Jonathan Rowe – Wer den Namen bestimmt, definiert die Verhältnisse

Jonathan Rowe

Willie Mays oder AT&T?

7. Februar 2006
Vor Elvis, vor den Beatles und lange vor Michael Jordan gab es Willie Mays. Willie war neu. Er war cool. Seine Baseballmütze war frech gebogen; die Krempe wölbte sich schwungvoll über den Schläfen. Wir brachten in unserer Jugendliga die Mützen in dieselbe Form. Bis spät in die Nacht hinein übten wir »The Catch«, seinen atemberaubenden Fang bei der World Series im Jahr 1954, als er mitten ins Zentrum des Poloplatzes rauschte.

Dort nämlich spielte Willie: auf dem Poloplatz in Harlem. Denn einst war der Baseballplatz ein Polofeld. Seinerzeit gab man den Stadien bodenständige Namen
– ein Ausdruck der Verbundenheit mit dem Ort. Manchmal ging der Name auf die Familiennamen der ortsansässigen Besitzer zurück, so wie das Ebbets Field in Brooklyn und das Chicago’s Wrigley Field. Manchmal ergab er sich auch aus dem Ort selbst, so wie beim Boston Fenway Park.
Aber die Namen waren immer mit dem Ort verknüpft. Du hörtest »Polofeld« und du wusstest, wo du warst. In Harlem. Über die Jahre wurde dieser Baseball-platz viermal umgelegt und umgebaut. Doch der Name blieb bestehen, weil er ausdrückte, was ein Name traditionellerweise ausdrückt – eine Verbindung zwischen Menschen und einem Ort.

Dann kamen die Giants nach San Francisco. Sie spielten im Candlestick Park, der wegen der Candlestick-Spitze in der Bucht von San Francisco1 so hieß. Willie inmitten dieser kalten Winde statt in den lockeren heißen New Yorker Sommern – das war kaum vorstellbar. Doch niemals verlor er sein Fingerspitzengefühl und seine Fröhlichkeit; und jetzt ruht er natürlich in der Hall of Fame.
Im Jahr 2000 zogen die Giants in ein neues Baseballstadion. Es war am China Basin gelegen, ebenfalls direkt an der Bucht, aber näher an der Innenstadt und windgeschützter. Das Stadion wurde nach dem Vorbild des Camden Yards in Baltimore gebaut – ein neues Stadion, dessen Design bis ins letzte Detail einem alten nachempfunden war. Es war in jeder Hinsicht ein voller Erfolg, außer in einer: Der neue Platz trug nicht den Namen eines Ortes. Er trug den Namen eines Unternehmens: Pac Bell Platz – was ihm eher die Atmosphäre eines Bürogebäudes verlieh, als die eines Ortes, an dem man Baseballspiele ansehen würde.

Später wurde Pac Bell2 zur SBC Corporation, der Name des Baseballplatzes änderte sich entsprechend. Danach kaufte SBC auf, was von seinem einstigen Mutterkonzern AT&T noch übrig war – der Name des Baseballplatzes änderte sich erneut. Beim Poloplatz in Harlem hingegen änderte sich zwar die Struktur, aber der Name blieb immer derselbe. In San Francisco blieb die Struktur dieselbe, aber der Name änderte sich andauernd, im Takt der entwurzelten Einfälle der Finanzwelt.
Eine Gruppe von Fans erkannte schließlich den letzten Namenswechsel als Chance – für das Team und für die Stadt, und letztendlich auch für das Unternehmen, das um öffentliche Aufmerksamkeit warb: Warum den Ort nicht einfach Willie-Mays-Platz nennen? In diesem Namen würden sowohl die »Giants« als auch »San Francisco« mitschwingen. Es würde das Herz eines jeden Baseballfans höher schlagen lassen. Das Unternehmen SBC oder AT&T, oder wie auch immer der Name sein mag, würde dann zu den »Guten« gehören, gewissermaßen ein unternehmerischer Held sein. Indem es sich mit weniger begnügte, würde es durch mehr Anerkennung und Wohlwollen einen größeren Nutzen ziehen.

