Cabrera und Gaitán – Von Märchen und Autorenrechten

Carolina Botero Cabrera und Julio Cesar Gaitán

Es war einmal eine junge Prinzessin, tugendvoll und wunderschön. Ein blauer Prinz, stark und tapfer, ist bereit, jede Mutprobe zu bestehen, um an ihrer Seite zu sein. Es folgen Abenteuer und Romantik. Und schließlich der ersehnte Moment, in dem beide sich vermählen. »So lebten sie glücklich und zufrieden. Und wenn sie nicht gestorben sind dann leben sie noch heute.«

Märchen enthalten Grundmuster, in die Werte eingeschrieben sind, die eine Gesellschaft zu verewigen sucht. Vladimir Propp identifizierte über 30 solcher Märchen-Muster. Wir kennen sie als »die Funktionen von Propp« (Propp 2003). Eines dieser Elemente ist die Vermählung, die den glücklichen Ausgang der durchlebten Abenteuer abschließt. Das »So lebten sie glücklich und zufrieden …« beschreibt die Illusion eines immerwährend glücklichen Lebens, die sich nicht auf ein beliebiges Familienmodell bezieht, sondern auf die Bindung zwischen Mann und Frau. In unserer kolumbianischen Gesellschaft heißt das: Das Glück hängt vom Modell der traditionellen, katholischen Ehe ab; unter Ausschluss aller anderer Optionen.

Gesellschaften verfügen über viele solcher Grundmuster, die sich wie Legosteine verschieden zusammenbauen lassen, doch sie bleiben im Bauwerk gut erkennbar, denn sie kennzeichnen die Argumentationslinien, die auch auf andere Realitäten und Handlungen übertragen werden können.1
Wir schlagen nun vor, uns mit den Grundmustern der Copyright-Debatte auseinanderzusetzen.2 Schließlich wird der Erfolg eines Urhebers – zumindest bei uns – in der Regel mit dem Begriff des »Copyrights« verbunden. So ähnlich wie unser Wohlergehen an das Konzept der märchenhaften traditionellen Ehe gekoppelt wird.

Kontrolle als Standard

In unserer von katholischen Werten geprägten kolumbianischen Gesellschaft wird unaufhörlich wiederholt, dass die Ehe der rechte Weg zur Familie sei, dass sie aus Mann und Frau bestehe und ihr Zweck die Fortpflanzung sei. Ganz ähnlich hören wir ständig, dass es ohne Copyright keine Kreativität gibt, dass viele Arbeitsplätze wegfallen werden und dass das Wohlergehen der Kulturschaffenden vom Copyright abhängt.
Nach dieser Auffassung wird das Copyright fast ausschließlich als Rechtsschutz für geistige Schöpfungen verstanden, der es dem Inhaber erlaubt, die Verwendung seiner Werke durch Dritte (Reproduktion, Bearbeitung, Verbreitung) zu kontrollieren, um den eigenen Aufwand und die Produktionskosten zu decken. Es wird angenommen, dies sei der einzige Weg, Kreative zu entlohnen. Das Copyright gilt so im Wesentlichen als ein Element der Wertschöpfungskette der Kulturbranche, »die beim Schöpfer beginnt, die Produktion durchläuft, sich über Vertrieb und Marketing fortsetzt, und schließlich in der Öffentlichkeit endet, die die Nutzung dieser Inhalte beansprucht«3.

Kreative aller Sparten hoffen auf die Unterzeichnung von Verträgen, die ihnen im Rahmen dieses Kreativwirtschaftmodells das glückliche Ende ihrer eigenen märchenhaften Geschichte versprechen. Doch wer die Realität des Kulturbetriebs genau betrachtet, wird feststellen, dass die Unterhaltungsindustrie (die Rechteverwerter) mit etwa 20 Prozent der erfolgreichen Künstler die Investitionen des Unternehmens deckt, die es für die Investition in die übrigen braucht. Es sind eben diese 20 Prozent, die mit dem Urheberrecht »glücklich und zufrieden leben, bis an ihr Lebensende«.4 Die restlichen 80 Prozent der Kreativen profitieren kaum von der Logik der Kulturindustrie. Vor allem aber haben diejenigen, die keine Verträge bekommen, gar nichts von dieser Kalkulation. Die meisten von uns sind weder Prinzen noch Prinzessinnen.

