Mayra Lafoz Bertussi – „Faxinais“ und ihre Nutzer Commons in einem komplexen Verhältnis zum Staat

Mayra Lafoz Bertussi

In Brasilien entstehen unzählige neue Grundbesitzformen. Sie zeigen, dass sich der Staat nicht auf die Anerkennung einiger weniger Nutzungsformen beschränken muss. Viele Gemeinschaften bekräftigen ihr Recht auf die gemeinsame Nutzung ihres Landes: Indigene, »quilombolas«1, die Kokospalmbauern, die »caiçaras«, »cipozeiras«2 und »faxinalenses«. Letztere gehören zu einem »faxinal« (Pl.: »faxinais«). Für die Allmendediskussion ist die Analyse dieser unterschiedlichen Formen der gemeinsamen Aneignung eines Territoriums durchaus aufschlussreich. Im Folgenden werden die »faxinalenses« des brasilianischen Bundesstaates Paraná näher untersucht.

Es ist nicht einfach zu sagen, was genau ein »faxinal« ist, denn man muss sich auf Kategorien festlegen. Eine mögliche Form, ein »faxinal« zu bestimmen, ist, dass es eine Fläche gibt, die für die gemeinsame Nutzung reserviert ist. Diese Flächen sind als »criador común« oder »terra de criar« bekannt, als gemeinsames Land zur Viehzucht. Die Anwohner nutzen es, um ihr Vieh zu weiden oder Feldfrüchte zu ernten. Zäune gibt es zwischen den einzelnen Grundstücken nicht, sondern die Tiere eines »faxinal« bewegen sich im »criador comun« frei und ernähren sich von dem, was dort wächst, ohne dass dies auf private Flächen beschränkt wäre. Doch obwohl das Land des »criador« gemeinsam genutzt wird, befindet es sich rechtlich gesehen in Privateigentum. Die »faxinais« zeigen, wie vielfältig das Ineinanderfließen von Privateigentum und gemeinsamer Nutzung in den Commons tatsächlich ist.3

Auch die Tiere im »criador«, also auf der gemeinschaftlich genutzten Fläche, befinden sich in Privateigentum. Sie sichern die Ernährung der Menschen. Die Bezeichnung »Nutzvieh« (»criação«) ist jedoch nicht nur funktional. Nutzvieh schafft die Kulturlandschaft eines »faxinal« auch mit. Es kann »frei« (»solto«) oder »geschlossen« (»fechado«) sein. Diese Unterscheidung ist für das Verständnis der konkreten Form der Landnutzung wichtig. »Frei« bezeichnet die gemeinsame Nutzung. »Geschlossen« die individuelle. So versucht man den komplexen Zusammenhang zwischen gemeinsamer und privater Nutzung zu fassen. Die Bezeichnungen »frei« oder »geschlossen« können sowohl für die Tiere als auch für andere natürliche Ressourcen gelten, etwa »freie Wasserstellen«, »geschlossenes Mateanbaugebiet« oder »freie Schweineherde«.
Neben dem gemeinsamen Land für das Nutzvieh gibt es auch Land für den Ackerbau, die »lavoura«. Es wird individuell bewirtschaftet und geerntet. Während die gemeinsam genutzte Fläche in der Regel bewaldet ist, wurde das Land für den Ackerbau gerodet und ist vollständig kultiviert. Auf dem gemeinsam genutzten Land gibt es keine Zäune, die die einzelnen Grundstücke voneinander abgrenzen. Ein Zaun wird lediglich um die Gemeindeweide gezogen. Er verhindert, dass das Vieh auf die Äcker läuft. Die Wohnhäuser der »faxinalenses« befinden sich innerhalb des gemeinsam genutzten Territoriums. Dass der Schutz des Privateigentums in einem »faxinal« keine große Rolle spielt, heißt nicht, dass es hier um Land ohne Eigentümer oder Regeln geht. Die existierenden Nutzungsvereinbarungen für die jeweiligen Flächen sind allerdings für das »bloße Auge« nicht einfach erkennbar, denn sie sind ungemein vielfältig. Am wichtigsten scheint, die Zäune instand zu halten. Jemand, der sich an deren Herstellung und Reparatur beteiligt oder der Gräben zieht und pflegt, kann sein Vieh auf dem gemeinsamen Land weiden lassen. Auch wenn dies kollektiv erledigt wird, wird die Arbeit des Einzelnen anerkannt. Solche gemeinschaftlichen Arbeitseinsätze an den Zäunen nennt man »mutirão de cerca«. Sie sind konkreter Ausdruck der Wertschätzung der »faxinalenses« für das Gemeinschaftliche und für die gemeinsame Nutzung des Territoriums.
»Territorium« wird hier als Kategorie verstanden, die soziale und kulturelle Aspekte mit einschließt, denn das Territorium ist durchdrungen von Beziehungen und Übereinkünften zwischen den Eigentümern und den Anwohnern. Die Weide, die Tiere, Wasser, Zäune und Gräben sind Teil der aktiven Gestaltung eines Territoriums, in das die facettenreiche Beziehung zwischen Privateigentum und gemeinsamer Nutzung eingewoben ist.

