente Logik der Allmende erbarmungslos zur Tragik. Als rationales Wesen versucht jeder Hirte seinen Gewinn zu maximieren. Explizit oder implizit, mehr oder weniger bewusst fragt er sich ›Was nützt es mir, wenn ich ein oder mehrere zusätzliche Tiere in meiner Herde habe?‹ Dieser Nutzen hat eine negative und eine positive Komponente. […] Durch Addition der einzelnen Nutzenkomponenten kommt der rationale Hirte zu dem Schluss, dass der einzig sinnvolle Weg für ihn ist, seiner Herde noch ein weiteres Tier hinzuzufügen. Und noch eines … Zu diesem Schluss kommt jedoch jeder einzelne rationale Hirte, der seine Tiere auf einer Allmende weiden lässt. Und darin liegt die Tragik. Jeder ist in ein System eingebunden, das ihn dazu nötigt, seine Herde unendlich zu vergrößern – und das in einer Welt, deren Ressourcen endlich sind. Verderben erwartet alle Menschen, da in einer Gesellschaft, die an die freie Verfügung über die Allmende glaubt, jeder seine eigenen Interessen verfolgt. Freiheit in der Allmende stürzt alle ins Verderben.«
Dreimal bezieht sich Hardin auf den »rationalen« Viehhirten; und sitzt dabei einem Trugschluss auf. Wahrscheinlich wollte er auf den eigennützigen oder einsamen Viehhirten Bezug nehmen, denn in der Vergangenheit wurde die Allmende immer verwaltet. Vom Markmeister, dem Feldhüter oder einem anderen von den Commoners gewählten Vertreter wurde die Kuh gepfändet oder der gierige Schäfer mit einer Strafe belegt, wenn er mehr als den angemessenen Anteil der Allmende nutzte. Hier setzt auch Elinor Ostrom mit ihren Überlegungen an.
Aus Hardins Sicht wird die Welt nach dem Prinzip »jeder gegen jeden« regiert und nicht nach dem Jedermann-Prinzip.
Zu einem frühen Fall der Einhegung in Otmoor, Oxfordshire, schrieb der Historiker Bernard Reaney: »Die Commoners brachten ihre Gänse, Rinder, Pferde, Schweine und Schafe zum Grasen hinaus ins Moor. Als Heizmaterial wurde Torf gestochen, und alte Frauen sammelten Kuhdung, um sich mit dessen Verkauf ein wenig Geld zu verdienen. Weidenruten konnten in Hülle und Fülle im Moor geschnitten werden und verhalfen dem Dorf zu einem florierenden Korbmacher-Handwerk […]. Die Ärmeren deckten einen Großteil ihres Nahrungsbedarfes durch Fischfang, die Jagd auf Enten sowie die zahlreichen Kaninchen und wilden Vögel. […] Damit waren die wesentlichen Bestandteile einer bäuerlichen Subsistenzwirtschaft gegeben. Die Verfügbarkeit von Brennstoff und Weideland ermöglichte es den Menschen in Otmoor zwar bescheiden, aber dafür unabhängig zu leben« (Reaney 1970: 4). Vom 1. Mai bis zum 18. Oktober war es gemäß der kommunalen Verordnungen unter Androhung einer Geldbuße von drei Schillingen und vier Pence untersagt, Schafe im Moor weiden zu lassen. Vier Pence Geldstrafe musste man entrichten, wenn ein Schwein ohne Nasenring 9 im Moor war. Die gleiche Geldstrafe war angesetzt, wenn ein Pferd, gleich ob Stute oder Hengst, ohne Brandzeichen gehalten wurde. Jede Stadt hatte ein Brandzeichen, das für die sogenannten »Moormenschen« reserviert war. Auf Hauptstraßen war das Torfstechen untersagt, und wenn doch gestochen werden durfte, dann musste das entstandene Loch wieder aufgefüllt werden. Und so weiter. Von »rationalen Viehhirten« ist hier keine Rede. Hardins Kombination von falscher Wissenschaftsgläubigkeit, falscher Mathematik und das Heraufbeschwören einer globalen Katastrophe, um schließlich die Notwendigkeit einer Politik des Zwangs zu rechtfertigen, war selbst eine sehr ideologische Antwort, der bedeutsame Präzedenzfälle