Die gegenwärtige Wirtschaftskrise ist nicht einfach eine Rezession, sondern eine sozial destabilisierende Strukturkrise des Kapitalismus. Sie erfordert eine Neuordnung der Klassen- und Machtverhältnisse sowie neue Formen der Governance (der Regierungsführung bzw. der Steuerung), damit – aus Sicht des Kapitals – Wachstum und Akkumulation wieder möglich werden. Die beiden letzten tiefgreifenden Veränderungen der Governance des Kapitalismus – der Schwenk zum Keynesianismus nach dem Zweiten Weltkrieg und die Wende zum Neoliberalismus in den 1970er-Jahren – folgten jeweils heftigen sozialen Kämpfen, in deren Verlauf soziale Bewegungen alternative Gesellschaftsformen denken lernten. Aus Angst, »Ideen, die die Massen ergreifen«, könnten radikale Transformationen herbeiführen, war das Kapital plötzlich bereit, die Steuerungslogik zu ändern und einigen sozialen Forderungen nachzugeben. Es arrangierte sich mit einigen aus der Bewegung und lagerte rund um den Globus die Kosten auf andere Gruppen und die Umwelt aus. Verschiedene Teile der Gesellschaft gegeneinander auszuspielen war schon immer eine Strategie des Kapitals.1 Aber dieses Mal liegen die Dinge komplizierter.
Meine erste These ist, dass diese Stabilitätskrise das Kapital in eine Sackgasse führt. »Sackgasse« bedeutet: dass Nachschub für weiteres Wachstum nicht mehr ausreichend geliefert werden kann, vor allem nicht aus den Umgebungen, in denen das kapitalistische System operiert. Das Kapital – verstanden als gesellschaftliche Kraft, die Kooperation zum Zweck der Akkumulation organisiert – ist von zwei Systemen umgeben. Einerseits sind es die sozialen Systeme, die das Leben in seinen verschiedenen Facetten auf nicht-marktförmige Weise reproduzieren. Geld zu verdienen ist hier allenfalls ein Mittel der Bedürfnisbefriedigung und nicht Selbstzweck. Wenn die gekauften Waren die Sphäre des Marktes verlassen und in den Bereich des Sozialen übergehen (Haushalte, Vereine, Netzwerke usw.), geraten sie oft in die komplexe, kulturell und politisch vielfältige Welt der Commons. Hier geschieht die kulturelle und physische Reproduktion der Arbeitskraft, jener für das Kapital so zentralen Ware. Dieser Bereich bleibt eng an das Kapital gebunden, aber er liegt außerhalb seiner Kontrolle. Auf der anderen Seite sind es die Ökosysteme, auf die alles Leben und jegliche soziale Organisation angewiesen sind. Die Sackgasse, in die das Kapital nun geraten ist, besteht sowohl in der Zerstörung der sozialen Reproduktionssysteme durch den Rückgang von Löhnen und Sozialleistungen – in den letzten 30 Jahren ist Arbeit immer individualisierter, flexibler und prekärer geworden – als auch in der zunehmenden Unfähigkeit der Ökosysteme, den nie enden wollenden Drang des Kapitals nach immer mehr Ressourcen und Kostenauslagerung zu befriedigen.
Auswege aus dieser Sackgasse, die der Kapitallogik folgen, enden schlimmstenfalls in einer sozialen und ökologischen Katastrophe; bestenfalls verschärfen sie soziale Konflikte. Wie kann das Kapital diese Situation überwinden? Schließlich muss es auf Strategien drängen, die Wachstum (also Akkumulation) ermöglichen, damit das System überleben kann. Der systemische Wachstumszwang rührt nicht nur daher, dass der Wettbewerb, der das Kapital ständig zur Senkung und Auslagerung von Kosten zwingt, fortwährend Akkumulation erfordert. Wachstum ist auch notwendig, um die profitmaximierende Produktionsweise mit einem hierarchischen Verteilungssystem vereinbaren zu können. Wenn »alle Boote mit der Flut steigen«, gibt es weniger Notwendigkeit, sich den Fragen von Ungleichheit und Umverteilung zu stellen.
