David Bollier – Das Menschenrecht auf eine saubere Umwelt und die Renaissance der Commons

David Bollier und Burns H. Weston

Jeder Mensch hat ein Recht auf eine intakte Umwelt. Davon gehen wir aus. Dieses Recht ist zwar in seiner Wirkung begrenzt, aber es ist Bestandteil unseres rechtlichen wie moralischen Erbes und wir meinen, dass es neu gedacht und mit Leben gefüllt werden muss, wenn uns die Erde weiterhin günstige Lebensbedingungen schenken soll.
Das Menschenrecht auf Umwelt wiederzubeleben bedarf nicht nur einer Abwendung von der neoliberalen Politik und Ökonomie, die unaufhörliches Wachstum, die Kommerzialisierung der Natur und eine vom Markt geprägte Beziehungskultur erfordert. Es setzt auch voraus, dass wir die Commons als Governance-Modell nutzen, um eine neue Architektur des Rechts und des staatlichen Handelns konzipieren zu können.

Seit den Anfängen der industriellen Revolution, vor allem aber seit dem Beginn der forcierten Globalisierung vor etwa 30 Jahren, wird das Recht auf eine intakte Umwelt von mächtigen ökonomischen und politischen Interessenvertretern unterdrückt und desavouiert. Dies geschieht zwar nicht mit vorgehaltener Pistole, aber doch im Rahmen eines Rechtssystems, das die private und öffentliche Plünderung unseres gemeinsamen Reichtums zum Schaden aller favorisiert. Wer das Recht auf Umwelt ignoriert, öffnet letztlich allerdings der Auslöschung Tür und Tor.
Spätestens seit Silent Spring (dt.: Der stumme Frühling) von Rachel Carson wissen wir, dass die Menschheit nicht-erneuerbare Ressourcen verschwendet, wertvolle Arten willkürlich vernichtet und fragile Ökosysteme vergiftet und degradiert. In den letzten Jahrzehnten haben diese zunehmend vieldimensionalen und allgegenwärtigen Entgleisungen eine systemische Dimension angenommen. Seit einiger Zeit ist auch klargeworden, dass Kohlendioxid- und andere Treibhausgasemissionen die Erde in einem Ausmaß bedrohen, das seit Dinosaurierzeiten ohne Beispiel ist.
Aus rechtlicher Perspektive betrachtet ist ein effektiver und fairer Umweltschutz, der die Grundbedürfnisse aller befriedigen kann, am ehesten durch die rigorose Durchsetzung eines neu konzipierten Menschenrechts auf Umwelt zu gewährleisten. Dies ist nur durch eine commons- und rechtebasierte ökologische Governance möglich, die lokal wie global funktioniert und auf Prinzipien wie der Achtung der Natur und der Mitmenschen beruht.

Ein derartiger Paradigmenwechsel ist eine gewaltige Herausforderung. Er erfordert, dass wir einige grundlegende Prämissen unseres Rechtssystems und unserer ökonomischen, politischen und kulturellen Ordnungen überdenken. Doch es ist machbar, sich dieser lebenswichtigen Aufgabe zu stellen, wenn wir uns von der Rigidität staatszentrierter Modelle und ihrer langwierigen Rechtsverfahren befreien; wenn wir unser Verständnis von »Wert« ausweiten, indem wir soziales Wohlergehen darin berücksichtigen, und aufhören, Natur wie Kapital zu behandeln; wenn wir unsere Vorstellung von Menschenrechten erweitern, damit sie nicht nur moralischen, sondern auch strategischen Anliegen dienen können; und wenn wir die Macht der nicht marktförmigen Teilhabe, des Lokalen und der gesellschaftlichen Vielfalt bei der Bewältigung von Umweltproblemen anerkennen.

