Josh Tenenberg – Technik und Commons

Josh Tenenberg

Jens musste sich einen starken, fokussierten Geist bewahren, um den Unterschieden der Landschaften und Gesellschaften, in denen er sich bewegte, gewachsen zu sein. Nach einem Frühlingsmonat, in dem er sich der Jagd gewidmet hatte, bestieg er umgehend einen Helikopter, der ihn nach Nuuk brachte, wo er vor dem Parlament sprechen sollte: Der Rat der Jäger hatte ihn beauftragt, sich für ein generelles Verbot von Motorschlitten und gegen den Einsatz von Fischerbooten im Inglefield Sound einzusetzen, wo sich im Sommer die Narwale fortpflanzen.
Ehrlich 2003: 227

Diese Episode aus dem Leben eines grönländischen Jägers zu Beginn des 21. Jahrhunderts beleuchtet die Themen dieses Beitrags: die gesellschaftspolitischen Auswirkungen von Technik und die so komplexen wie dynamischen Folgen, die ihre Regulierung und Anwendung in unterschiedlichen Zusammenhängen haben können. Ursprünglich beabsichtigte Wirkungen treten keineswegs automatisch ein. Sie werden vielmehr durch Widerstände, Anpassung und Aneignung der Handelnden in ihrem jeweiligen sozialen Umfeld beeinflusst. Technologien können Probleme für Gemeingüter verschärfen, aber auch zu ihrer Lösung beitragen. Ein geschärftes Bewusstsein für die sozialen und politischen Folgen des Einsatzes bestimmter Techniken verbessert die Chancen, dass Menschen bei der entsprechenden Entwicklung und Anwendung darauf achten, dass sie dem Leben der Menschen dient.

Die politische Seite der Technik

Seit etwa 50 Jahren interessieren sich Philosophen, Historiker und Technikwissenschaftler für das Verhältnis von Technik und Politik bzw. Gesellschaftsordnung. Die eine, von Lewis Mumford (1964: 2) vertretene Sichtweise, besagt, dass Technologien1 politische Eigenschaften besitzen, weil sie soziale Beziehungen beeinflussen und strukturieren. »Einfach ausgedrückt lautet meine These, dass vom Nahen Osten der späten Jungsteinzeit bis zu unserer Zeit stets zwei Arten von Technik nebeneinander existierten: eine war autoritär, die andere demokratisch. Während die erste auf das herrschende System ausgerichtet und mächtig, aber instabil war, ging die zweite von den Menschen aus und war relativ schwach, aber einfallsreich und widerstandsfähig.« Dieser Auffassung nach werden Technologien nicht unter verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen unterschiedlich eingesetzt, sondern sie drücken der Gesellschaft ihren politischen Stempel auch unabhängig vom Verwendungszusammenhang auf und bestimmen so die weitere gesellschaftliche Entwicklung. Die Gesellschaft wird also durch die Technik gestaltet.

Langdon Winner vertritt die entgegengesetzte Meinung. Er glaubt, dass die Technik meist nicht immanent politisch ist, sondern dass »die Gestaltung oder Anordnung von Geräten oder Systemen ein geeignetes Mittel darstellt, in einer gegebenen Situation Macht und Autorität zu etablieren« (1980: 134). Technologien sind Mittel, die gesellschaftliche Akteure nutzen, um politische Ziele zu erreichen. Winner führt das Beispiel von Cyrus McCormick an, der Mitte der 1880er-Jahre in seiner Fabrik pneumatische Gießverfahren einführte, und zwar nicht ihrer Effizienz wegen, sondern weil sie Facharbeiter überflüssig machten und damit das politische Kräfteverhältnis innerhalb der Fabrik zugunsten des Managements verschoben. Ein anderer Weg, die eigenen Interessen durchzusetzen, ist, direkt auf die Technologiepolitik Einfluss zu nehmen. Beispielsweise hat Litman (2000) in einer sorgfältigen rechtshistorischen Analyse aufgezeigt, wie Hollywood-Studios, Musikkonzerne und Anbieter von Inhalten die US-amerikanische Copyright-Politik im 20. Jahrhundert maßgeblich bestimmten, während die Öffentlichkeit kaum beteiligt war.

Eine dritte Position, die von Friedman und Kahn (2002) vertreten wird, geht davon aus, dass Technologien politische Wirkungen haben, die jedoch nur teilweise auf bewusster Planung beruhen. Genauso wichtig sind die Nutzer einer Technik, die auf lokaler Ebene ihre Handlungsmöglichkeiten nutzen, um Technologien zu formen, zurückzudrängen, sich anzueignen und ihren Absichten anpassen. Ein Beispiel ist Brasilia, das Ende der 1950er-Jahre wohl mit der Absicht entworfen wurde, eine vollkommen regelmäßige und rationale Planstadt zu bauen, die mit ihren gewaltigen (und meist leeren) Plätzen, rechteckigen Apartmentblocks, der Trennung von Auto- und Fußgängerverkehr und separaten Arbeits-, Geschäfts- und Wohnbereichen die Prinzipien modernen Städtebaus verkörpern sollte. Doch die Bewohner hatten andere Vorstellungen: Ausgehend von ungenehmigten Arbeitersiedlungen am Stadtrand entstand allmählich ein »anderes« Brasilia, das heute zwar 75 Prozent der Stadtbevölkerung umfasst, sich jedoch die politische Anerkennung und Versorgung mit städtischen Diensten erst erkämpfen musste (vgl. Scott 1998).