vorausgegangen waren. Er gab zu, dass seine Argumentation sich an einen Amateurmathematiker namens William Forster Lloyd anlehnte. Lloyd war als Professor der Politischen Ökonomie, Mitglied des Christ Church College und Vikar in der Church of England eine gesellschaftlich bedeutsame Figur. Sein Bruder Charles starb 1829 als Bischof von Oxford und Mitglied des House of Lords. Charles war ein enger Freund und ehemaliger Tutor von Robert Peel, dem persönlichen Sekretär und Gründer der Londoner Polizei – den »Bobbies« oder »Peelers«. Im September 1832 hielt William Lloyd zwei Vorlesungen zum Thema Bevölkerungskontrolle (Lloyd 1833). Er war Malthusianer und glaubte, dass die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten könne. Gemäß Malthus (1766-1834) kann die Bevölkerung präventiv oder positiv 10 kontrolliert werden. Im ersten Fall werden weniger Kinder geboren, im zweiten Fall sterben mehr Menschen. Wie Malthus war Lloyd dagegen, dass »über alle Dinge gemeinschaftlich verfügt werden sollte«. Er machte markige Beobachtungen, wie zum Beispiel dass »[ein] Zustand perfekter Gleichheit, dadurch, dass er zu einer Verminderung der Begehrlichkeiten bis hin zu einer fast gänzlichen Reduzierung auf die natürlichen Grundbedürfnisse führt, die Gesellschaft in einen Zustand von Unwissen und Barbarei zurückführen würde« (ebd.: 28). Darüber hinaus war er der Meinung, dass eine Verminderung des Reproduktionsvermögens und eine gewisse Sterblichkeitsrate der Subsistenz guttun würden. Er stellte sich dabei den amerikanischen Waldarbeiter vor, der in der Wildnis lebt (ebd: 8), und sah die Heirat als Allmende an, die Gemeineigentum schafft: »Die Heirat ist ein Gut der Gegenwart. Die Schwierigkeit, für den Lebensunterhalt einer Familie zu sorgen, ist eine Angelegenheit der Zukunft. Aber in einer Gütergemeinschaft, in der Kinder an öffentlichen Tischen versorgt werden oder wo jede Familie sich entsprechend ihrer Bedürfnisse aus einem gemeinsamen Bestand versorgt, wird dem Einzelnen diese Last genommen. So vermehren sie sich, überfluten die gesamte Gesellschaft und bedrängen diese von allen Seiten« (ebd.: 21). Der »umsichtige Mensch legt sein Verhalten fest, indem er seinen Nutzen in der Gegenwart mit dem Anteil an künftigem Unbill vergleicht und den gegenwärtigen Verzicht mit seinem Anteil am künftigen Nutzen. Dieser Anteil ist in der Masse, so wie sie eine große Gesellschaft verkörpert, verschwindend gering; durch das Fehlen eines Gegengewichts wird so das Verhalten jedes Einzelnen ausschließlich durch deren gegenwärtige Belange bestimmt« (ebd.: 30). Dies ist der Vorgänger des egoistischen Viehhirten von Garrett Hardin. Wie Hardin ist Lloyd besessen von der Idee der Überbevölkerung. Und wie bei Hardin gilt die Herde als Metapher für die Bevölkerung. »Warum ist das Vieh so kümmerlich und verkrüppelt? Warum ist die Allmendeweide selbst so ausgetreten und so anders gemäht als die angrenzenden eingefriedeten Weiden […]? Die Gründe, die allgemein für die Einführung von Privateigentum an Land angeführt werden, ergeben sich aus der Notwendigkeit, Individuen einen ausreichenden Anreiz dafür zu geben, den Grund und Boden zu kultivieren« (ebd.: 30). Lloyd gefiel Malthus’ Metapher – »Beim mächtigen Schauspiel [der Natur – P.L.], um eine Formulierung von Mr. Malthus zu verwenden, sollte es keine Sitzplätze umsonst geben« (ebd.: 60) –, und er schuf eine eigene: »Auf eine im Meer schwimmende Holzplanke, die nicht alle tragen kann, haben nicht alle den gleichen Anspruch« (ebd.: 75).