Der Status des Menschenrechts auf eine intakte Umwelt

Das Menschenrecht auf eine intakte Umwelt kann tatsächlich ein machtvolles Instrument sein, um ein System ökologischer Governance im Interesse des Allgemeinwohls aufzubauen und zu stärken. Skeptiker sagen, dieses Recht existiere höchstens als moralisches Recht und ließe Elemente vermissen, um es durchzusetzen und zu kontrollieren. Dabei würde erst dies ihm Gesetzeskraft verleihen. Haben sie damit recht? Die Antwort lautet »Ja« und »Nein«.
Nach der gängigen Rechtsauffassung gibt es derzeit mindestens drei Möglichkeiten, das Menschenrecht auf Umwelt juristisch anzuerkennen:

  • als ein Anspruch, der sich von anderen anerkannten Rechten ableitet; dies bezieht sich primär auf die Grundrechte auf Leben, Gesundheit und die Achtung der Privatsphäre, aber gelegentlich auch auf daraus abgeleitete Rechte, zum Beispiel das Recht auf Lebensraum, Existenzgrundlagen, Kultur, Würde oder Nichtdiskriminierung und Schlaf;
  • als eigenständiger Anspruch, der nur von seiner eigenen Anerkennung abhängt; dieser Ansatz wird zunehmend favorisiert, weil hier etliche Bestimmungen aus Staatsverfassungen und regionalen Vertragswerken, die ein solches Recht bereits proklamieren, als Beleg dafür dienen können, dass dieser Ansatz funktioniert;
  • als Cluster prozeduraler Ansprüche, die (ähnlich wie die erstgenannten abgeleiteten Rechte) von einer »Neuformulierung und Expansion bestehender Menschenrechte und Pflichten« stammen und als »prozedurale Umweltrechte« bekannt sind.

Alle drei Manifestationen des Menschenrechts auf Umwelt, gleichgültig wie tauglich ihre konkreten Anwendungen sind, sind in ihrer rechtlichen Anerkennung und ihrem juristischen Geltungsbereich begrenzt, wie eine sorgfältige Durchsicht des Status der weltweiten Menschenrechtsgesetzgebung zeigt. Juristisch gesehen ist das Recht auf eine intakte Umwelt bislang am stärksten in seiner abgeleiteten Form anerkannt (das heißt abgeleitet aus anderen anerkannten Rechten), statt in »autonomen Formen« (das heißt als eigenständiges Recht anerkannt). Interessanterweise findet sich insbesondere die autonome Variante hauptsächlich in den Entwicklungsländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Doch zunehmend werden auch prozedurale Umweltrechte anerkannt – vorwiegend auf regionaler Ebene.

Im Grunde scheint es unmöglich, dass ein formelles und weltweit anerkanntes Menschenrecht auf Umwelt existieren wird, solange sich die ökologische Governance im Griff des unregulierten Kapitalismus befindet. In den letzten Jahren wurden jedoch zwei attraktive alternative Ansätze entwickelt: Der erste Ansatz – intergenerationelle Umweltrechte – setzt hauptsächlich bei moralischen Appellen an; der zweite – die Rechte der Natur; hier sind die Regierungen von Ecuador und Bolivien bahnbrechend – behauptet, dass die Natur selbst über Rechte verfüge, die von den Menschen vertreten und verteidigt werden müssten.

Beide Ansätze gehen über den engen Anthropozentrismus des bestehenden Rechts hinaus. Ihrer Natur nach sind sie autonome, nicht abgeleitete Rechte. Sie brauchen eine starke Anwaltschaft, um sie einzufordern und durchzusetzen. Bislang werden sie hauptsächlich auf nationaler und subnationaler Ebene gefordert. Sie spiegeln, politisch gesehen, eine tiefe Unzufriedenheit mit den üblichen Formen der Lobbyarbeit von Umweltschützern und der tiefsitzenden Verankerung der formalen Rechtsordnung im Neoliberalismus. So wundert es nicht, dass bestimmte wirtschaftliche und politische Interessenvertreter diesen innovativen rechtlichen Schachzügen enormen Widerstand entgegensetzen – und zwar aus Gründen, die historischer und philosophischer Natur sind. Es sei denn, es gibt eine ökologische Katastrophe, die die bisherigen Spielregeln außer Kraft setzt. Die Commons weisen aber heute schon den Weg zu einem anderen Governance-Ansatz.