Heute jedoch führen alle dem Kapital zugänglichen Strategien für globales Wachstum nur immer tiefer in die Krise der sozialen und ökologischen Reproduktion. Sie erzeugen damit immer mehr Widerstand, selbst wenn dieser sich nicht auf einen klaren programmatischen Punkt bringen lässt. Daher ist das Kapital gezwungen, die Art und Weise der Regelung der Sozialbeziehungen selbst zu verändern oder zumindest die neoliberale Regierungsform so zu justieren, dass die Kosten der Krise nicht ausufern und dass die öffentlichen Ausgaben, die notwendig sind, um krisenbedingte Unruhen in den Griff zu kriegen, sich in Grenzen halten. In jedem Fall aber braucht das Kapital andere Vergesellschaftungsformen, um sein Programm durchzuziehen.
Das führt zu meiner zweiten These: Das Kapital braucht die Commons, oder zumindest bestimmte, domestizierte Formen davon, um aus dieser Sackgasse herauszukommen. Es braucht die Commons als Pflaster.2 Da es nicht so aussieht, als würde der Neoliberalismus demnächst abdanken, ist es sehr wahrscheinlich, dass er auf die Commons zurückgreifen muss, um die Scherbenhaufen zu beseitigen. Und wenn es nicht genug Commons gibt, wird das Kapital irgendwie dafür sorgen müssen, dass sie entstehen.
Nun sind aber Commons auch Systeme, die genau das Gegenteil bewirken könnten: Aus ihnen könnten alternative Formen der Vermittlung sozialer Produktionsprozesse entstehen, die vom Kapital und seinen Übergriffen unabhängig sind. Tatsächlich ist es heute schwer, sich eine Emanzipation vom Kapital vorzustellen und neue Lösungen für ein »gutes Leben« oder soziale und ökologische Gerechtigkeit zu entwickeln, ohne zugleich in der Sphäre der Commons nicht-warenförmige soziale Produktion zu organisieren. Commons sind nicht nur ein »dritter Weg« jenseits der Unzulänglichkeiten von Markt und Staat; sie sind auch ein Vehikel, mit dessen Hilfe der Anspruch auf Aneignung der eigenen Lebens- und Reproduktionsbedingungen vorangetrieben werden kann. Die Forderungen nach mehr Demokratie, die es seit den 1970er-Jahren gibt und die nun weltweit explodieren, sind tatsächlich Forderungen der Mehrheiten, wieder demokratische Kontrolle über die Dinge zu gewinnen, die für die soziale Reproduktion notwendig sind. Zu den demokratischen Freiheiten gehören persönliches Engagement und Verantwortung. Mit Hilfe der Commons können die jeweiligen Verantwortlichkeiten und die entsprechenden sozialen Beziehungen und Produktionsweisen verhandelt werden. Das ist es, was Peter Linebaugh »Commoning« nennt.
Es gibt also genau genommen zwei Sackgassen, eine für das Kapital und eine für die Sozialen Bewegungen. Das Kapital braucht Commons, um die Krise zu überwinden, so sehr, wie die sozialen Bewegungen Widerstand leisten müssen, um sich gegen die Einhegungen der Commons durch das Kapital zu wehren, ernstzunehmende Alternativen zu entwickeln und Versuche der Vereinnahmung der Commons durch das Kapital abzuwehren. Daher ist es entscheidend, nicht nur bestehende Commons zu verteidigen, sondern auch neue zu schaffen, denn sie sind die Orte, an denen soziale Kämpfe ausgetragen werden.
In der Auseinandersetzung zwischen den beiden Logiken, nach denen in beiden Systemen Werte produziert werden,3 entscheidet sich das Potential der Commons als soziale Kraft, die die Hegemonie des Kapitals zu überwinden in der Lage ist. Dieser Kampf um Werte wird in der Commons-Literatur noch nicht ausreichend behandelt.
Commons und Kapital als soziale Systeme
Commons wirken in sozialen Räumen, die nicht vom Kapital bestimmt sind. Das können Räume innerhalb oder außerhalb kapitalistischer Organisationen sein. Es gibt sie in Gemeinden und Vereinen, in sozialen Zentren, bei der Nachbarschaftshilfe, in indigenen Praktiken, in Haushalten, in Peer-to-Peer-Netzwerken im Internet und in religiösen Gemeinschaften. Wir finden sie aber auch in den Werks-hallen der Fabriken und in den Kantinen der Bürogebäude zwischen Kollegen, die einander unterstützen, ihr Essen teilen und Formen der Solidarität und gegenseitiger Hilfe entwickeln. Commons und Commoning entstehen in den »Poren« der gesellschaftlichen Arbeit, die vom Kapital trotz immer neuer, »revolutionärer« Managementstrategien nicht kontrolliert werden können.