Die Vielfalt und der Staat — eine delikate Beziehung

Die Verordnung 3477/97 des Umweltinstitutes des Bundesstaates Paraná (IAP) ist die erste Regelung, die speziell für die »faxinais« erarbeitet wurde. Sie definiert Ende der 1990er-Jahre die »faxinais« als »Schutzgebiete, die nachhaltig genutzt werden«. In der Verordnung wird der Ausdruck »System faxinal« verwendet, der darauf hinweist, dass es sich um eine spezifische Produktionsform handelt. Der Gesetzestext betont den Begriff des »Systems« und hebt den Umweltaspekt sowie die produktive Seite hervor und nicht die traditionelle Lebensweise der »faxinalenses«.

In diesem Umweltdiskurs kommt aber das konkrete Handeln der Subjekte für die Erhaltung der eigenen Lebenswelt im Grunde nicht vor (Shiraishi 2009).4
Im August 2005 entstand der Kooperationsverband der Gemeinschaften der »faxinalenses« (Articulação Puxirão dos Povos Faxinalenses)5. Er setzt sich für den Schutz der kollektiven und territorialen Rechte ein. Die »faxinalenses« verstehen sich als traditionelle Völker, die den Zugang zum Territorium zu ihrem Hauptanliegen gemacht haben. Hier liegen auch die Hauptanliegen des Verbandes. Die »faxinalenses« fassen den Begriff des »Traditionellen« jedoch nicht als Element eines linearen Zeitverständnisses. Das sogenannte »Traditionelle« beschränkt sich somit nicht auf die Geschichte, auf eine ferne und unveränderliche Vergangenheit.

Der Verband unterstützt im Allgemeinen die Forderungen der sogenannten neuen sozialen Bewegungen (Almeida 2008), die die ethnischen und kollektiven Aspekte in den politischen Auseinandersetzungen berücksichtigen und so verschiedene Seinsweisen in der Welt sichtbar machen. Sie geben der Vielfalt der Ethnien im brasilianischen Nationalstaat ein Gesicht. Dabei widerstehen sie einem Verständnis des Ethnischen als dem Originären und Vorrangigen. Deshalb gibt es den ursprünglichen »faxinalense« für sie auch nicht, sehr wohl aber Gruppen, die sich dieser kollektiven Identität zugehörig fühlen. Diese neue Debatte um kollektive Identitäten, die die neuen politischen und sozialen Bewegungen mitbrachten, hat auch zur Aufarbeitung der Geschichte beigetragen. Sie löscht natürlich die primäre Erfahrung der gemeinsamen Herkunft nicht aus. Die Menschen in den »faxinais« bringen eine ganze Menge unterschiedliche Zugänge ein, um ihre kollektiven Identitäten zu stärken. Die Identität der »faxinalenses« hat also sehr vielfältige und unterschiedliche konkrete Erscheinungsformen. Es gibt »faxinais Caboclos«6, »faxinais« der Polen, Ukrainer oder Deutschen. Oft heißen sie wie die wichtigsten oder einflussreichsten Familien: die »Faxinal Küguer«, »Faxinal der Coutos«. Doch mit dem Entstehen eines Verbandes, der auf dem Kriterium der Selbstdefinition beruht, kam diese ganze Vielfalt der Bezeichnungen in einem einzigen Begriff zusammen: »faxinalenses«.

Die Vielfalt ist sehr wichtig für unser Verständnis der »faxinais«, da sie verschiedene Aspekte von Identität und Beziehungsdynamik offenbaren: von der konkreten Herkunft bis zu all jenen Formen, in denen sich Identität heute darstellt. Mit dem Nachdenken über die Verschiedenheit der Menschen in den »faxinais« wird die Suche nach einer vorgeblich authentischen Identität zurückgewiesen. Selbst in der gemeinsamen Nutzung des Landes ist die Heterogenität offensichtlich. Es gibt »faxinais« mit offenen Viehweiden, die kein Zaun umgibt, andere erlauben die gemeinsame Nutzung der Weide nur für sogenanntes Großvieh, wie Rinder oder Pferde.

