Die letzte Expansionsphase des Bergbaus in Südamerika fand Mitte der 1990erJahre statt. Seitdem haben sich die Investitionen in die Exploration und Ausbeutung mineralischer Rohstoffe stabilisiert. Die Reformen des Bergbaurechts in fast allen Ländern des Kontinents trugen ebenso dazu bei wie die hohe Nachfrage nach mineralischen Rohstoffen für die Industrialisierung, vor allem in China und Indien. Verbunden mit der gestiegenen Nachfrage waren Preissteigerungen auf dem Weltmarkt. Die sogenannte »Finanzkrise« seit 2008 trieb die Preise für Edelmetalle weiter in die Höhe. Gold gilt heute als besserer »Zufluchtsort für Anleger« als verfallsanfällige Währungen. Dieser Trend hat zu mehr Bergbauprojekten und zu einer erheblichen Ausweitung der für den Bergbau zugelassenen Territorien geführt.
Peru erlebte eine deutliche Erhöhung der für Tagebauprojekte genehmigten Flächen: von 7,3 Prozent des nationalen Territoriums im Jahr 2005 auf 15,38 Prozent im Jahr 2009. Proportional nahmen auch die sozioökologischen Konflikte zu, da der Druck auf die Gemeinden und deren Land durch die Projekte immer größer wurde. Auch Kolumbien und seine »Bergbau Lokomotive« Santos verzeichnet eine deutliche Erhöhung der Konzessionen. Nach Angaben des kolumbianischen Bergbauministeriums, so berichtet die Tageszeitung El Tiempo am 18. Oktober 2010, sind für mehr als 40 Prozent der Fläche des Landes Konzessionsanträge gestellt. In Argentinien stieg allein zwischen 2003 und 2007 die Zahl der Bergbauprojekte um 740 Prozent auf die stattliche Anzahl von 336. Sie befinden sich in verschiedenen Stadien der Umsetzung (Swamp/Antonelli 2010: 19). In Ecuador steigt trotz der Tatsache, dass durch das Bergbaumandat während der Verfassunggebenden Versammlung 2008 einige Zulassungen vom Staat wieder zurückgenommen wurden (Acosta 2009), die Zahl der Konzessionen vor allem an der Südgrenze zum benachbarten Peru.
Diese Entwicklungen haben weitreichende Folgen für die Ökosysteme und für die Gemeinschaften, die von ihnen abhängen. Durch die Gewährung der Konzessionen verloren viele Gemeinschaften Zugang zu den wichtigsten Ressourcen, die sie seit langem nachhaltig und entsprechend dem Gewohnheitsrecht nutzen. Die Rede ist nicht vom Wasser als Element oder vom Land als Substanz; die Rede ist von der Bedeutung und Funktion natürlicher und kultureller Ressourcen für die Entwicklung der »comunidades« (Gemeinschaften) für ihre Lebensweise, ihre Existenz und all jene Dinge, die heute unter dem Konzept des »Buen Vivir«, des guten Lebens, zusammengefasst werden (Choquehuanca 2010).1
In der Region ist die Wasserverfügbarkeit eines der größten Probleme. Als »durstige Industrie« (Cereceda 2007) hat der Bergbau die Landwirtschaft betreibenden Gemeinschaften ihrer Wasserquellen beraubt und den Zugang der städtischen Bevölkerung zum kostbaren Nass erschwert, vor allem in jenen Gegenden, die schon unter Wasserstress leiden wie der Norden Chiles, der Süden Perus und das bolivianische Hochland.2 Daher ist der Schutz der Quellen für die Landwirtschaft, für den menschlichen Bedarf, für die Flüsse, die die Ökosysteme erhalten, und für verschiedene Rituale, die mit dem Wasser verbunden sind, eine existenzielle Forderung der Betroffenen. Das Thema Wasser war Auslöser der jüngsten Konflikte zwischen Gemeinschaften und Bergbauunternehmen. Leider agierten die Regierungen in diesen Konflikten nicht neutral, sondern als Verbündete der transnationalen Konzerne. So war der Islay-Konflikt in der Region Tacna im Süden Perus, durch den es gelang, die Regierung schließlich zur Ablehnung der Umweltverträglichkeitsstudie der Firma Southern Copper Peru für das Projekt Tia Maria zu bewegen, ein Konflikt um die Wasserressourcen der Region. Die Bevölkerung von Islay ist sich der Gefahr bewusst, die das Teilen ihrer Lebensgrundlagen mit der Bergbauindustrie mit sich bringt. Auch dass die Region Puno (Peru) bis zum 30. Juni 2011 für 45 Tage lahmgelegt und die Grenze zu Bolivien geschlossen wurde, hatte seine Ursache darin, dass die Bevölkerung fürchtete, die Flüsse, die den berühmten Titicacasee speisen, würden vergiftet. Zudem ist in einem produktiven Gebiet, das nachhaltig bewirtschaftet wird, kein Platz für Projekte, die letztlich nur zur Vertreibung der Bevölkerung führen. Der Bergbau zerstört nicht nur das Wasser, sondern auch die Lebensader, die mit dem Land, den Traditionen, der Spiritualität und dem Zugehörigkeitsgefühl der Menschen zu ihrem Territorium verbunden ist.