Vielfalt zählt

Es geht aber auch anders. Das dem derzeitigen Copyright zugrunde liegende Muster trägt nicht mehr in elektronischen Umwelt des Internets. Zahlreiche Studien beschreiben, wie Communitys mit den herkömmlichen Grundmustern des Copyrights brechen, wie sie Freie Software verwalten, wie die Idee der Freien Kultur funktioniert und wie Freie Kultur geschützt werden kann. Viele Arbeiten zeigen auch, warum eine Veränderung dieser Grundmuster geboten ist, damit das Copyright auch anderen Zielen dienen kann als jenem der Kontrolle. Die Communitys haben Instrumente geschaffen (allgemeine öffentliche Lizenzen und freie Lizenzen), die ihre Ziele in Rechtsform gießen.5 Obwohl die Anhänger und Nutzer dieser Lizenzen nicht auf die herkömmliche Kernidee des Copyrights zurückgreifen und sich um eine andere Achse drehen als jene der totalen Kontrolle über ihre Werke, sind sie wirtschaftlich produktiv.

Natürlich wird auch innerhalb des Copyrightmodells der an sich exklusive und umfassende Verwertungsanspruch gelegentlich flexibilisiert, um wegen ihrer gesellschaftlichen Relevanz bestimmte Nutzungen zu gestatten. Diese Nutzungen sind als »Ausnahmen«, »Schranken« oder »Fair Use« bekannt (entsprechend dem jeweiligen Rechtssystem). Auch Ausnahmen und Schranken wirken zurück auf das wirtschaftliche Handeln, von dem Arbeitsplätze und Steuern abhängen (Rogers/Szamosszegi 2007). Deshalb wollen die Befürworter eines traditionellen Copyrights in der Regel nur wenige und eng begrenzte Ausnahmen oder »Fair Use«-Bestimmungen. Die Gesellschaft braucht aber sehr viele solcher »Ausnahmen« von den exklusiven Rechten! Beispielsweise für Werke, die in öffentlichen Bibliotheken benötigt werden. Bibliotheken folgen einer anderen Logik. Sie funktionieren gerade dank dieser Ausnahmen und Schranken. Die öffentliche Ausleihe ist ein Schatz, der der Gesellschaft erheblichen Nutzen bringt, und sollte deshalb nicht ausschließlich vom Willen der Autoren abhängig sein und noch viel weniger von den Zäunen, die auf dem Markt errichtet werden. Die meisten Gesetze erkennen dies an und sehen Ausnahmen für Bibliotheken vor, insbesondere für Werke, die Bibliotheken in Obhut gegeben wurden, um sie zu erhalten. Dennoch wird in Ländern wie Kolumbien immer mal wieder betont, dass die öffentliche Ausleihe nicht vom Copyright geregelt werde und daher die Arbeit der Bibliotheken von den Rechteinhabern nur toleriert würde. Die Idee der absoluten Kontrolle ist hier sehr stark. Verstärkt wird dies durch technische Schutzmaßnahmen, die die Nutzung kontrollieren und einschränken.6

Neue Grundmuster des Copyrights

Auch wenn wir im traditionellen (kolumbianischen) Familienmodell Vorteile und einen gewissen Nutzen erkennen, ist es eine Tatsache, dass man Familien auch anders begreifen kann. Genauso gibt es mehrere Möglichkeiten, jenseits oder im Rahmen des Copyrights kreativ tätig zu sein. Das ist heute so, und es war früher nicht anders. Neue Technologien vervielfachen tendenziell das Potential anderer Schöpfungs- und Nutzungsmuster, denn sie bieten neue Umgebungen für die Produktion, die Verbreitung und den Zugang zu Inhalten und Werken. Und selbstredend bieten sie auch andere Erfolgsmöglichkeiten als jene, die die Kreativindustrie offeriert, weil die neuen Technologien es den Kreativen unter geringem Ressourceneinsatz ermöglichen, das weltweit öffentlich zu machen, was bislang nur im lokalen oder privaten Umfeld möglich war. Das Internet offenbart sich in der Realität als ein neues, die Autonomie der Kreativen beförderndes und der Gesellschaft dienendes Produktionsmodell, in dem Freiwillige nicht unbedingt ihre Urheberrechte als einen Mechanismus zur individuellen finanziellen Belohnung nutzen, vielmehr nutzen sie es zur Stärkung der Gemeinschaft und ihrer Prinzipien. Diese Art des Handelns generiert geteilten Wohlstand (Weber 2004).
Dieses neue Produktionsmodell kann vom Markt nicht einfach ignoriert werden, sondern es wird mit der Zeit für Regierungen, Unternehmen und die Gesellschaft sogar unerlässlich (Benkler 2006). Inzwischen ist klar: Parallel zur traditionellen »Wirtschaft des Handelns« hat sich eine »Wirtschaft des Teilens« entwickelt. Das Umfeld, in dem sich diese Ökonomie des Teilens entwickelt, entspricht gerade nicht den traditionellen Mustern und Strukturen des Marktes; und ihre Beziehung zum Copyright entspricht tatsächlich nicht dem, was das Gesetz als legitim definiert hat (Lessig 2006).