Im Jahr 2006 wurde der Verband in die Nationale Kommission für Nachhaltige Entwicklung der Indigenen Völker und Traditionellen Gemeinschaften aufgenommen. Diese Kommission wird von der brasilianischen Regierung einberufen. Sie bringt Verwaltungsbeamte der Bundesstaaten mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen, die den traditionellen Gemeinschaften und Völkern verbunden sind. Am 7. Februar 2007 wird die Verordnung Nr. 6040 erlassen, die eine nationale politische Strategie für die nachhaltige Entwicklung traditioneller Völker und Gemeinschaften begründet. Auch die Menschen der »faxinais« werden in diesem Dokument berücksichtigt.

Auf Druck des Verbandes mündet der politische Organisationsprozess 2007 schließlich in die staatliche Anerkennung. Per Gesetz erkennt der Bundesstaat Paraná die »faxinais« und ihre Territorien an. Während die staatliche Verordnung von 1997 noch keine der Besonderheiten der »faxinalenses« berücksichtigte, erkennt Artikel 2 des Gesetzes 15.673/2007 nun die Identität als »faxinalense« als Kriterium dafür an, welche traditionellen Völker ein spezifisches Territorium als »faxinal« nutzen können. Doch insgesamt gibt es nach wie vor nur wenige Initiativen des Staates, die Territorien der »faxinalenses« anzuerkennen. Einige Kommunen haben kommunale Gesetze zur Anerkennung der »faxinais« erlassen, aber keine einzige hat den Landbesitz reguliert.
Diese Gesetze sind ein wichtiger Fortschritt auf dem Weg zur Anerkennung anderer Identitäten und Lebensweisen sowie Landnutzungsformen, die gemeinsame Landnutzung und Privateigentum miteinander verbinden.

Allerdings gibt es, wie überall, auch bei den »faxinalenses« noch einige Hürden zu überwinden, um ihre Rechte wirklich durchzusetzen. Mehrere Zeugen haben über Gewalt und Verfolgung von »faxinalenses« berichtet. Selbst gegen den Viehbestand wurde aggressiv vorgegangen, als symbolischer Akt der Ablehnung gemeinschaftlicher Nutzung. Die Behörden ignorieren meist die Gesetzgebung und erkennen die Territorien der »faxinalenses« nicht an. Und so wird am Ende eher dem Privateigentum an Land statt den gemeinsamen Nutzungsrechten das Wort geredet.

Literatur

  • Almeida, Alfredo W.B. (2004): »Terras tradicionalmente ocupadas, Processos de Territorialização e Movimentos Sociais«, in: Estudos Urbanos e Regionais V.6, No. 1.
  • Shiraishi Neto, Joaquim (2009): »Direito dos Povos dos Faxinais«, in: Universidade do Estado do Amazonas (Hg.): Terra de Faxinais, Manaus, S. 17-28.
  1. Nachfahren der Sklaven, die noch vor dem Verbot der Sklaverei 1888 von den Plantagen geflohen waren und sich in entlegenen Gegenden in sogenannten »quilombos« zu Lebens- und Arbeitsgemeinschaften zusammengeschlossen hatten (Anm. der Hg.).
  2. »Caiçaras« und »cipozeiros« sind traditionelle Völker, die vom Sammeln leben. Die »caiçaras« leben in der Nähe des Meeres von Fischfang und Landbau. »Cipozeiros« sammeln die jungen Ruten des »cipó«, eines einheimischen Baumes, und widmen sich Korbflechtarbeiten (Anm. der Hg.).
  3. Siehe insbesondere den Beitrag von Liz Alden Wily in diesem Buch (Anm. der Hg.).
  4. Zum Spannungsfeld »Schutzgebiete vs. soziale Interessen der Nutzerinnen und Nutzer« siehe auch den Beitrag von Ana de Ita in diesem Buch (Anm. der Hg.).
  5. »Puxirão« kann hier als »mutirão« (Gemeinschaftsarbeit) verstanden werden (Anm. der Hg.).
  6. »Caboclos« sind Mischlinge aus Indios und Europäern. Im Norden Brasiliens wird der Begriff heute für Mischlinge heller Hautfarbe benutzt, die vor allem in den kleineren Orten am Unterlauf des Amazonas leben (Anm. der Hg.).
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