Epilog

Der Karren ist festgefahren, und doch kommt alles in Bewegung.

BANGKOK, 25. AUGUST 2011. Die Luft liegt wie ein feuchtwarmes Laken über der Stadt. Das leise Brummen der Klimaanlage begleitet die Akademiker und Aktivisten, die sich im Auditorium der Chulalongkorn-Universität zur »Rethinking-Property-Konferenz« versammeln. Die vorwiegend asiatischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer lassen sich von der Idee inspirieren, die berühmte Eigentumsfrage aus Sicht der Commons aufzurollen, die damit unversehens in den Blickpunkt der Tagung geraten.

BERLIN, 28. NOVEMBER 2011. In der Bundeshauptstadt ist es frisch, aber für die Jahreszeit viel zu warm. Einige der wichtigsten deutschen Klimaforscher haben es nicht eilig, zur UN-Klimakonferenz (COP 17) ins südafrikanische Durban zu fliegen. Stattdessen geben sie just am Tag der Eröffnung der COP 17 eine Pressekonferenz in Berlin, um der Öffentlichkeit das auch in diesem Band vorgestellte Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) zu präsentieren. Ottmar Edenhofer, designierter Direktor des Instituts, erklärt auf eine Nachfrage zur Praktikabilität des Commons-Ansatzes: »Man kann nicht vernünftig konkret werden, wenn man bei den regulativen Leitideen schon Fehler gemacht hat«. Doch genau dies sei in den letzten Jahrzehnten geschehen. Deshalb muss sich auch die Klimaforschung der Frage widmen, was »Commons« als regulative Leitidee bedeuten und was das für die Nutzungsrechte der Menschen heißt.

PORTO ALEGRE, 24. JANUAR 2012. Eine drückende Hitze lastet auf der zubetonierten Innenstadt, deren Straßen wie leergefegt sind. Es ist Januar und Sommerpause. Etwa 100 Menschen aus sozialen Bewegungen und unabhängigen Think Tanks sind zu einem Dialog innerhalb des Thematischen Sozialforums in die südbrasilianische Wiege des Weltsozialforums geladen. In 17 Arbeitsgruppen denken sie zur Vorbereitung auf den Erdgipfel (Rio+20), der Mitte des Jahres in Rio de Janeiro stattfindet, über alternative Konzepte und Strategien nach: alternativ sowohl zum marktfundamentalistischen Ansatz als auch zu einer top-down-konzipierten Green Economy. Vermutlich wird auch Rio+20 zeigen: Die Leitidee der multilateralen Regulierung für mehr Ressourceneffizienz kann kaum garantieren, dass die Nutzungskonflikte um Gemeinressourcen gelöst werden. Dem stehen einerseits die realen Macht- und Rechtsverhältnisse entgegen und andererseits die Verhaftung dieser Idee im Markt-Staat-Duopol. Ein neues Paradigma brauche man, heißt es in Porto Alegre, neue Formen der Demokratie und einen neuen Governance-Ansatz. Die Zusammenfassung der einwöchigen Arbeit präsentiert die Commons als eine Grundlage für eine Governance und eine Praxis, die ökologische wie soziale Probleme gleichermaßen zu lösen in der Lage sind.

PARIS, 26. JANUAR 2012. Die Stadt steht kurz vor einer grimmigen Kältewelle. Der französische Politiker Kader Arif tritt vorzeitig von seiner Funktion als Berichterstatter des Europaparlaments für das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) zurück. Er kommentiert seine Entscheidung mit den Worten: »Ich möchte den gesamten Vorgang, der zur Unterzeichnung dieses Abkommens geführt hat, auf das Schärfste anprangern: […] Dadurch wurden dem Europäischen Parlament die Rechte genommen, seine Meinung auszudrücken und die berechtigten Forderungen der Bürgerinnen und Bürger als Argument vorzubringen. […] ich […] alarmiere hiermit die Öffentlichkeit von dieser inakzeptablen Situation. Ich werde nicht an dieser Maskerade teilnehmen.«1 Mit akribischer Energie und einem unverhohlen diskriminierenden Prozessdesign wurde das Abkommen, das wie andere in diesem Band analysierten Vertragswerke tief in unseren Alltag eingreift, bis zur Absegnungsphase unter Verschluss gehalten. Für uns war der öffentliche Aufruhr gegen ACTA daher weniger überraschend als die Deutlichkeit der Worte von Kader Arif. Trotz der bitteren Kälte überall in Europa gab es gegen ACTA und gegen diese Art der Politik zahlreiche Proteste auf den Straßen Europas. Besondere Akzente hat die Bürgerbewegung in Polen gesetzt.

KAPSTADT, 27. JANUAR 2012. Menschen aus vielen Orten rund um das Kap legen die vier Kilometer vom Athlon-Stadion zum Rondebosch Commons gemeinsam zurück. Drei Tage lang wollen sie diesen Ort besetzen – einst ein reales, heute ein Pseudo-Commons –, um Probleme zu diskutieren, mit denen sie täglich konfrontiert sind: Wohnraum, Landnutzung, Vertreibungen, Übergriffe der Polizei und zunehmende Segregation.2 Ein Commons existiert nicht, so sagen sie, wenn es nur ein Name ist. Bei ihrer Zusammenkunft auf dem Rondebosch Commons geht es daher um die Frage, wie Commons zurückzugewinnen sind. »Take back the Commons« heißt die Kampagne, mit der sich die Bewegung der Öffentlichkeit präsentiert.3 Ihre Prinzipien: »Wir sind Communities. Wir sind alle Leaders. Wir schließen alle ein. Wir sind konstruktiv. Wir müssen nicht nur die Welt, sondern uns verändern. Wir fordern unser Recht auf Commons! Wir pflegen eine Kultur des Sorgetragens und Teilens.« Das scheint zu viel. Es kommt zum massiven Eingreifen der Polizei. 42 Menschen werden am selben Tag festgenommen.4