Was Hardin nicht wusste, als er im Jahr 1968 seinen Aufsatz fertigstellte, war, dass zur gleichen Zeit in Oxford der legendäre Historiker Raphael Samuel von der neuen linken Geschichtswissenschaft von Dorf zu Dorf zog. Gemeinsam mit zwei seiner Studenten aus dem Ruskin College, dem jungen irischen Historiker Reaney, der nun in London lebte, und der glamourösen Frauenrechtlerin Sally Alexander, befragte er ältere Dorfbewohner. Die Wissenschaftler und ihre Kollegen waren dabei, eine neue Geschichte zu erzählen. Das Ruskin College wurde im Jahr 1899 gegründet, um »Männer[n] aus der Arbeiterklasse Bildungschancen zu eröffnen«. John Ruskins Motto lautete: »Ich kann versprechen, dass ich aufrichtig bin, nicht aber, dass ich unvoreingenommen bin«, und er sprach von Oxford als »Stadt der träumenden Spitzen« und »der verdammten Lügner«. Vor diesem Hintergrund reagierte der »History-Workshop« auf die Freiheitsbewegung der 1960er-Jahre und verhalf ihr zugleich zum Durchbruch. Damals wussten die Aktiven des Workshops noch nicht, dass ihre Gespräche zu einem bahnbrechenden wissenschaftlichen Schlüsselargument wurden, dass Hardins Gepolter in Kalifornien entgegenstand.
Samuel war der Gründer des History-Workshops. »Grabe, wo Du stehst!« war seine Devise und Gegenstand der Streitschriften von Oxfordshire, was uns nun erlaubt, unsere Aufmerksamkeit direkt auf die Einhegungen von Otmoor zu richten.
Ein paar Meilen von der Universität in Oxford entfernt liegt Otmoor, viertausend Morgen Flachmoorland. Jeden Winter wurde es überschwemmt. Die Bewohner von Otmoor hatten eine besondere Art zu gehen, eine Art Schlurfen, das ihnen offensichtlich dabei half, sich trotz matschiger Pfützen, Wassergräben und knöcheltiefen Wassersflächen gut fortzubewegen. Ihnen wurde nachgesagt, sie hätten Schwimmhäute an den Füßen. Die Commoners der Gegend hatten ihre eigene Sprache und Epistemologie, die besonders deutlich in der Dichtung von John Clare (1793-1864) hervortrat, der selbst ein arbeitender Commoner war. »Grund und Boden« war ein Wort, das Clare fast immer benutzte, um ein eingefriedetes Stück Land, meist eine Weide, zu beschreiben; ein »close« ist bei ihm ein eingezäuntes Feld, meist für weidendes Vieh, und »plain« bezieht sich fast immer auf offenes, meist grasbewachsenes Land. Clare beschreibt in seiner Autobiographie, wie er als Kind durch die Emmonsailes-Heide lief – und sich verlief. »Eifrig wanderte ich weiter und weiter & strich am Ginster entlang, bis ich nicht mehr weiter wusste und die Wildblumen mich zu vergessen schienen & ich stellte mir vor, sie seien Bewohner eines neuen Landes – sogar die Sonne schien eine neue zu sein & in einem anderen Viertel des Himmels zu scheinen« (Barrel 1972: 134). Dies deutet darauf hin, dass er sich am »Uneingefriedeten« (»unenclosed«) orientierte. Clare legt mehr Bedeutung in den Satz als nur jenen, nicht zu wissen, wie er zurückfinden sollte. Die Sonne war an einem anderen Ort am Himmel, und die Wildblumen vergaßen ihn. Der Verlust der Allmende bedeutete den Verlust seiner ganzen Welt. Nun, da wir dabei sind, unsere zu verlieren, schenken wir vielleicht diesen Commonern mehr Beachtung.