Den Weg für ein neues Paradigma bahnen

Wir gehen davon aus, dass die zahlreichen Umweltkrisen nicht allein durch »grüne« Technologien oder wirtschaftliche Reformen überwunden werden können; vielmehr müssen Governance-Formen entwickelt werden, die es den Menschen erlauben, sich vom Anthropozentrismus hin zu einem Biozentrismus zu bewegen, und die die Menschen ermutigen, bessere Beziehungen mit der Natur selbst und mit anderen Menschen aufzubauen.

Solch ein Ansatz sollte, erstens, von einer Logik des Respekts für die Natur, für Suffizienz und gegenseitige Abhängigkeit, geteilte Verantwortung sowie Fairness für alle auf der Suche nach einer sich im ökologischen Gleichgewicht befindlichen Umwelt getragen werden; und, zweitens, von der Ethik einer Bürgerschaft, die zugleich global und lokal denkt und auf Transparenz und Rechenschaftslegung in allen Umweltangelegenheiten besteht.
Wir glauben, dass ein Menschenrecht auf eine commons- und rechtebasierte ökologische Governance beides beinhaltet. Richtig umgesetzt, kann uns dieser Ansatz über die neoliberale Allianz von Staat und Markt – kurz »Staat/Markt« – hinaus voranbringen.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass verschiedene Industrielobbys die Gesetzgebungsprozesse in vielen Ländern der Welt okkupiert, wenn nicht gar korrumpiert haben; und dass der Regulierungsapparat, auch wenn er notwendige Funktionen erfüllt, im Grunde genommen nicht in der Lage ist, seinen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, geschweige denn neue, bahnbrechende Umweltstandards durchzusetzen. Des Weiteren ist die Regulierung häufig dem Einfluss der Bürger und der Rechenschaftspflicht entzogen. Angesichts dieser Parameter des Verwaltungsstaates und des neoliberalen Politikkonsenses sind wir in Sachen Umweltrecht an den Grenzen der Innovation und einer glaubhaften Führungsrolle der zuständigen Institutionen angelangt.

Ein weiteres grundlegendes Problem: Das Preissystem – der scheinbar beliebteste Governance-Mechanismus der Politik – hat Schwierigkeiten damit, subtile, qualitative, langfristige und komplizierte »Werte« abzubilden. (Genau dies sind die Attribute natürlicher Systeme.) Das gegenwärtige Preissystem ist nicht in der Lage, qualitativ unterschiedliche Arten von Wert darzustellen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die »Tragfähigkeit« natürlicher Systeme und die ihnen inhärenten Nutzungsgrenzen. Es geht gegenwärtig hauptsächlich – wenn nicht ausschließlich – um den Tauschwert. Das ist die große Erzählung der konventionellen Wirtschaftswissenschaft. Das Bruttoinlandsprodukt bildet die Summe aller Marktaktivitäten ab, gleichgültig, ob sie der Gesellschaft tatsächlich nützten oder nicht. Umgekehrt wird alles, was keinen Preis hat und »außerhalb« des Marktes existiert, als wertlos betrachtet.

Commons als Modell für ökologische Governance

Ein Commons ist ein Regime für das Management gemeinsamer Ressourcen, das nicht auf individuelle Eigentumsrechte und staatliche Kontrolle angewiesen ist. Es gründet auf Arrangements gemeinsamen Eigentums, die meist selbstorganisiert und komplex sind und auf je spezifische Art im sozialen Miteinander verwirklicht werden. Commons werden allgemein durch das geregelt, was wir »Vernacular Law« nennen. Dabei handelt es sich um die »inoffiziellen« Normen, Institutionen und Verfahren, die eine Gemeinschaft von Ebenbürtigen ausarbeitet, um die gemeinsamen Ressourcen selbst und typischerweise demokratisch zu verwalten. Staatliches Recht und Handeln kann die Parameter setzen, innerhalb derer Vernacular Law operiert, aber es kontrolliert nicht direkt, wie ein bestimmtes Commons organisiert wird.