Kurz, die Rahmenbedingungen für die Produktion, Verteilung und Nutzung von kreativen Werken (nicht nur der Kunst und Unterhaltung, sondern auch von Bildung und Wissenschaft) haben sich geändert, und mit ihnen ändern sich die (normativen) Grundmuster. Wir müssen diese neuen Muster identifizieren – und es müssen sich Personen finden, die ein neues Drehbuch schreiben mit einer Fülle von Modellen, die eine andere Botschaft vermitteln und eine andere Sprache sprechen als jene des Copyrights und der unbedingten Kontrolle.
Es gibt kreative Milieus, die vom Copyright als Kontrollmechanismus profitieren, aber wir müssen auch anerkennen, dass es noch etwas anderes gibt, das nicht überrollt werden darf. Wir sollten uns nicht auf eine einzige Möglichkeit fixieren, kreative Leistungen hervorzubringen, und stattdessen einen Gesellschaftsvertrag (und eine Rechtsordnung) annehmen, der Platz für alle Formen bietet, mit kreativen Werken umzugehen. Stellen wir uns ein Rechtssystem vor, in dem alle Formen der Kulturproduktion anerkannt werden, die der industriellen, aber auch die der Freien Technologien, der Freien Kultur, der traditionellen Gemeinschaften, der Wissenschaft und der städtischen Kulturprojekte. Das wäre eine Herausforderung für Gesetzgeber und Richter!

Literatur

  • Benkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom, New Haven. Lessig, Lawrence (2006): On the Economies of Culture, online unter: http://www.lessig.org/blog/2006/09/on_the_economies_of_culture.html (Zugriff am 13.11. 2011). Propp, Vladimir (2003): The Morphology of the Folktale, Austin.
  • Raymond, Eric (1997): Kathedrale und Bazar, online unter: http://gnuwin.epfl.ch/articles/de/Kathedrale/ (Zugriff am 13.11.2011).
  • Rogers, Thomas/Szamosszegi, Andrew (2007): Fair Use in the U.S. Economy: Economic Contribution of Industries Relying on Fair Use, online unter: http://www.ccianet.org (Zugriff am 13.11.2011).
  • Weber, Steven (2004): The Success of Open Networks, Cambridge/London.
  1. Siehe dazu auch den Beitrag von Franz Nahrada zu Mustern des Commoning in diesem Buch (Anm. der Hg.).
  2. In Deutschland schützt das Urheberrecht die Rechte des Urhebers eines Werkes. Das anglo-amerikanische Copyright hingegen bezeichnet das Recht, ein Werk wirtschaftlich zu nutzen (»the right to copy«). Der anglo-amerikanische Copyright-Vermerk gibt in der Regel den Rechteinhaber an und nicht den Urheber. Der konzeptionelle Unterschied zwischen Urheberrecht und Copyright ist sehr wichtig, für das zentrale Argument dieses Beitrags ist er allerdings kaum von Belang (Anm. der Hg.).
  3. Diese Formulierung wird in Kolumbien zur Beschreibung der Intellektuellen Eigentumsrechte genutzt.
  4. Tatsächlich erstreckt sich das Recht zur exklusiven Verwertung über das Ableben hinaus, in der Regel bis zu 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers, die konkrete Schutzdauer hängt vom Entstehungszusammenhang ab (Anm. der Hg.).
  5. Vergleiche dazu insbesondere die Beiträge von Mike Linksvayer und Christian Siefkes
    in diesem Buch (Anm. der Hg.).
  6. Beispielsweise durch Kopierschutztechnologien. Benjamin Mako Hill beschreibt in seinem Beitrag den Fall des digitalen Videorekorders TiVo, der Verschlüsselungen einsetzt, um das Gerät so einzustellen, dass es nur genehmigte Versionen des Betriebssystems laufen lässt (Anm. der Hg.).