Der Naturforscher und Autor Richard Mabey hat über die Notwendigkeit der Allmende geschrieben als einer Bodenordnung, nach der das Land einer Partei gehören kann und andere dort zugleich verschiedene Nutzungsrechte haben, z.B. ihr Vieh weiden zu lassen oder Feuerholz zu schlagen. Es ist ein sehr altes System, das noch aus der Zeit vor der normannischen Eroberung im Jahr 1066 stammt (Mabey 1980). Mabey hat vier Grundtypen gemeinschaftlicher Verfügungsrechte identifiziert: die Nutzung der Viehweiden; das Recht, Feuerholz zu sammeln; das Recht, Schweine im Herbst zur Eichelund Bucheckernmast in den Wald zu treiben; und das Recht, Torf zu stechen. Je nach Nutzungsart und Ressourcen (wie Ginster, Farne, Kalkstein, Kies, Lehm, Binsen, Schilf, Nüsse und Kräuter) gab es noch zahlreiche weitere Rechte: etwa Angelrechte, das Recht auf die Entnahme von Holz aus dem Wald zur Reparatur des eigenen Hauses oder der Ackergeräte, vorübergehende Wohn- und Bleiberechte. Diese Gewohnheitsrechte dienten dazu, die Versorgung mit Treibstoff, Fleisch, Milch, Gerät, Unterkunft und Arzneien zu gewährleisten. Ihnen standen zahlreiche Regeln und Kontrollmechanismen gegenüber, die so gestaltet waren, dass sie einer Übernutzung vorbeugten, Komplexität anerkannten sowie Einfallsreichtum und Wirtschaftlichkeit belohnten. Für die Gemeinschaft waren die Erhaltung der Allmende und ihre nachhaltige Nutzung lebenswichtig. Im Wald von Epping konnten die Eigentümer keine Bäume fällen, da die Commoners ein Anrecht auf die Baumspitzen und die abgeschnittenen Äste hatten. Im Selborne-Wald, wo die Commoners Weide- und Mastrechte besaßen, durften die Grundbesitzer ausschließlich Buchen nachpflanzen, da diese die notwendigen Früchte für die Schweinemast lieferten. Die Ernterechte für Pixey und Yarnton Meads in Oxfordshire wurden per Los verteilt – durch dreizehn Kugeln aus Kirschholz, jede mit einem anderen Namen versehen. Die Reihenfolge, in der sie aus einem Beutel gezogen wurden, legte den Streifen auf der Wiese fest, auf dem jeder Commoner in diesem Sommer Heu machen durfte. Mabey gibt zu, dass die Wiederbelebung eines solchen Systems ein »undurchdringliches Kuddelmuddel« zur Folge hätte. Aber wie kommt ein solches Durcheinander überhaupt zustande? Der konsequente Logiker mag sich die Haare raufen, doch dieses »undurchdringliche Kuddelmuddel« war auch eine Quelle der Kraft – der Kraft der Commoners!
Warum dauerte es sieben oder acht Jahrhunderte, um England »einzuhegen«, während dies in Russland in nur einer Generation geschah? Die Historikerin J.M. Neeson hilft, diese Frage zu beantworten, indem sie die verschiedenen Formen des Widerstands gegen die Einhegung der Allmende beschreibt: Bittgesuche, die Verbreitung falscher Gerüchte, Angriffe auf Eigentum, Verzögerungstaktiken, allerlei Unfug, anonyme Drohgedichte, Mauscheleien, Ballspielen, die Pforten der Gutsherren überwinden, das Niederreißen von Zäunen, Holzdiebstahl und so weiter. Sie stellt fest: »Das Gefühl des Verlustes, des Beraubtseins kann als bitteres Erbe der armen Leute ewig Bestand haben« (Neeson 1993: 291).
Die sieben Städte rund um Otmoor – Charlton, Fencot, Murcot, Oddington, Beckley, Horton, Studley und Noke – waren klein; in Noke wohnten weniger als hundert Menschen, während Beckley im Jahr 1831 370 Einwohner zählte. Das Moorgericht in Beckley definierte 1687 das Verhältnis der Städte zum Moor so, wie sie im Domesday Book festgeschrieben waren:
»Die Allmende in Otmoore soll niemandem außer den Einwohnern der sieben Städte gehören, die zu Otmoor gehören und die diese als Allmendeweide für jedwede Art von Vieh nutzen können.« Es gab drei Arten von Allmende: Die Allmendewiese jedes Dorfes, die von Jahr zu Jahr wechselte; die gemeinschaftlichen Nutzungsrechte der Gemeindeweide und das Ödland, in diesem Fall das Otmoor. Der einzige Gutsbesitzer, der in dieser Gegend wohnte, war Alexander Croke, ein Gutsbesitzer, der die Theorie der Commoners zum Ursprung ihrer Rechte heftig attackierte: Sie behaupteten, diese stammten von einer Königin (vielleicht Elisabeth der I.), die ihnen so viel Land gewährte, wie sie in der Zeit umreiten konnten, die ein Bündel Eichenholz zum Verbrennen brauchte. Mehr als fünfzig Jahre lang kämpfte Croke unermüdlich um die Aneignung des Moores. Die Auseinandersetzung begann im Jahre 1801, als der Herzog von Marlborough vorschlug, über viertausend Morgen Land zu entwässern, auszumessen und einzufrieden. Als die Ankündigung an den Kirchentüren der Gemeinde angeschlagen wurde, wurde sie »vom Pöbel an allen Orten« heruntergerissen. Ein weiterer Versuch im Jahre 1815, eine Aneignung per Anschlag anzukündigen, wurde »wegen großer Menschenaufläufe, bewaffnet mit Angriffswaffen aller Art«, als nicht durchführbar befunden. Die einfachen Menschen begannen, sich auf eigene Faust zu wehren. Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, dass irgendein Adelsgeschlecht je gemeinschaftliche Verfügungsrechte genossen hätte; »die Tradition der unbeschränkten Nutzung verwies in der Tat auf ein Vermächtnis vor Menschengedenken«. Trotz dieser Erkenntnisse, die es »unwahrscheinlich machten, dass ein adeliger Grundherr jemals die Alleinverfügung über Grund und Boden hatte«, wurde die Enclosure Act verabschiedet. Die Aneigner hatten Erfahrung aus Übersee. Croke war im Jahr 1801 von der Regierung als Richter in einem Gericht der Vizeadmiralität in Neuschottland eingesetzt, wo er sich einen Ruf als engstirniger Tory erwarb. Er argumentierte, dass nur Eigentümer, die ihr eigenes Haus besaßen, über Allmenderechte verfügten, wohingegen »die Armen an sich kein Recht auf wie auch immer geartete Allmende hätten« (alle Zitate aus Reaney 1970).
Im Jahr 1830 brach ein Damm, der Teil des Entwässerungsvorhabens war. Die Bauern nahmen das Gesetz selbst in die Hand und zerstörten die anderen Dämme. Zweiundzwanzig von ihnen wurden angeklagt und anschließend freigesprochen. Dies hinterließ bei den Siedlern einen nachhaltigen Eindruck, und eine Woche lang zogen Gruppen von begeisterten Menschen durch das Moor und rissen die Zäune nieder. Sie versammelten sich bei Vollmond, schwärzten ihre Gesichter, zogen sich Frauenkleider an und traten an, um die Zäune, Hecken, Brücken und Tore zu zerstören, die die Infrastruktur der Einhegung bildeten. Der oberste Sheriff, die Bürgerwehr von Oxfordshire und die Yeomanry-Kavallerie von Lord Churchill wurden gerufen. Doch die Einwohner ließen sich nicht einschüchtern. Sie beschlossen, die Grenzen von Otmoor nach altem Brauch komplett abzugehen.
Am Montag, dem 6. September, versammelten sich 500 Männer, Frauen und Kinder aus den OtmoorDörfern, und 500 weitere von anderswo schlossen sich ihnen an. Sie beschlossen »ganz Otmoor auf die Art und Weise abzuschreiten, wie sie es, so bekundeten sie, früher für gewöhnlich taten, und dass sie nach Beendigung ihrer nächtlichen Ausflüge in vollem Tageslicht Besitz ergreifen und jeden Zaun niederreißen würden, der sich ihnen in den Weg stelle. […] Bewaffnet mit Sicheln, Beilen, Hippen […] marschierten sie in Reih und Glied an der sieben Meilen langen Grenze von Otmoor entlang und zerstörten auf ihrem Weg alle Zäune. Stellmacher, Hutmacher und Heuhändler marschierten neben Schuhmachern, Bäckern, Schneidern, Metzgern, Korbmachern, Maurern, Spenglern und Stellknechten – die ganze Palette der Dorfhandwerker war vertreten. Die Commoners hatten sich organisiert. Natürlich wurden Gegenmaßnahmen ergriffen. Sechzig oder siebzig Commoners wurden von der Kavallerie aufgegriffen, und vierundvierzig wurden mit einer Yeomanry-Eskorte ins Gefängnis von Oxford gebracht. Aber die Proteste ereigneten sich am Tag des Saint-Giles-Festes. Menschenmassen strömten durch die Straßen. Als der Ruf ›Otmoor für immer!‹ durch die Straßen schallte, nahm die Menge ihn auf, und es hagelte Beschimpfungen, Stücke und Steine von allen Richtungen. Alle vierundvierzig Gefangenen entkamen.
Das Gesetz sperrt ein Männer und Frau’n,
Die der Allmende Gänse klau’n.