So sind Commons quasi souverän: Zentralisierte Mandate des Staates werden genauso gemieden wie die Tauschstrukturen des Marktes. In ihrer breitesten Definition könnten Commons ein wichtiges Vehikel werden, um das Menschenrecht auf eine intakte Umwelt auf allen Ebenen zu gewährleisten. Dies erfordert jedoch neue rechtliche und politische Normen, Institutionen und Verfahren, die Commons auch rechtlich anerkennen und unterstützen.

Commons sind, verglichen mit bestehenden Governance-Formen, ein Fortschritt, denn sie zeigen uns Möglichkeiten auf, Werte zu benennen und zu schützen, die der Markt nicht anerkennt. Sie geben uns ein Vokabular, um über die angemessenen Grenzen des Marktes zu sprechen – und die Werte durchzusetzen. Der Commons-Diskurs hilft, die Auseinandersetzung über jene sogenannten »Externalitäten des Marktes« zu führen, die häufig an den Rand der Wirtschaftstheorie und der Politik gedrängt werden. Er stellt Fragen wie: Wie können angemessene Grenzen für die marktbasierte Ausbeutung der Natur gesetzt werden? Welche rechtlichen Prinzipien, Institutionen und Verfahren können helfen, eine gemeinsame Ressource fair und über lange Zeit nachhaltig zu bewirtschaften und dabei sensibel für die Umweltrechte heutiger wie künftiger Generationen zu sein?
Eine commons- und rechtebasierte ökologische Governance ist auch deswegen überzeugend, weil sie drei wichtige Dinge zusammenbringt: eine reiche Rechtstradition, die über Jahrhunderte zurückreicht; einen attraktiven kulturellen Diskurs, der die Menschen organisiert und anregt; und eine weitverbreitete partizipatorische soziale Praxis, die in großen wie kleinen, lokalen wie transnationalen Projekten gute Ergebnisse bringt.
Die Geschichte der rechtlichen Anerkennung der Commons – und damit das Recht der Commoners auf die Umwelt – geht Jahrhunderte, sogar Jahrtausende zurück. Bereits 1700 v. Chr. gab es Gesetze zum Waldschutz in Persien. In Ägypten etablierte Pharaoh Akhenaten Naturschutzgebiete schon im Jahre 1370 v. Chr. Hugo Grotius, häufig als Vater des Völkerrechts bezeichnet, vertrat in seiner berühmten Abhandlung Mare Liberum (1609) die Ansicht, dass das Meer für die Navigation und Fischerei frei sein müsse, weil das Naturgesetz den Besitz von Gütern verbietet, die »von der Natur für Gemeinsames geschaffen« zu sein scheinen (Baslar 1998).1 Die Antarktis wird seit der Ratifizierung des Antarktisvertrags 1959 als stabiles, dauerhaftes intergouvernementales Commons gemanagt; das ermöglicht internationalen Wissenschaftlern, in großen Forschungsprojekten zusammenzuarbeiten, ohne militärische Konflikte wegen divergierender territorialer Ansprüche zu riskieren. Der Weltraumvertrag von 1967 erklärt den Weltraum, den Mond und andere Himmelskörper als »gemeinsames Erbe der Menschheit«, das »keiner nationalen Aneignung unterliegt«.
Commons sind eine dauerhafte transkulturelle Institution, die gewährleistet, dass Menschen direkten Zugang zu und Nutzungsrechte an natürlichen Ressourcen haben oder die Regierung als formaler Treuhänder für das Gemeinwohl fungieren kann. Commons bildeten schon immer eine Art Gegengewicht zu den dominierenden Systemen der Macht, denn obwohl sich die Strukturen staatlicher Macht im Laufe der Jahrhunderte gewandelt haben (Stämme, Monarchen, Feudalismus, Republiken), reagieren Commons – gleich ob als Nutzungsformen einer Küstenregion, eines Waldes oder eines Sumpfgebietes – stets auf dauerhafte menschliche Bedürfnisse: die Notwendigkeit der eigenen Subsistenz, die Erwartung grundsätzlicher Fairness und respektvollen Umgangs sowie das Recht auf eine intakte Umwelt.
In diesem Sinne bilden die historischen Fragmente dessen, was man als »Commons-Recht« bezeichnen könnte, eine eigene Rechtstradition, die die Umweltrechte fördern könnten. Sie beziehen sich auf den elementaren moralischen Konsens, dass alle Schöpfungen der Natur und der Gesellschaft, die wir von vorangehenden Generationen erben, geschützt und für künftige Generationen treuhänderisch verwaltet werden sollten.
Heute gelten der Nationalstaat und der Markt als die einzigen glaubwürdigen und relevanten Governance-Akteure. Dabei sind die Commons, wie die Beiträge in diesem Buch belegen, ein ausgesprochen praktischer und vielseitiger Modus, mit gemeinsamen Ressourcen umzugehen. Ihre Lebensfähigkeit ist weithin übersehen worden, nicht nur wegen der sich permanent fortschreibenden Hardin’schen Metapher der »Tragik der Allmende« und der Allmacht des Staat/Markt-Duopols, sondern auch weil Commons in so verschiedenartigen Formen existieren und von so vielen verschiedenen Menschen und Gruppen getragen werden.

