Stefan Rost – Das Mietshäuser Syndikat

Stefan Rost

Nicht selten lehnen sich jene, die gleich mehrere Häuser und Grundstücke eingezäunt haben, zurück, um nach Belieben darüber zu verfügen und zugleich die weniger Begüterten zu belehren: dass die Erde endlich ist und Grundstücke nicht unbegrenzt verfügbar; dass Häuser als knappe und begehrte Güter ihren Preis haben, da sie teuer gekauft und erhalten werden müssen; und dass deswegen leider ein immer größerer Teil des Einkommens für die Mieten zu entrichten ist. In Freiburg, der Stadt, in der ich lebe, sind es durchschnittlich 40 Prozent.

Das führt hin und wieder zu Reibereien mit kleinen, unbelehrbaren Gruppen, die eigensinnig auf der Idee beharren, ihr Mietshaus als Gemeingut zu reklamieren – gerade weil die Erde endlich ist und bebaubare Grundstücke nur begrenzt verfügbar sind; weil ganze Generationen von Mieterinnen und Mietern jahrzehntelang den Eigentümerinnen und Eigentümern Haus und Grund verzinst und somit bereits mehrfach abbezahlt haben. Vor allem aber, weil sie gern ihr Schicksal – in diesem Fall ihr Dach über dem Kopf – in die eigenen Hände nehmen und gemeinsam gestalten wollen. Auslöser solcher Initiativen ist oftmals die drohende Verdrängung, wenn Hauseigentümer versuchen, mittels Verkauf, Aufteilung in Eigentumswohnungen oder Abriss und Neubebauung ihre Einnahmen zu optimieren.

Manchmal, wenn gute Öffentlichkeitsarbeit, Engagement und Glück zusammenfallen, hat dieses Aufbegehren gegen den gewohnten Lauf der Dinge Erfolg: Dem Hauseigentümer wird nach oft jahrelanger Auseinandersetzung die Verantwortung für sein Eigentum abgekauft (sic! – S.R.) und ein selbstorganisiertes Mietshausprojekt entsteht.

So ähnlich kam es auch zum Gretherprojekt in Freiburg. Alte Fabrikgebäude, die die Stadtplaner abreißen und durch eine sogenannte zeitgemäße Neubebauung ersetzt wollten, konnten nach und nach aus der Verwertungsmaschinerie herausgenommen und mit preisgünstigen Wohnungen für rund 100 Menschen nebst allerlei Projekträumen ausgebaut werden. Das Freie Radio Dreyeckland fand hier sein Domizil, das Strandcafé, das Rasthaus (eine Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere, die Sans Papiers), eine Kindertagesstätte, ein Frauen-Lesbenzentrum, die Rosa Hilfe, ein Laden für fair hergestellte Kleidung und eine Druckerei. Vor etwa 20 Jahren hat auch das Mietshäuser Syndikat hier seinen Anfang genommen.

Die Idee, Häuser und Grundstücke als Gemeingut zu organisieren, ist nicht neu.[. Siehe dazu auch den Beitrag von Geert de Pauw in diesem Buch (Anm. der Hg.).] Wohnungsgenossenschaften gibt es in vielen Ländern seit dem 19. Jahrhundert. Daneben existieren zahlreiche traditionelle Großgenossenschaften, die viele Jahrzehnte alt sind und Tausende von Wohnungen verwalten. Und nach den Ereignissen von 1968 ist ein bunter Haufen unterschiedlicher kleiner Wohnprojekte entstanden, die meist nur aus einem, manchmal auch mehreren Häusern bestehen. Nicht alle sind, wie das Gretherprojekt, aus Konfliktsituationen hervorgegangen. Viele wurden einfach »nur« gekauft. Solche Projekte treten in unterschiedlichen Rechtskleidern auf, von der eingetragenen Genossenschaft über Vereine und Stiftungen bis hin zur Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Auch wenn bislang kaum jemand sein Wohnprojekt und dessen spezifische gemeinschaftliche Eigentumsform als »Commons« bezeichnet, sind die Parallelen zu anderen Gemeingütern und sozialen Konflikten doch offensichtlich.

Das Mietshäuser Syndikat1 erscheint zunächst wie ein Sammelsurium von über 50 sehr verschiedenen Mietshausprojekten, die unregelmäßig über Städte und Dörfer Deutschlands verstreut liegen, von der Polit-WG im Einfamilienhaus zum Seniorinnenwohnprojekt, vom Gewerbebau zum Soziokulturzentrum, vom großen Mietshaus mit Alleinerziehenden, Familien, Wohngemeinschaften, Läden und Werkstätten bis hin zum ehemaligen, ausgebauten Kasernenensemble mit über 200 Bewohnerinnen und Bewohnern. Was verbindet all diese rechtlich selbständigen Hausprojekte?

Auf den ersten Blick ist der normale Betrieb kaum anders als der einer Hausgenossenschaft: Die Versammlung aller Mietparteien (»Hausverein«) entscheidet demokratisch im Rahmen der Satzung über Vermietung, Hausverwaltung, Bauvorhaben, Finanzierung und Miethöhe. Bemerkenswert aber ist, dass der Eigentumstitel nicht bei diesem Hausverein, sondern bei einer klassischen Kapitalgesellschaft, einer GmbH liegt. Warum?