Doch dem größ’ren Schurken es erlaubt,
Dass der Gans er die Allmende raubt.11
James Boyle hat diese Zeilen bis ins Jahr 1821 zurückverfolgt. Sie waren als Bekanntmachung in Plaistow angeschlagen, um Unterstützung für die geplante Einhegung von Hainault oder Waltham Forest schon im Vorfeld zu unterbinden (Boyle 2003: 33). Die Unbeschwertheit der Zeilen des Gedichts verführt mitunter dazu, zwei äußerst wichtige Aspekte zu übersehen, nämlich Inhaftierung und Wiedergutmachung. Es war Lord Abingdon, der sich Crokes erstem Versuch offen widersetzte, einen parlamentarischen Beschluss für die Einhegung von Otmoor zu erwirken. Als führender Vertreter der Whig Partei im 18. Jahrhundert argumentierte er – obwohl er selbst nicht dort wohnte –, dass Hunderte von Familien ihre Subsistenzgrundlage verlieren würden, die sich auf »das Recht [stützte], Gänse im Moor zu züchten und aufzuziehen« (Reaney 1970: 25).
Im Herbst 1832 brach in Oxfordshire ein Aufstand aus. Philip Green war Schornsteinfeger und einer der Anführer der Anti-Einhegungs- und Anti-Mechanisierungsbewegung in Oxfordshire. Er war »eine alte Galeere« und »ohne Furcht«. Wenn die Löhne nicht erhöht würden, so sagte Green voraus, würden sich die Commoners zusammenrotten und »alle Maschinen in der Nachbarschaft zerstören, und die Arbeiter von der Arbeit abhalten«. Wie Croke, der die Einhegungen vorantrieb, hatte Green, der Commoner, transatlantische Erfahrung und war sich des Weltgeschehens bewusst. Seeleute wie er werden der Nat-Turner-Revolte 12 von 1931 in Virginia oder der großen Weihnachtsrevolte der zwanzigtausend Sklaven in Jamaika im selben Jahr besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben. Im Jahr 1830 war die Enclosure Act fünfzehn Jahre alt. Zwei weitere Jahre würde Otmoor sich auflehnen. Eine Einheit der Coldstream-Garde wurde in das Gebiet entsandt. Im August 1831 schickte das Innenministerium einige Londoner Polizisten. Die Bevölkerung erwies sich bei den sogenannten »Kirchentüraufständen« vom September 1831 13 fähig, eine Aktion zu organisieren: Der Polizist, der eine Bekanntmachung zur Einhegung öffentlichen Landes aufhängen wollte, wurde mit Steinen beworfen, als er ins Haus des Geistlichen floh. »Verflucht seien die Leichenräuber« wurde gerufen. Warum? Es herrschte die allgemeine Meinung, dass die Behörden am sogenannten »Burking« beteiligt waren, einer grauenvollen Prozedur, die darin bestand, Menschen zu kidnappen und zu ersticken, um ihre Körper an medizinische Versuchsanstalten zu verkaufen. Der Name dieser Praxis stammt von einem Leichenräuber, William Burke, der 1829 gehenkt wurde. Im Jahr 1831 hätte jeder der fünfhundert Medizinstudenten in London drei Leichen für die Ausbildung in Anatomie benötigt, also 1500 Leichen pro Jahr. Zu dieser Zeit gab es in London sieben florierende Leichenräuberbanden, und ein Mann, John Bishop, verkaufte im Laufe seiner Karriere zwischen 500 und 1000 Leichen. Im Jahr 1831 wurde außerdem die Metropolitan Police in London gegründet. Mehr als 1000 uniformierte und bewaffnete Männer patrouillierten durch die Straßen. Sie waren verhasst, und die Mehrheit der Bevölkerung hielt ihren Einsatz für verfassungswidrig, da sie das Verbot einer ständigen Armee verletzten.
Zu jedem Vollmond versammelten sich die Commoners im Moor, um die Zäune niederzureißen. Im Januar 1832 schrieb ein örtlicher Magistrat an Lord Melbourne, dass »die Stimmung in den Dörfern von offenem Rechtsbruch zeugt«. Die Polizei war hilflos, und es wurden zusätzliche Soldaten entsandt. »Keine der Einheiten, die die Regierung dorthin entsendet, sollte längere Zeit vor Ort bleiben, um der Möglichkeit einer unerwünschten Verbindung zwischen dem Volk und dem Militär vorzubeugen« (Reaney 1970: 57). Die Verhinderung von Verbrüderung war eine Maßnahme, um Revolutionen zu verhindern.