Praktiken des Commoning sind so lange unumstritten, wie sie in Räumen stattfinden, die nicht von kapitalistischen Praktiken besetzt sind. Es kommt also immer dann zur Konfrontation, wenn diese beiden unterschiedlichen Formen der Bewertung menschlicher Tätigkeit an strukturelle Grenzen stoßen – wenn es keinen Raum mehr für das Kapital oder die Commons gibt, sich zu entwickeln, ohne sich gegenseitig ins Gehege zu kommen. Wenn dies geschieht, bietet es den Commoners Gelegenheit, gegen die Logik des Kapitals zu mobilisieren, sie können sich ihr aber auch unterwerfen, abhängig von den jeweils herrschenden Machtverhältnissen.
Dass es diese Konfrontation zwischen Commons und Kapital überhaupt gibt, liegt daran, dass Commons besondere Sozialsysteme sind. Innerhalb ihres Wirkungsbereiches besteht die Chance, dass die geleistete Arbeit, die Organisation und die sozialen Beziehungsmuster sich nicht einem äußeren Druck unterwerfen, sondern ihre Reproduktion autonom organisieren, indem sie von den Commoners definierten Kriterien von Gleichheit und Gerechtigkeit folgen. Ob diese Chance genutzt werden kann, hängt von den unvorhersehbaren Machtverhältnissen innerhalb der Commons ab; von der Stärke der Vernetzung zwischen den Commons und von Kräften außerhalb der Commons, wie dem Kapital. Commons eröffnen also einen Möglichkeitsraum im Kampf gegen das Kapital.
Natürlich ist die Organisation der kapitalistischen Produktion darauf ausgerichtet, diese Möglichkeiten soweit wie möglich einzuschränken, sowohl in den kapitalistischen Unternehmen selbst als auch im Prozess ihrer Vermittlung durch den Markt. Zum Beispiel muss sich Arbeit der Essenz der kapitalistischen Entwicklung unterwerfen: dem Profit und nicht dem, was tatsächlich zum Wohlstand oder »buen vivir«4 beiträgt. Ob die für Produktion und Reproduktion aufgewendete Arbeit als wirtschaftlich tragbar angesehen wird, bestimmt der Profit. Das bedeutet auch: Das Streiten für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen innerhalb der kapitalistischen Logik kann durchaus positive und emanzipatorische Veränderungen für einige bringen. In dem Maße jedoch, wie diese Auseinandersetzungen in die kapitalistische Profitlogik integriert werden, verursachen die positiven Veränderungen auch höhere Reproduktionskosten für das Kapital und erhöhen damit die Notwendigkeit, diese Kosten an andere Bereiche sozialer Produktion und an die natürliche Umwelt auszulagern, wenn das Kapital als System überleben will. Die letzte Welle kapitalistischer Globalisierung ist ein anschauliches Beispiel für diese Dynamik.
Commons und Kapital
Das Verhältnis zwischen Commons und Kapital ist notwendigerweise ambivalent, denn ihre gegenseitige Abhängigkeit und die zeitgleiche Entwicklung machen es schwer, genau zu sagen, welches der beiden Systeme das jeweils andere ausnutzt. Diese Ambivalenz kann beispielhaft am Verhältnis zwischen »village commons« (der dörflichen Allmende) und dem Kapital gezeigt werden. In einer Studie vertritt der Anthropologe Claude Meillassoux die Auffassung, dass erst die Reproduktions- und Subsistenzarbeit, die in den Dorfgemeinschaften Südafrikas (meist durch Frauen) erledigt wird, die Mobilität der männlichen Arbeiter für Ernteeinsätze oder andere Arten von Lohnarbeit ermöglicht. Diese Leistung der Dorfgemeinschaften reduziert die Reproduktionskosten für die männliche Arbeitskraft, weil die Kapitalisten, die sie beschäftigen, weder für ihre berufliche Bildung aufkommen noch für irgendeine andere Form sozialer Absicherung gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Alter (Meillassoux 1981: 110f). Meillassoux hat auch den ambivalenten Charakter der heutigen Dorfgemeinschaften erkannt. Ist das subsistenzsichernde Commons zu »unproduktiv«, verringert sich der Wert der »freien Gabe« Arbeitskraft; ist es aber zu »produktiv«, werden weniger Arbeiter ihre Dörfer verlassen, wodurch die Löhne steigen (Caffentzis 2004). In anderen Worten, das Verhältnis zwischen Commons und Kapital ist eine Beziehung zwischen zwei autopoietischen sozialen Produktionssystemen, die – bis zur gegenseitigen Blockade – ineinandergreifen und deren jeweilige Stoffkreisläufe durch die interne Dynamik beider Systeme reguliert werden.