Ein Hausprojekt soll Generationen überdauern. Das Haus als Gemeingut desgleichen. Oft vergehen Jahre oder Jahrzehnte, in denen die idealistische Pioniergeneration noch Verantwortung für das Projekt trägt; doch mit der Zeit ändern sich nicht nur die Bewohner, sondern auch die Zielvorstellungen und zudem das Gemeinschaftsvermögen: Die Immobilie ist weitgehend entschuldet, während ihr Marktwert in der Regel steigt. Existiert nun die Möglichkeit bzw. der Wunsch, die Häuser entsprechend ihrem Marktwert zu verkaufen, steht einer Privatisierung oft nur noch eine Satzungsbestimmung des Vereins oder der Genossenschaft im Weg. Diese kann aber mit qualifizierter Mehrheit der Mitglieder aufgehoben und abgeändert werden. Gerade bei Hausprojekten, die längst den Anschluss an aktuelle soziale Bewegungen verloren haben und selbstbezogen vor sich hin dümpeln, ist die Versuchung der Reprivatisierung groß. Eine nunmehr eher zufällige Generation von Nutzerinnen und Nutzern eignet sich dann an, was über viele Jahre und mit der Solidarität vieler Menschen für eine dauerhafte soziale und kollektive Nutzung aufgebaut worden ist. Wenn aber Commons Commons bleiben sollen, sind Regeln und Formen zu finden, die die Reprivatisierung und die Rückführung auf den Kapitalmarkt verhindern.

Deshalb haben alle Hausprojekte des Mietshäuser Syndikats die Besonderheit, dass der Eigentumstitel der Immobilie nicht unmittelbar beim Hausverein, sondern bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung liegt. Diese GmbH der Hauseigentümer hat genau zwei Gesellschafter, zum einen den Hausverein, zum anderen das Mietshäuser Syndikat als eine Art Wächterorganisation. Das Syndikat ist (vereinfacht dargestellt) ein ideeller Verein mit rund 300 Mitgliedern, hauptsächlich Einzelpersonen. In Angelegenheiten wie Hausverkauf, Umwandlung in Eigentumswohnungen oder ähnlichen Zugriffen auf das Immobilienvermögen hat das Mietshäuser Syndikat Stimmrecht, und zwar genau eine Stimme. Die andere Stimme hat der Hausverein. Das hat zur Folge, dass bei Grundsatzthemen eine Veränderung des Status quo nur mit Zustimmung beider Gesellschafter beschlossen werden kann: Weder der Hausverein noch das Mietshäuser Syndikat können überstimmt (»majorisiert«) werden; oder anders ausgedrückt: Es gibt ein gegenseitiges Vetorecht. Das gilt auch für Satzungsänderungen. Damit aber das Selbstbestimmungsrecht des Hausvereins nicht von der »Kontrollorganisation« ausgehebelt werden kann, ist das Stimmrecht des Mietshäuser Syndikats auf wenige Grundlagenfragen beschränkt. Bei allen anderen Angelegenheiten hat generell der Hausverein alleiniges Stimmrecht.
Für diese Form des gemeinschaftlichen Wohneigentums mit »Gewaltenteilung« zwischen Hausverein und Mietshäuser Syndikat – man könnte es auch als »Zwei-Kammern-System« bezeichnen – eignet sich die Rechtsform der GmbH, während sich die eingetragene Genossenschaft nicht als geeignet erwiesen hat.

Hinzu kommt, dass das Syndikat in seiner Rolle als »Kontrollorganisation« zugleich Gesellschafter in jeder Hausbesitz-GmbH ist. Es fungiert damit als Bindeglied der verschiedenen GmbHs. Und zwar fest und dauerhaft, denn eine GmbH ist von einem Gesellschafter einseitig nicht auflösbar. Im Ergebnis entsteht ein Verbund selbstorganisierter Hausprojekte mit dem Mietshäuser Syndikat als organisatorischem Rückgrat, in dem sich ein vielfältiges Geflecht von Kommunikation und Beziehungen entwickelt.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die Idee der Solidartransfers von Altprojekten zu Neugründungen. Zum einen wird das Know-how der Altprojekte weiter vermittelt durch die Beratung neuer Projektinitiativen; schließlich muss man das Rad nicht jedes Mal neu erfinden. Zum anderen zahlen die bestehenden Projekte von Anfang an jährlich wachsende Beiträge in den gemeinsamen Solidarfonds zugunsten neuer Projektinitiativen, da durch die allmähliche Tilgung der Bau- und Kaufkredite die Zinslast sinkt.

Das Mietshäuser Syndikat ist für neue Projektinitiativen grundsätzlich offen. Zwar ist die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner eines Hausprojekts begrenzt, es gibt aber keinen Grund, mit den Ideen von Selbstorganisation, von Solidartransfers und von Häusern und Grundstücken im unverkäuflichen Gemeineigentum an den eigenen Grundstücksgrenzen Halt zu machen.


[Update 21.12.2016]
Räume aneignen mit dem Mietshäuser Syndikat.
Der Film „Das ist unser Haus!“ erläutert das solidarische Modell des Mietshäuser Syndikats (syndikat.org), mit dem sich auch finanzschwache Gruppen bezahlbare Räume in Gemeineigentum nachhhaltig sichern können.
„Das ist unser Haus!“ ist ein Film der Autoren und Produzenten Burkhard Grießenauer, Daniel Kunle und Holger Lauinger. Die Produktion wurde mit Hilfe des SEELAND Medienkooperative e.V. realisiert.

"Das ist unser Haus!" from SEELAND Medienkooperative on Vimeo.

! Der Film ist nicht unter einer Freien Lizenz veröffentlicht.

  1. Mehr Informationen unter http://www.syndikat.org (Zugriff am 23.10.2011).
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