Eine neue Architektur von Recht und Politik

Wenn sich dieses Paradigma durchsetzen soll, müssen wir die heute existierenden Commons sowie die noch zu schaffenden als Teile einer Weltsicht begreifen, die formale Anerkennung und Unterstützung durch den Staat verdient. Der Staat könnte gemeinsam mit der Zivilgesellschaft das Aufkommen eines Commons-Sektors erleichtern: einer erklecklichen Menge commonsbasierter Institutionen, Projekte und sozialer Praktiken, die die Wertvorstellungen kollektiven Handelns befördern. Wenn man die rechtliche Anerkennung und großzügige Förderung, in deren Genuss der »freie Staat« und der »freie Markt« seit Generationen gekommen sind, auf die Commons ausdehnen würde, könnte dies enorme Energien und Kreativität entfesseln. Diese Anerkennung könnte auch helfen, Staat und Markt auf vielerlei Weise zu transformieren, nicht zuletzt, indem sie Vetternwirtschaft, Korruption und Geheimhaltung begrenzen würde.
Wenn die Idee der Commons ihr Versprechen als Governance-Modell erfüllen soll, muss es eine geeignete und unterstützende Architektur in Recht und Politik geben. Dafür brauchen wir Innovationen in drei Bereichen:

  • interne Governance-Prinzipien und -Politiken, die die Entwicklung und das Management von Commons leiten;
  • Makroprinzipien und -politiken, die der Staat/Markt aufnehmen kann, um Commons- und Peer-to-Peer-Governance-freundliche Gesetze, Institutionen und Verfahren zu entwickeln;
  • katalytische rechtliche Strategien, die Commoners (Zivilgesellschaft und klar definierte Gemeinschaften), der Staat und internationale zwischenstaatliche Organe verfolgen können, um ökologische Commons anzuerkennen, zu schützen und zu unterstützen.