Auf Grund dieser Ambivalenz im Verhältnis zwischen Commons und Kapital kann die Machtfrage von entscheidender Bedeutung sein (Macht wird hier bezogen auf den Zugang zu Ressourcen und die Ausrichtung der Commons gegenüber dem Kapital). Wegen der sozialen Unwägbarkeiten dieses permanenten Konflikts kann die Antwort auf die Frage, ob ein Commons vereinnahmt wird oder nicht, keine ideologische sein. Nur im jeweiligen Kontext und unter Berücksichtigung der jeweiligen Größenordnung kann beurteilt werden, ob Vereinnahmung geschieht. Viele würden zum Beispiel behaupten, dass es ein klarer Fall von Vereinnahmung ist, wenn Commons den Markt nutzen, um einige ihrer Bedürfnisse zu befriedigen, während es tatsächlich in einer bestimmten Situation eine Überlebensstrategie und eine Bedingung für die Reproduktion von Commons sein kann.5
Eine wichtige Bestimmungsgröße dafür, in welche Richtung das Pendel ausschlägt, ist die Lohnrate, sowohl in ihrer individuellen als auch sozialen Komponente. Eine niedrigere Lohnrate nimmt, neben anderen Dingen, den Menschen Zeit und Ressourcen, sich am Commoning zu beteiligen.
Vereinnahmung von Commons
Die zunehmende Abhängigkeit des Kapitals von den Commons hemmt keineswegs sein Verlangen, sie einzuhegen. Das zeigt sich zum Beispiel am Landkauf in großem Maßstab, dem »landgrabbing«.6 Wahrscheinlicher ist, dass das Kapital zusätzlich zur Einhegung versuchen wird, Commons als Lösung für viele soziale Probleme, die durch die Krise entstanden sind, zu nutzen. Wahrscheinlich ist auch, dass es versucht, sie zu vereinnahmen, weil Commons eine Bedrohung für die Managementstrategien des Kapitals darstellen. Einhegung und Vereinnahmung scheinen zwei sich ergänzende Elemente der neuen Strategie zu sein.
Das wird an den Entwicklungsprogrammen der Weltbank für den globalen Süden deutlich. Seit Jahren weist die Weltbank darauf hin, wie wichtig einige Elemente des Commoning sind, wie etwa gemeinsame Ressourcennutzung, die Partizipation der betroffenen Gemeinschaften und der Aufbau von Vertrauen als Sozialkapital. Während Gemeinschaften Kreditvereine gründen können, um ihre Ersparnisse zusammenzulegen und in einer Art »Geld-Commons« über ihre Verteilung selbst zu entscheiden (Podlashuc 2009),7 beziehen sich Entwicklungsorganisationen auf dieselben Prinzipien, um die Menschen an Banken und Mikrokredit-Institutionen zu binden und damit ihre Abhängigkeit vom globalen Markt zu vergrößern. Dadurch werden Beziehungen der Solidarität und Kooperation, die gemeinschaftlich aufgebaut wurden, zu Instrumenten gegenseitiger Kontrolle und Einschüchterung, um Marktinteressen zu dienen (Karim 2008).