Die Fans haben also eine Webseite eingerichtet, T-Shirts verkauft und eine Unterschriftenkampagne auf den Weg gebracht. In der Lokalpresse erschienen Kolumnen. Mir ist niemand bekannt, der sich gegen den Namen »Mays Field« aussprach. Gibt es eigentlich überhaupt Menschen, die möchten, dass ihr lokaler Baseballplatz den Namen eines Telekomgiganten trägt, der die Identität dieses Platzes einhegt und auch einen Zaun um unser Internet errichten will?

Die Fans boten einen Kompromiss an: Mays Field im AT&T Park. Win-win, wie man so schön sagt. Ähnlich war es in Boston mit dem Boston Garden, der zum Fleet (Bank) Centre und dann zum TD Banknorth Garden wurde. Das Mile High Stadium in Denver wurde zum Invesco Field in Mile High. So lahm solche Mischlösungen auch klingen mögen, sie erkennen immerhin an, dass Sportplätze nicht nur Reklameflächen für Unternehmen sind. Es sind Orte mit Geschichten – und auf diese Geschichten kommt es an.
In San Francisco war nicht einmal das möglich. Der Pac Bell Park, der zum SBC Park wurde, wurde danach zum AT&T Park. Statt an Willie zu erinnern, wie er locker aufs Feld läuft, entschieden sich die Giants dafür, das Telefonmarketing zur Abendbrotzeit in Erinnerung zu rufen.

In einer Nebenvereinbarung legten sie für die rechte Platzhälfte den Namen »Levi’s Landing« fest, im Rahmen einer »strategischen Partnerschaft« mit dem Unternehmen Levi Strauss Company, das dafür über einen Zeitraum von sechs Jahren jährlich eine Million Dollar bezahlt. Aber die Fans geben nicht auf. Den Giants mag der Park gehören und AT&T die Namensrechte, aber keinem von beiden gehören Sprache und Wörter, so wie wir sie aussprechen. Wir können den Ort nennen, wie wir wollen. Wir können ihn Willie Mays Field nennen, auch wenn ihnen das nicht gefällt. Wenn genügend von uns dies tun, dann wird es Willie Mays Field sein, ganz egal, was die Geldwechsler sagen. Und damit nicht genug. Wenn wir in Boston leben, können wir über den »Garden« sprechen, und in Denver über »Mile High«. Wenn wir in Detroit wohnen, können wir den Platz der Tigers immer noch »Briggs« nennen, unabhängig von dem Unternehmensnamen, den ich mir ohnehin nicht merken kann. Was hält uns davon ab?
Etwas benennen zu können heißt, etwas definieren zu können. Wenn wir die Namen von Orten in unserer Umgebung zurückholen, beginnen wir, die Orte selbst zurückzugewinnen.

Jonathan Rowe war ein Aktivist und Denker, der sich mit Commons und Wirtschaftsfragen auseinandergesetzt hat. Er machte deutlich, dass Bezeichnungen und Redeweisen Politik begründen. Wie sollen wir die Welt benennen und klassifizieren? Welche Logiken sollen wir in unserer Redeweise anerkennen und welche marginalisieren? Rowes vielfältiges journalistisches Werk befasste sich mit den tief sitzenden Begrenzungen konventioneller ökonomischer Theorien, mit der geistigen Armut der Marktkultur und mit der Attraktivität der Commons, um eine bessere Welt denken und aufbauen zu können. Der folgende Kurzessay wurde am 7. Februar 2006 auf http://onthecommons.org (Zugriff am 06.02.2012) veröffentlicht. Rowe verstarb unerwartet am 20. März 2011. Ein Online-Archiv seiner Arbeiten findet sich auf http://www.jonathanrowe.org (Zugriff am 06.02.2012).

  1. Eine Landspitze in der Bucht von San Francisco, die an einen Kerzenhalter erinnert (Anm. der Hg.).
  2. Pac Bell ist die Kurzform von Pacific Telephone and Telegraph Company, einer Firma, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Kalifornien den Telekommunikationsmarkt beherrscht (Anm. der Hg.).