Allgemeine interne Governance-Prinzipien und -Politiken

Elinor Ostroms acht Designprinzipien, im Jahre 1990 erstmals veröffentlicht, sind nach wie vor die solideste Grundlage zum Verständnis der internen Governance von Commons.2 In einer ausführlichen Studie von 2010 fassen Poteete, Janssen und Ostrom die Schlüsselfaktoren zusammen, die es selbstorganisierten Gruppen ermöglichen, kollektive Lösungen für Probleme im Umgang mit kollektiven Ressourcen kleinen und mittleren Maßstabs zu finden. Zu den wichtigsten gehören: Erstens, verlässliche Informationen über die kurz- und langfristigen Kosten und den Nutzen von Handlungen stehen zur Verfügung; zweitens, die beteiligten Individuen halten die Ressourcen für ihr eigenes Tun für wichtig und haben eine langfristige Nutzungsperspektive; drittens, es ist den Beteiligten wichtig, einen Ruf als vertrauenswürdiges Gegenüber zu erlangen; viertens, Individuen können zumindest mit einigen der anderen Beteiligten direkt kommunizieren; fünftens, informelle Überwachung und Sanktionierung ist machbar und wird als angemessen erachtet; sechstens, soziales Kapital und »leadership«3 existieren und basieren auf vorherigen Erfolgen bei der Lösung gemeinsamer Probleme (Poteete et al. 2010).

Ostrom merkt an, dass »ausführliche empirische Forschung zu kollektivem Handeln […] wiederholt einen notwendigen Kernbestand von Vertrauen und Gegenseitigkeit unter den Beteiligten identifiziert hat, der mit erfolgreichem kollektiven Handeln assoziiert ist«. Außerdem: »Wenn Teilnehmer befürchten, dass sie ausgenommen werden, weil sie kostspielig handeln, während andere davon profitieren«, verstärkt dies die Notwendigkeit für Überwachung, um Schwindeleien und Betrug entgegenzutreten.4
Sowohl Menschenrechte als auch die Rechte der Natur sind in der Governance ökologischer Commons enthalten. Wenn Vertrauen und Gegenseitigkeit kultiviert werden und sich dadurch die Chance auf ein stabiles, kollektives Ressourcenmanagement erhöhen soll, müssen die operationellen und verfassungsgebenden Regeln als fair angesehen werden. Dazu müssen ökologische Commons die Werte der Menschenwürde verkörpern, wie sie optimal in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in den neun Kernübereinkommen zu internationalen Menschenrechten formuliert sind.

Rechtsrahmen muss aktiv dagegen vorgehen, um zu gewährleisten, dass der Staat/ Markt seine treuhänderischen Verpflichtungen nicht durch Einhegungen5 oder durch die Verschmelzung mit Marktakteuren preisgibt.
Das übergreifende Ziel muss sein, den neoliberalen Staat/Markt als »Triarchie« mit den Commons neu zu konzipieren – als Staat/Markt/Commons. 6 Der Staat würde seine Verpflichtung zu repräsentativer Governance und der Verwaltung öffentlichen Eigentums beibehalten, genauso wie private Unternehmen weiterhin ihr eigenes Kapital besitzen würden, um handelbare Güter und Dienstleistungen zu produzieren. Aber der Staat müsste seinen Fokus verlagern und, in den Worten von Michel Bauwens, ein »partnerschaftlicher Staat« werden. Ein Partner nicht nur des Marktes, sondern auch der Commons.

Katalytische rechtliche Strategien

Die vielleicht wichtigste Herausforderung in der Förderung von Commons-Governance ist die Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit des liberalen Staates gegenüber den meisten Kollektiven (ausgenommen der Unternehmen). Dementsprechend müssen Commoners sehr geschickt sein, wenn ihre Commons rechtlich anerkannt und geschützt werden sollen. Da die Gesetzgebung in den einzelnen Ländern extrem unterschiedlich ist, sind unsere Vorschläge allgemeiner Natur. Sie bedürfen für jeden Hoheitsbereich der Modifikation und Verfeinerung. Dennoch gibt es eine Reihe rechtlicher und praktischer Interventionen, die die Commons-Governance befördern helfen:

  • Geschickte Anpassungen des Vertragsrechts und des Eigentumsrechts sind eine fruchtbare Möglichkeit, um Commons zu schützen.7 Die grundlegende Idee: konventionelles Recht, das den Interessen des Privateigentums dient, zu nutzen, aber dessen Zweck gewissermaßen umzudrehen, um individuellen und kollektiven Interessen gleichermaßen zu dienen. Das berühmteste Beispiel ist vermutlich die General Public License, GPL, eine Lizenz, die Urheber (Programmierer) für Software nutzen können, um zu gewährleisten, dass der Code und jegliche spätere Modifikation von jedermann frei genutzt werden kann.[8 | Siehe ausführlicher die Beiträge von Christian Siefkes und Benjamin Mako Hill in diesem Buch (Anm. der Hg.).] Die GPL war eine bahnbrechende rechtliche Innovation, die wesentlich dazu beigetragen hat, Software-Commons zu schaffen.
  • Mehrere ökologisch ausgerichtete Trusts, die den Interessen indigener Völker und ärmerer Länder dienen, könnten solche Ad-hoc-Lösungen unter Nutzung des privaten Eigentums- und Vertragsrechts nachmachen, um neue Commons zu begründen. Ein Beispiel ist Global Innovation Commons, eine internationale Datenbank abgelaufener Patente, die es jedermann ermöglicht, ökologisch bedeutsame Technologien zu produzieren, zu modifizieren und zu teilen.8
  • Auch »Teilhaber-Trusts« könnten genutzt werden, um ökologische Ressourcen zu managen, wobei die Einkünfte direkt an die Commoners verteilt würden. Dieses Modell basiert auf dem Alaska Permanent Fund, der Abgaben auf die Ölförderung auf staatlichem Land einnimmt und dann allen Bewohnern des Staates Alaska zu gleichen Teilen zukommen lässt. Manche Aktivisten haben eine Himmels-Treuhand vorgeschlagen, um ähnlich bei der Versteigerung von CO2-Emissionszertifikaten vorzugehen.9
  • Die innovativsten Ansätze in der Entwicklung ökologischer Commons (wie auch der Wissensallmende, die mit ihnen synergetisch zusammenwirken) kommen aus lokalen und regionalen Kontexten. Der Grund dafür ist einfach: Die geringe Größe solcher Commons macht die Teilhabe daran leichter und die Vorzüge offensichtlicher. Bewerkenswerte Beispiele werden von der »Relokalisierungsbewegung« in den USA und in Großbritannien vorangetrieben, allen voran die Transition-Town-Bewegung.10
  • Auch Bundes- und Provinzregierungen spielen eine Rolle in der Förderung der Commons. Bundesstaaten- und nationale Regierungen verfügen meist über Wirtschaftsministerien, die Konferenzen ausrichten, kleine Unternehmen unterstützen, Exporte fördern usw. Warum sollte es für Commons keine analoge Unterstützung geben? Regierungen könnten beim Aufbau translokaler Strukturen helfen, die lokale und subnationale Commons stärken, etwa Community Supported Agriculture11 und die Slow-Food-Bewegung, deren Wirkung so verstärkt würde.
  • Die Doktrin des öffentlichen Trusts (Public Trust Doctrine) kann und sollte im Umweltrecht ausgeweitet und auf ein weitaus breiteres Spektrum natürlicher Ressourcen, unter anderem die Atmosphäre, angewandt werden. Dies wäre eine gute Möglichkeit, Staaten als verantwortungsbewusste Treuhänder unseres gemeinsamen ökologischen Reichtums in die Pflicht zu nehmen.
  • Digitale Netzwerktechnologien machen es heute möglich, Verwaltungsprozesse neu zu erfinden, so dass mehr Transparenz und Beteiligung gelingt oder dass kom- plexe Ressourcensysteme tatsächlich direkt als Commons gemanagt werden kön- nen. Die »partizipatorische Erfassung« der Wasserqualität und anderer Umweltfaktoren könnte beispielsweise mit Hilfe interessierter Bürger dezentralisiert werden. Regierungswikis und Crowdsourcing-Plattformen können helfen, Bürgerinnen und Bürger intensiver in die Politikgestaltung und -durchsetzung einzubinden.