In Großbritannien hat eine Regierungskoalition aus Konservativen und Liberaldemokraten seit 2010 massive Kürzungen der öffentlichen Ausgaben vorgenommen. Nun preist sie als Antwort auf soziale Unruhen die Vision einer »Big Society« an, die auf die Ermächtigung der lokalen Gemeinschaften setzt. Die neoliberale Agenda wird weiterverfolgt, als ob es die Krise gar nicht gäbe, obwohl die herrschende Klasse die sozialen und ökologischen Probleme, die aus der Krise entstehen, klar erkennt. Anders als Margaret Thatcher in den 1980ern, die meinte, dass es so etwas wie Gesellschaft gar nicht gäbe, will der konservative Premierminister Cameron sie in eine »Große Gesellschaft« verwandeln. Er verfolgt damit die gleiche Strategie der Beteiligung der Zivilgesellschaft, die bereits die Labour-Regierung in England und die Regierungen der USA und Kanadas angewendet haben (De Filippis et al. 2010: Kap. 4). Wenn es nach Cameron geht, müssen die Regierungen »die öffentlichen Dienstleistungen dringend für neue Anbieter wie Wohltätigkeitsvereine, soziale Unternehmen und private Firmen öffnen, damit es mehr Innovation und Vielfalt gibt und besser auf öffentliche Bedürfnisse reagiert werden kann« und damit »peppige Gemeinschaften« entstehen.8
Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass es nicht nur um finanzielle Ressourcen geht, sondern um Ressourcen, die in fragmentierten und zersplitterten Gemeinschaften schlummern und durch eine Art Commoning wieder belebt werden müssen. Menschen sollen ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen, in dem sie etwa Diabetiker, alte Leute oder marginalisierte Jugendliche in Selbsthilfegruppen zusammenbringen.9
Die Idee, Gemeinschaften zu mobilisieren, um in ihrer Nachbarschaft für Ordnung zu sorgen, ist natürlich nicht neu. Was aber in Diskursen wie jenem der »Big Society« neu aufscheint, ist die Verpflichtung, tiefgreifende Veränderungen schneller durchzusetzen, aber soziale Innovationen brauchen bekanntlich ihre Zeit.
Ein anderer Diskurs des Kapitals, um die Commons für die eigenen Interessen zu nutzen, ist das Konzept der »nachhaltigen Communitys«, ein Begriff, der in der Stadtplanung oder von Designern verwendet wird, wenn neue Finanzdistrikte, Einkaufszentren oder riesige Veranstaltungsorte (wie für die Olympischen Spiele) geplant werden. Die Grundidee ist, dass »nachhaltige Gemeinschaften auf eigenen Füßen stehen und sich den permanent ändernden Anforderungen des modernen Lebens anpassen können« (SC 2003). In anderen Worten, sie gehen angesichts der fortlaufenden Anpassungsleistungen, die ihnen die erbarmungslose Dynamik der Weltwirtschaft abverlangen, nicht in die Knie. Aber diese Vision – mit den Schwerpunkten (Weiter-)Bildung, Umweltschutz, neue Regierungsformen, Partizipation und natürlich Nachhaltigkeit – ist ein Widerspruch in sich. Es ist eine Vision, in der Gemeinschaften nie müde werden dürfen, mit anderen Gemeinschaften irgendwo auf der Welt zu konkurrieren, um die Brüche und Ungleichheiten in der Einkommens- und Vermögensverteilung aufzufangen, die durch die Konkurrenz auf dem Weltmarkt entstehen. Dadurch wird Commoning an einen Prozess gebunden, der Konkurrenz und Zwietracht sät, um das ganze Spiel am Laufen zu halten. Die widersprüchliche Situation, in der wir leben, scheint für das Kapital der Schlüssel zum Überleben (De Angelis 2007b).
In allen genannten Fällen wird Commoning zu etwas, das einem Zweck außerhalb des Commons selbst dient. Das Ziel ist nicht, Alternativen zum kapitalistischen System zu entwickeln, sondern einen bestimmten Bereich innerhalb des Systems – eine Region oder eine Stadt – wettbewerbsfähiger zu machen und gleichzeitig irgendwie die Probleme der Reproduktion in den Griff zu bekommen. Aber es ist ermutigend, zu wissen, dass Commons auch Teil eines anderen historischen Entwicklungsweges sein können – trotz der Strategie des Kapitals, Commons für die Lösung der von ihm verursachten Probleme zu nutzen (die es selbst niemals lösen könnte).