Marx schrieb im Vorwort zur Erstausgabe von Das Kapital: »Die englische Hochkirche verzeiht eher den Angriff auf 38 von ihren 39 Glaubensartikeln als auf 1/39 ihres Geldeinkommens« (MEW 1968, Bd. 23: 16). Es ist ungeklärt, ob Marx der Text der 39 Artikel bekannt war, die unter Elisabeth I im Zuge der sogenannten »religiösen« Kriege des 16. Jahrhunderts aufgestellt wurden. Der 38. Artikel sagt in der Tat aus: »Das Vermögen und die Güter der Christen sind, was Rechtsanspruch und Besitz betrifft, nicht gemeinsam, wie gewisse Wiedertäufer fälschlich behaupten.« 14
Als Marx sein Werk verfasste, öffneten sich die Pforten der Macht nur Begüterten sowie bekennenden Mitgliedern der Church of England. Die Verbindung zwischen Religion und Einhegung reicht in der englischen Geschichte weit zurück, bis zur Protestantischen Reformation. Für Marx spielte diese Trennung der Menschen vom Land – die er primäre oder ursprüngliche Akkumulation nannte – »dieselbe Rolle wie der Sündenfall in der Theologie« (MEW 1968, Bd. 23: 741).
Das rote Gewand des Magistrats und die schwarze Soutane des Priesters vereinten sich in Oxford, um Otmoor einzuhegen. Vier Geistliche der Church of England – der Kaplan von Beckley, der Pfarrer von Oddington und die Vikare von Charlton und Noke – waren überzeugte Unterstützer der Einhegung. Zwei von ihnen wurden Bevollmächtigte, die tatsächlich 1700 Menschen Land wegnahmen und es an 78 weiterverteilten. Ein Großteil des Landes ging an Geistliche sowie an drei der Oxforder Hochschulen Balliol, Oriel und Magdalen. Lloyd war nicht nur Professor, sondern auch Geistlicher in der Church of England. Ohne seine persönlichen Besitzverhältnisse oder die Rolle der Oxforder Hochschulen bei den Auseinandersetzungen im Rahmen der Enclosure Act von Otmoor zurückverfolgt zu haben, scheint es offensichtlich, dass seine Argumente sich auf die Kämpfe des einfachen Volkes bezogen, die des Nachts und bei Tag durchgeführten, die lang geplanten und die spontanen, die in der Stadt und auf dem Land. Wie Malthus vor und Hardin nach ihm, war er ein Aneigner und kein Commoner.
Um die Antriebskräfte der Geschichte zu verstehen, müssen wir den Rissen in den Mauern und den Löchern in den Zäunen Aufmerksamkeit schenken. Wir sollten nicht vergessen, dass die Bristol Radical History Group die History-Workshop-Tradition in vielerlei Hinsicht neu belebt hat. Zwei ihrer Veröffentlichungen beschäftigen sich mit den Einhegungen und dem Widerstand dagegen (Wright 2008; Mills 2009). Sie bringen die real gelebte Geschichte zum Vorschein, in der das Konkrete der Feind des Abstrakten ist und der Historiker (der die Menschen Erinnernde) ein Kulturarbeiter, der den Menschen zur Seite steht.
Die Erstveröffentlichung der Vollversion dieses Texts Enclosures from the Bottom Up erfolgte im Radical History Journal, Ausgabe 108, S. 11-27, Herbst 2010. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Duke University Press. © 2010 by MARHO: The Radical Historians’ Organization, Inc.
Literatur
- Barrel, John (1972): The Idea of Landscape and the Sense of Place, 1730-1840, New York.
- Boyle, James (2003): The Second Enclosure Movement and the Construction of the Public Domain, Law and Contemporary Problems, Band 66, S. 33-74.
- Cockburn, Alexander (1996): »A Short, Meat-Oriented History of the World from Eden to the Mattole«, in: New Left Review, No. 215, S. 16-42.
- Hardin, Garrett (1968): »The Tragedy of the Commons«, in: Science 162 (1968),S. 1243-1248.
- Kelton, Elmer (1971): The Day the Cowboys Quit, Doherty.