Vor kurzem wurden die besorgniserregenden Auswirkungen des Bergbaus auf die Hochanden-Gletscher bekannt, die ohnehin schon vom Klimawandel bedroht sind. Die Eingriffe transnationaler Bergbauunternehmen in den Gletschergebieten an der chilenisch-argentinischen Grenze3 offenbaren, in welch kritischem Zustand sich die Gletscher bereits befinden und dass den von ihnen abhängigen Ökosystemen Dürreperioden drohen. Das neue argentinische Gesetz zum Schutz der Gletscher versucht, die Gletscher vor dem Bergbau zu schützen, so dass sie ihre Funktion zur Erhaltung der Ökosysteme der hochproduktiven Andentäler erfüllen können.4
Im Norden Kolumbiens gab es eine Reihe von Demonstrationen gegen das Projekt der kanadischen Firma GreyStar in den Sumpfgebieten von Santurbán in der Provinz Santander nahe der Grenze zu Venezuela. Die Demonstrationen erreichten, dass das Unternehmen nach intensiven Verhandlungen mit der Regierung die Umweltverträglichkeitsstudie, die GreyStar selbst erstellt hatte, zurückzog, um so eine größere Konfrontation zu vermeiden. In diesem Konflikt war die Bedeutung des Sumpfgebietes der Hauptgrund für den Widerstand. Das Gebiet ist ein Symbol des Lebens unter extremen Bedingungen mit langen Regenerations- und Reproduktionszyklen der Arten und einem langsamen Wachstum. Würde das Gebiet zerstört, so ginge nicht nur ein Ökosystem und ein Wasserreservoir verloren, sondern auch dieser langsame Lebensrhythmus, der im Gegensatz zu unserem Lebensstil steht.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Bergbaus in Südamerika ist die Landnutzung: Von den Bergbauunternehmen und den Staaten wird das Land als etwas angesehen, das bloß die Schätze unter ihm bedeckt; für die indigene und ländliche Bevölkerung hingegen ist es ihr Land, ihr Territorium5. Die Ausweisung von Zehntausenden Hektar für Bergbauprojekte hindert diese Menschen am freien Zugang und der gemeinschaftlichen Nutzung für ihre Landwirtschaft und die Versorgung mit Lebensnotwendigem wie Holz, Wildfrüchten, Pilzen, Kräutern oder Materialien, aus denen sie Kunsthandwerk herstellen. Zudem ist der Wald die Heimat der Geister. Er ist der Ort, an dem Menschen das Schicksal befragen und Antworten suchen. In ähnlicher Weise haben die Berge eine besondere Bedeutung in der Mythologie der Hochanden. Es sind »Apus« oder heilige Berge, die als Gottheiten verstanden werden und die mit ihren übernatürlichen Kräften die Bewohner des Hochlandes beschützen, auf sie achtgeben und ihr Schicksal steuern. Die Gemeinschaften brauchen ihr Land. Sie brauchen es für die Selbstversorgung und ihre kulturelle Entfaltung. Das wird jedes Mal dann deutlich, wenn der Widerstand gegen die Umsiedlung von Gemeinden6 den Regierungen Kopfschmerzen bereitet. So wie in der Wirikuta in Mexiko. Das 140 Quadratkilometer große Wüstengebiet in der Sierra de Catorce in Nordmexiko gilt in der Kosmogonie der Huicholes (die sich eigentlich Wixárika nennen) als die Region, in der das Leben entstanden ist (La Jornada 05.03.2011). Ein heiliger Ort, den sie seit undenklichen Zeiten verehren. Hier wurden die Götter unter dem Einfluss der Sonne geboren. Die Beschränkung des Zugangs zu ihrem Land aufgrund der Bergbaukonzessionen ändert in einem Ausmaß das Leben der Huicholes, dass die Menschen im schlimmsten Fall gezwungen werden, woandershin zu ziehen. Es ist der Tausch eines Lebens mit Sinn gegen ein Leben des Verbrauchs und des Marktes. Die Bergbaulogik verschiebt die Vision vom »ständig Lebendigen« zu einem »vorübergehenden und wegwerfbaren« Leben.
Der Bergbau hat auch Folgen für das kulturelle Erbe. Archäologische Stätten, Grabstätten, Friedhöfe und andere materielle und immaterielle Kulturgüter werden zerstört. Zudem ist die Artenvielfalt aufgrund der erheblichen Eingriffe ernsthaft gefährdet. Von den Straßen für die Erschließung bis zu den gewaltigen Kratern, die die Tagebaugebiete hinterlassen – die Auswirkungen sind so gewaltig, dass Pflanzen und Tiere oft für immer verschwinden. Und die biologische Vielfalt ist ohnehin durch den Klimawandel bedroht. Die Nutzung fossiler Brennstoffe für den Betrieb der Anlagen sowie die thermoelektrische Stromerzeugung für die Verarbeitung des Gesteins hat auch erhebliche Konsequenzen für das Klima. Etwa zehn Prozent des weltweiten Energieverbrauchs soll auf den Bergbau zurückzuführen sein (Earthworks 2003).