Fazit
Während des italienischen Faschismus schrieb Antonio Gramsci im Gefängnis einen vielzitierten Satz: »Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster« (Gramsci 1971). Ein Monster ist eine Märchen- oder Sagenfigur, in der sich Tier und Mensch verbinden. Faschismus und Nationalsozialismus waren eine Ausprägung solcher Monster, der Stalinismus eine andere. Es ist gut möglich, dass heute aus der Verbindung zwischen dem Kapitalismus – einem System, das in seinem unendlichen Akkumulationsdrang keine Grenzen kennt – und einem (sozialen) System, das Grenzen anerkennen muss, weil es nur innerhalb dieser Grenzen Leben, Sorge und Nachhaltigkeit herstellen kann, wieder ein monströses Gebilde hervorgeht. Oder auch nicht.
Vieles wird von uns abhängen. Ob die Zukunft eine Vereinnahmung der Commons oder eine Emanzipation durch Commons bringt, ist offen. Es wird von politischen Prozessen abhängen, die erst noch entstehen. Eine kritische Analyse des Kapitalismus ist dabei notwendig; aber sie ist nicht ausreichend. Die Keimform jener sozialen Kraft, die in der Lage ist, das Leben zu erhalten und zu reproduzieren (oder die, je nach Machtverhältnissen, auch scheitern kann) und die in demselben Prozess das Kapital abschafft, bezeichnen wir heute als Commons. Mit Keimform meine ich jene allgemeine soziale Form, aus der eine Bewegung entstehen kann. Sie ist die Bedingung sine qua non, ohne die es nicht möglich ist, die verschiedenen Zellen zu einem neuen sozialen Gewebe ohne Unterdrückung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit zu verflechten.
Commons sind Keimzellen, in denen durch soziale Kooperation »Macht zu …« entsteht – die einzige Basis, die es Menschen ermöglicht, ihre Macht um das n-fache zu vervielfältigen – wenn sie grenzüberschreitende Netzwerke von Commons schaffen und sich der »Macht des Kapitals über« die Commons entgegenstellen. Damit »Macht zu …« wirkmächtig wird, sind mindestens zwei Dinge zu beachten:
Erstens sollten wir Commons nicht romantisieren. Bestehende Commons können verzerrt, repressiv oder emanzipatorisch sein. Wenn wir uns in das System eines Commons begeben, merken wir sofort, wo es den Werten, Überzeugungen und Bräuchen widerspricht, die wir selbst hochhalten. Zu häufig aber entscheiden wir uns, ein spezifisches Commons danach zu beurteilen, wie sich dessen Werte zu unseren eigenen verhalten. Einige Aktivisten versuchen zum Beispiel, Gemeinschaften aufgrund politischer Nähe oder aufgrund gemeinsamer religiöser Überzeugungen zu bilden. Aber Commons, die auf Identitäten gründen, ziehen eine klare Grenze. Diese Grenze verhindert, dass sie größer werden, solange das Außen die Werte des Innen nicht akzeptiert. Nur »Bekehrung« lässt diese Commons gedeihen – angesichts der Herausforderung, inmitten der Krise eine Alternative zum Kapitalismus entwickeln zu müssen, ist das ein denkbar ungeeigneter Mechanismus. Ich habe engagierte radikale Gruppen kennengelernt, die sich geweigert haben, im sozialen Bereich mit den Menschen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zusammenzuarbeiten, weil es kulturelle Prägungen gab, die für die Aktivisten inakzeptabel waren. Anstatt nun einen Prozess anzustoßen, in dem diese kulturellen Unterschiede bearbeitet werden könnten, wird die klare Abgrenzung in das Commons eingeschrieben, was sowohl zu seinem Inseldasein als auch zu seiner Verwundbarkeit beiträgt. Identitätspolitik wird hier zum Hindernis für die Entwicklung neuer emanzipatorischer Identitäten durch Commoning.
Zweitens kann dem Kapital nur in dem Maße etwas entgegengesetzt werden, wie Commons im Allgemeinen und sozial produktive Commons (Commons, die das tägliche Leben reproduzieren) im Besonderen als wichtige Quelle von »Macht zu …« entwickelt werden können (Federici 2011). Wir brauchen solche Commons sozialer Reproduktion, um grundlegende Elemente des eigenen Lebens sicherzustellen: Gesundheit, Nahrung, Wasser, Bildung, Wohnraum, Pflege, Energie. Mehr von ihnen zu haben ist strategisch entscheidend, wenn wir emanzipatorische Alternativen entwickeln wollen.