ROM, 11. FEBRUAR 2012. Ein Blizzard legt die Ewige Stadt lahm. Sie präsentiert sich so schneeweiß wie selten und so photogen wie immer. Im traditionsreichen Teatro Valle friert das Publikum in exklusiver Lage zwischen Pantheon und Piazza Navona. Die Theaterleute halten das Valle seit nunmehr acht Monaten besetzt. Sie reklamieren ihr Valle als bene comune (ein Commons). Praktisch und institutionell. Das Valle ist seit der Besetzung kein Theater, »zu dem man einfach geht, um sich ein Ticket zu kaufen und die Show anzusehen«, sagt der Theatertechniker und Mitbesetzer Valerio, denn: »Die wirkliche Show findet vor der Show statt.« Im Ideenaustausch, der gemeinsamen Arbeit, den Workshops und Gesprächen, die durch das Leben und die Körper der Beteiligten gehen. Irene ist Photographin am Valle. Auch sie versteht es, Dinge ins Bild zu setzen: »Es könnte heute sehr wichtig sein, dass wir lernen zu verstehen, dass alles unser ist. Auch die Probleme!«5 In diesen romverschneiten Tagen öffnet sich das Valle für Neues. Unter anderem für europäische Commons-Netzwerke. Wie wäre es, wird auf der Theaterbühne gefragt, wenn wir Commons-Prinzipien konsequent in unseren europäischen Rechtsrahmen einschreiben? Die Bühne bevölkert sich mit internationalen Gästen – ACTA-Aktivisten aus Polen und Bulgarien, Stadtforscherinnen aus Spanien, italienische Rechtsprofessoren, Berater der Europäischen Kommission, Piraten aus Deutschland und viele mehr. Eine Europäische Commons-Charta6 soll auf den Weg gebracht werden, denn ab April 2012 können auch auf europäischer Ebene Gesetzgebungsverfahren durch die Bürger initiiert werden. Die Charta-Kampagne geht unter anderem auf die Wissenschaftler des IUC (International University College) zurück, ein rechtswissenschaftliches Institut der Universität Turin für Postgraduiertenstudierende aus aller Welt. Das College hatte bereits 2011 das Wasserreferendum in Italien unterstützt, bei dem sich unglaubliche 27 Millionen Menschen für »Wasser als Gemeingut!« aussprachen. Nicht immer ist die Verbindung zwischen den aktuellen Bewegungen und der Commons-Debatte so offensichtlich. Daher trägt auch das soeben zitierte Video (Fußnote 5) mit Stimmen aus dem Teatro Valle den Titel »Occupying the Commons«. Es verweist damit einerseits auf das traditionelle Recht der Commoners, sich gegen Einhegungen zu wehren und die Zäune wieder einzureißen, und andererseits auf die Occupy-Bewegung.

NEW YORK, 16. FEBRUAR 2012. An diesem Band werden gerade die letzten Zeilen geschrieben. Die Ascencion-Kirche in Brooklyn ist anlässlich der Eröffnung des dreitägigen Occupy Wall Street Forum on the Commons gut gefüllt. Das Forum wird online-offline veranstaltet, damit es in New York und überall zugleich stattfinden kann. Bereits seit vergangenem Herbst hatte die Occupy-Bewegung Commons-Aktivisten in den Zuccotti-Park, das NewYorker Hauptquartier der Protestaktionen, geladen. Commons und Occupy-Bewegung verbindet mehr als der Grundgedanke bzw. das Einstehen dafür, dass Demokratie selbst als Commons zu verstehen, zu erstreiten und zu pflegen ist. Demokratie entsteht nur und immer wieder in sozialer Praxis. Commons-Prinzipien, die Coproduktion von Commons und eine entsprechende Governance-Perspektive, so könnte die Schlussfolgerung aus diesem Band und dem New Yorker Forum lauten, sind prädestiniert, eine Perspektive für die 99 Prozent aufzuzeigen.
Das Bedürfnis danach, mit engagiertem Optimismus der offiziellen Ratlosigkeit und dem bleiernen Stillstand zu begegnen, ist groß. Wir erleben den Beginn einer internationalen Commons-Bewegung.

Silke Helfrich, im Februar 2012

  1. Für den gesamten Wortlaut der Erklärung siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Kader_Arif (Zugriff am 19.02.2012).
  2. Zitiert nach Christopher McMichael, siehe unter: http://www.mahala.co.za/reality/take-back-the-common/ (Zugriff am 21.02.2012).
  3. Siehe unter: http://www.csc.za.net/takethecommon/ (Zugriff am 21.02.2012).
  4. Siehe unter: http://mg.co.za/article/2012-01-30-charges-against-occupy-rondebosch-protesters-withdrawn (Zugriff am 21.02.2012).
  5. Zitiert nach »Occupying the Commons«, produziert von Saki Bailey, siehe unter: http://www.commonssense.it/s1/?page_id=938 (Zugriff am 19.02.2012).
  6. Siehe unter: http://www.commonssense.it/ (Zugriff am 19.02.2012).
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