Damit gehen auch die Verlagerung von Anbauflächen und die Veränderungen der landwirtschaftlichen Zyklen einher, während das alte Wissen der biologischdynamischen Landwirtschaft die Wirkung verliert, die es seit Jahrhunderten hatte. Bodenschutzmaßnahmen, die Kenntnis der Anbaurhythmen und Eingriffe auf Grund von Bioindikatoren verschwinden und mit ihnen Traditionen, die Kultur und Bräuche am Leben hielten. Die Bauern der Quechua und Aymara in Puno waren in der Lage, das Wetter und somit die beste Zeit zur Pflanzung auf Grund von Bioindikatoren vorherzusagen. Die Entwicklung einer bestimmten Ameisenart sagte etwas darüber aus, wie sich Regen und Frost in dieser Region des peruanischen Hochlandes verhalten würden. Wenn die junge Ameise ihre Flügel verlor, musste früh ausgesät werden. Ein frühblühender Kaktus bestätigte die Botschaft der Insekten, dass jetzt Pflanzzeit war.
Wenn die Menschen von ihrem Land vertrieben werden und daraufhin ihre traditionellen Praktiken aufgeben, verlieren wir unwiederbringlich oft uraltes Wissen und ein kulturelles Erbe.
Souverän über das eigene Territorium zu verfügen – diese Idee gerät in den Beziehungen zwischen den Bergbauunternehmen und den Ländern Südamerikas zunehmend ins Hintertreffen. Stattdessen sind politische Manipulation, Korruption und Erpressung gängige Praxis, um noch bessere Investitionsbedingungen zu erzielen. Dies drückt sich unter anderem in sehr niedrigen Einkommenssteuersätzen und Lizenzgebühren für den Abbau aus. Dem dienen Finanzierungsmechanismen, die vor allem dazu da sind, das wirkliche durch den Abbau erzielte Einkommen zu verschleiern (Alcayaga 2005). Das Ergebnis dieses Prozesses: eine ethisch-moralische Abwärtsspirale. Der Korruption von Beamten wird Tür und Tor geöffnet, oder sie wird vertieft, Wirtschaftskriminalität ist die Folge.
Der Widerstand gegen den Bergbau wird in Südamerika oft als Widerstand gegen die Entwicklung hingestellt, obwohl es für die betroffenen Gemeinden und die Umweltschützer vor allem ein Kampf für die Wiedererlangung ihrer Rechte ist. Dieser Kampf wird sich zuspitzen und zwar in dem Maße, in dem den Gemeingütern ein bergbaulastiges Entwicklungsmodell aufgedrückt wird.
Literatur
- Acosta, Alberto (2009): La maldición de la abundancia, Abya Yala, Quito.
- Alcayaga, Julian (2005): Manual del defensor del Cobre, Santiago de Chile.
- Cereceda, Enrique (2007): Agua y minería, una industria sedienta, Bnamericas.
- Choquehuanca, David (2010): Hacia la reconstrucción del vivir bien, Alai. Earthworks (2003): http://www.earthworksaction.org/publications.cfm?pubID=64 (Zugriff am 30.09.2011).
- Swampa, Maristella/Antonelli, Mirta A. (2010): Minería Transnacional, Buenos Aires.
- Zum Konzept des Buen Vivir siehe das Gespräch zwischen Gustavo Soto Santiesteban und Silke Helfrich in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe unter: http://www.larepublica.pe/23-06-2011/minera-sancionada-por-usaragua-sin-permiso-en-puno (Zugriff am 30.08.2011). ↩
- Die Anmerkung bezieht sich auf das Projekt Pascua Lama des kanadischen Unternehmens Barrick Gold. Der Konzern plant 16,9 Millionen Unzen Gold, 635 Millionen Unzen Silber und 250.000 Tonnen Kupfer abzubauen. Dafür müssen mehrere Gletscher durchbohrt werden. Der Abbau mit Zyanid (in Lateinamerika üblich!) soll unter freiem Himmel auf argentinischer Seite stattfinden (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe unter: http://parlamentario.com/noticia-33704.htm (Zugriff am 30.08.2011). ↩
- Zum Begriff des »Territoriums« lohnt die Lektüre des Beitrags von Mayra Lafoz Bertussi in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Zu den kulturellen Hintergründen des Widerstandes gegen Großprojekte – seien es nun Staudämme oder Bergbauprojekte – ist der Artikel von Vinod Raina in diesem Buch aufschlussreich. Er bezieht sich zumeist auf Beispiele aus Indien (Anm. der Hg.). ↩