Commons sozialer Reproduktion müssen die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigen und sie durch Zugang zu alternativen Subsistenzmitteln ermächtigen, die Forderungen des Kapitals zurückzuweisen.
- Caffentzis, George (2004): »A Tale of Two Conferences. Globalization, the Crisis of Neoliberalism and Question of the Commons«, in: The Commoner, online unter: http://www.commoner.org.uk/?p=96 (Zugriff am 13.10.2011).
- De Angelis, Massimo (2000): Keynesianism, Social Conflict and Political Economy, London.
- De Angelis, Massimo (2007a): The Beginning of History. Value Struggles and Global Capital, London.
- De Angelis, Massimo (2007b): »Oxymoronic Creatures Along the River Thames: Reflections on ›Sustainable Communities‹, Neoliberal Governance and Capital’s Globalisation«, in: The Commoner, online unter: http://www.commoner.org. uk/?p=38 (Zugriff am 13.10.2011).
- De Filippis, James/Fisher, Roger/Shragge, Eric (2010): Contesting Communities. The Limits and Potential of Local Organizing, London.
- Federici, Silvia (2011): »Feminism and the Politics of the Commons«, in: The Commoner, online unter: http://www.commoner.org.uk/?p=113 (Zugriff am 13.10.2011).
- Gramsci, Antonio (1971): Selection from The Prison Notebooks, New York.
- Harvey, David (2007): The Limits to Capital, London. Karim, Lamia (2008): »Demystifying Micro-Credit: The
- Meillassoux, Claude (1981): Maidens, Meal and Money: Capitalism and the Domestic Community, Cambridge.
- Karim, Lamia (2008): »Demystifying Micro-Credit: The Grameen Bank, NGOs, and Neoliberalism in Bangladesh«, in: Cultural Dynamics, 20(1), S. 5-29.
- Midnight Notes Collective and Friends (2009): From Crisis to Commons, online unter: http://www.midnightnotes.org/Promissory %20Notes.pdf (Zugriff am 13.10.2011).
- Podlashuc, Leo (2009): »Saving Women: Saving the Commons«, in: Eco-Sufficiency and Global Justice, Hg: Ariel Salleh, London.
- SC (2003): Sustainable Communities. Building for the Future, London, online unter: http://www.communities.gov.uk/documents/communities/pdf/146289.pdf (Zugriff am 09.11.2011).
>
- Zur historischen und theoretischen Diskussion der Anfänge des Keynesianismus, der auf konkreten Vereinbarungen mit Teilen der Arbeiterklasse gründete, vgl. De Angelis 2000. Zur theoretischen Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Frühkapitalismus und sozialer Schichtung vgl. The Commoner Nr. 12, Frühling/Sommer 2007. Zur aktuellen Krise aus der hier dargestellten Sicht vgl. Midnight Notes Collective and Friends 2009. ↩
- Engl.: »It needs a commons fix.« David Harvey (2007) nutzt den Begriff »fix«, um die verschiedenen kapitalistischen Strategien, mit der Krise umzugehen, zu diskutieren. ↩
- Der Autor bezieht sich darauf, dass in beiden Logiken gesellschaftliche Arbeit geleistet wird, die man aber unterschiedlich bewertet: einerseits danach, ob etwas Nützliches für die Gesellschaft produziert wird, andererseits danach, ob sich etwas »rechnet« und ob es verkaufbar ist (Anm. der Hg.). ↩
- Vergleiche dazu das Gespräch mit Gustavo Soto Santiesteban in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe dazu auch den Beitrag von Philippe Aigrain in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Vgl. den Beitrag von Liz Alden Wily in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe dazu auch den Beitrag von Thomas H. Greco in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩
- Der Autor bezieht sich hier auf die Wortwahl von Premierminister Cameron, als er die Kampagne für eine Big Society Mitte 2010 bekanntgab. Siehe zum Beispiel: http://www.guardian.co.uk/politics/2010/jul/19/david-cameron-big-society-launch (Zugriff am 22.12.2011) (Anm. der Hg.). ↩
- In Großbritannien geht dieser Ansatz auf Arbeiten sozialer Entrepreneurs wie Hilary Cottam und Charles Ledbeater von http://www.participle.net (Zugriff am 13.12.2011)
zurück. ↩