Der Weg nach vorn

Man könnte behaupten, eine auf Commons- und Umweltrechte gründende Governance sei ein utopisches Unterfangen. Doch wir glauben, dass das neoliberale Projekt der sich ewig ausdehnenden Konsumtion auf globaler Ebene utopisch ist, ein utopisch-totalitärer Traum. Dieses Projekt kann seine mythologische Vision des menschlichen Fortschritts durch eine alles durchdringende Marktaktivität nicht erfüllen. Es verlangt schlichtweg mehr, als die Natur bereitstellen kann, und führt dabei zu erheblichen sozialen Ungleichgewichten. Der erste Schritt zur Vernunft erfordert, dass wir unsere vielfältigen ökologischen Krisen als Symptome einer nicht nachhaltigen kulturellen, sozioökonomischen und politischen Weltsicht anerkennen. Der Übergang zu neuen Governance-Formen wird viele Komplikationen und unkalkulierbare Herausforderungen mit sich bringen. Fest steht, dass wir zunächst die Rolle von Staat und Markt neu konzipieren müssen und dass wir Zukunftsentwürfe brauchen, die die Commons stärken.

Dieser Beitrag basiert auf einer längeren Abhandlung der Autoren, die bei The Commons Law Project unter http://www.commonslawproject.org zur Verfügung steht (Zugriff am 15.02.2012).

Literatur

  • Baslar, Kemal (1998): The Concept of the Common Heritage of Mankind in International Law, Den Haag.
  • Poteete, Amy R./Janssen, Marco A./Ostrom, Elinor (Hg.) (2010): Working Together: Collective Action, the Commons and Multiple Methods in Practice, Princeton.
  1. Siehe auch den folgenden Beitrag von Prue Taylor (Anm. der Hg.).
  2. Siehe S. 53/54 in diesem Buch (Anm. der Hg.).
  3. Leadership wäre hier mit »Führung« nur unbefriedigend übersetzt. In der Commons-Debatte ist oft von »Kümmerern« die Rede, Menschen, die in besonderer Weise Sorge tragen, dafür anerkannt werden und eine Leitungsrolle übernehmen (Anm. der Hg.).
  4. Ostrom-Zitate aus »A Multi-Scale Approach to Coping with Climate Change and Other Collective Action Problems«, in: Solutions No. 2 (24.02.2010), online unter: http://www. thesolutionsjournal.com/node/565 (Zugriff am 15.11.2011)
  5. Siehe insbesondere Kapitel 2 dieses Buches (Anm. der Hg.).
  6. Der Begriff »Triarchie« wurde von Michel Bauwens entwickelt und auf dem Blog der P2P Foundation problematisiert, siehe unter: http://blog.p2pfoundation.net/the-newtriarchy-the-commons-enterprise-the-State/2010/08/25 (Zugriff am 15.02.2012).
  7. Ein hervorragendes Beispiel, was das für die Anpassung des Wettbewerbsrechts bedeuten könnte, bringt Gerhard Scherhorn in diesem Buch (Anm. der Hg.).
  8. Siehe den Beitrag von David Martin in diesem Buch (Anm. der Hg.).
  9. Vgl. das Buch Kapitalismus 3.0 von Peter Barnes, hg. von der Heinrich-Böll-Stiftung,
    Hamburg 2008 (Anm. der Hg.).
  10. Siehe die Beiträge von Gerd Wessling und Rob Hopkins in diesem Buch (Anm. der Hg.).
  11. Auf Produzenten- und Verbraucherseite gemeinschaftlich getragene landwirtschaftliche Produktion (Anm. der Hg.).
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