- Lloyd, William (1833): Two Lectures on the Checks to Population Delivered Before the University of Oxford in Michaelmas Term 1832, Oxford.
- Mabey, Richard (1980): The Common Ground: A Place for Nature in Britain’s Future?, London.
- Marx, Karl/Engels, Friedrich (1968): Werke, MEW Band 23, Das Kapital, Bd. I, Berlin.
- Mills, Steve (2009): A Barbarous and Ungovernable People! A Short History of the Miners of Kingswood Forest, Bristol Radical History Group, Bristol.
- Neeson, J.N. (1993): Commoners: Common Rights, Enclosures, and Social Change in England, 1700-1820, New York.
- Reaney, Bernard (1970): Class Struggle in Nineteenth Century Oxfordshire, History Workshop, Oxford.
- Thompson, E.P. (1964): The Making of the English Working Class, New York.
- Toer, Pramoedya A. (2000): The Mute’s Soliloquy: A Memoir, trans. Willem Samuels, New York.
- Williams, Raymond (1973): The Country and the City, New York.
- Wright, Ian (2008): The Life and Times of Warren James: Free Miner from the For-est of Dean, Bristol Radical History Group, Bristol.
- Siehe auch für die historischen Zusammenhänge in Deutschland den folgenden Beitrag von Hartmut Zückert in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe auch den Beitrag von Gustavo Esteva in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe auch den Beitrag von Ana de Ita in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Jonathan Rowe weist in seinem Beitrag darauf hin, dass die Macht der Namensnennung zugleich Definitionsmacht der sozialen Verhältnisse ist (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe insbesondere den vierten Teil dieses Bandes (Anm. der Hg.). ↩
- Für diesen Begriff gibt es im Deutschen kaum eine geeignete Entsprechung. »Commoners« sind ursprünglich jene, die Allmende im Sinne von Land oder anderen Gütern auf der Basis gemeinschaftlicher Verfügungsrechte nutzten. In diesem Band wird der Begriff allgemein zur Bezeichnung aller Menschen verwendet, die Commons tragen und pflegen (Anm. der Hg). ↩
- Zur Unterscheidung zwischen öffentlichem Gut und Commons siehe den Beitrag von James Quilligan in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Vergleiche für alle Zitate von Hardin seinen Aufsatz »The Tragedy of the Commons«, in: Science 162 (1968), S. 1243-1248. ↩
- Die Nasenringe – heute noch etwa auf Hochalmen in der Schweiz in Gebrauch – hin-dern die Tiere daran, ihrem Trieb nachzugehen, die Erde permanent umzuwühlen. So wurde den Bauern die Freihaltung ermöglicht (Anm. der Hg.). ↩
- Malthus nennt die Begrenzung des Bevölkerungswachstums durch eine Erhöhung der Sterberate, wie sie durch Hunger, Krankheit und Krieg verursacht werden, tatsächlich »positiv« (Anm. der Hg.). ↩
- Der vollständige Text des Gedichts findet sich zu Beginn dieses Kapitels (Anm. der Hg.). ↩
- Nathaniel Turner führte mit 31 Jahren einen Sklavenaufstand an. 1831 töteten er und sieben andere Sklaven ihre Besitzer und deren Familien, weitere Sklaven schlossen sich dem Aufstand an und zogen mit Messern und Äxten bewaffnet von Siedlung zu Siedlung. Insgesamt fielen dem Aufstand 55 Weiße zum Opfer. Zur Vergeltung wurden mehr als hundert unschuldige Sklaven getötet. Turner verbrachte sechs Wochen auf der Flucht und wurde nach seiner Gefangennahme hingerichtet. Die während seiner Gefangenschaft aufgezeichneten Erinnerungen erreichten ein großes Publikum (Anm. der Hg.). ↩
- Die Menschen rissen – wie im Falle Otmoor beschrieben – an mehreren Orten die an die Kirchentüren angeschlagenen Aushänge ab, auf denen die Einhegungen des öffentlichen Landes kundgetan wurden. Die Kirchentüren waren so etwas wie die mittelalterlichen Litfaßsäulen. Bereits 1801 hatte es ähnliche Aktionen gegeben (Anm. der Hg.). ↩
- Artikel 38 der Church of England, übersetzt nach: http://www.theology.de/downloads/1647westminsterbekenntnis.doc (Zugriff am 24.09.2011) (Anm. des Übersetzers). ↩