Mein Standpunkt: Die verschiedenen Elemente – Technik, Politik, mächtige gesellschaftliche Akteure und die Anwender vor Ort – beeinflussen sich auf komplexe Weise gegenseitig. Dies ist ein allmählich sich entfaltender Prozess, der dadurch entsteht, dass die Beteiligten planen, handeln und aufeinander reagieren. Einerseits können Technologien nicht autonom und quasi im luftleeren Raum soziale Verhältnisse formen; andererseits sind Individuen und Gruppen den gesellschaftlichen Bedingungen, die durch diese Technologien und die Politik einflussreicher sozialer Akteure geschaffen werden, auch nicht hilflos ausgeliefert.

Schlüsselwirkungen und Nebenwirkungen von Technik

Jede Technik wird für einen bestimmten Verwendungszweck entwickelt: Netze für den Fischfang, Sägen zum Fällen von Bäumen, Telefone für die Kommunikation über große Entfernungen. Diese direkten und beabsichtigten Wirkungen werden von Richard Sclove als »Schlüsselwirkungen« einer Technik bezeichnet. Die komplexen gegenseitigen Beziehungen, die Menschen und die von ihnen genutzten Techniken verbinden, werden jedoch leicht unterschätzt. Technologische Veränderungen können aber weitreichende Auswirkungen haben, die über besagte Schlüsselwirkungen hinausgehen. Solche »Nebenwirkungen« beruhen auf »allgegenwärtigen und latenten Tendenzen« einer Technik, die »Muster menschlicher Beziehungen zu formen« (Sclove 1995: 89). Diese Wirkungen sind oft unbeabsichtigt und entgehen in der Regel bei der Einführung einer neuen Technik der Aufmerksamkeit der Akteure.

Sclove führt als Beispiel den spanischen Ort Ibieca an, wo in den 1970er-Jahren Wasserleitungen in den Häusern installiert wurden, während man zuvor einen Dorfbrunnen gemeinsam genutzt hatte. Daraufhin »trafen sich die Frauen nicht mehr am Brunnen zum Wäschewaschen, wo sie über Männer und das Dorfleben geschwatzt und sich auch politisch informiert hatten« (ebd.: 86). Zuvor waren Esel zum Wasserholen eingesetzt worden, was durch den Anschluss an die Wasserversorgung unnötig wurde; die Esel wurden seltener benötigt und auch in der Feldarbeit zunehmend durch Traktoren ersetzt. Die Abhängigkeit der Dorfbewohner von auswärtigen Jobs nahm zu. Sclove betont, dass der Zusammenhalt innerhalb des Dorfes dadurch geschwächt und gemeinsames politisches Handeln erschwert wurde. Das Beispiel zeigt, dass bei Entscheidungen über den Einsatz von Technik neben den Schlüssel- auch die Nebenwirkungen berücksichtigt werden müssen.

Die komplexen Wechselwirkungen zwischen einer Technik und ihren Nutzern

Um die dynamischen Zusammenhänge, in denen gesellschaftliche Gruppen interagieren, besser zu verstehen (im Bereich der Commons, aber auch anderswo), haben Elinor Ostrom und Kollegen mehrere Schlüsselelemente identifiziert, die als Funktionselemente solcher Konstellationen aufgefasst werden können (Ostrom 2005). »Dies sind (1) die Beteiligten, (2) die von den Beteiligten einzunehmenden Positionen, (3) die möglichen Ergebnisse, (4) die Art zulässiger Handlungen, (5) die Kontrolle, die ein Individuum ausüben kann, (6) die Informationen, die den Beteiligten zur Verfügung stehen, sowie (7) Kosten und Nutzen, die den möglichen Handlungen und Ergebnissen zugeschrieben werden und die als Anreiz bzw. zur Abschreckung dienen« (Ostrom 2005: 32; Hervorhebung – J.T.). Diese Elemente sind durchaus politisch relevant (was heißt, dass sie Machtverhältnisse und Autorität in einer gegebenen Situation beeinflussen), da die beteiligten Akteure Regeln festlegen, die eines oder mehrere dieser Elemente beeinflussen, Regeln, die Fragen beantworten wie: Wer hat Zugang zu einem Commons, wer kann Sanktionen aussprechen, was wissen die Akteure über den Zustand ihrer Commons und die Handlungen der anderen, wie werden Präferenzen kombiniert (entscheidet »der gewählte Leiter« oder »die Mehrheit«?), und welche Strafen drohen bei Regelverstößen?

Wir können uns nun fragen, wie die Technik diese verschiedenen Elemente beeinflusst, und uns so einer Analyse ihrer Schlüssel- und Nebenwirkungen in der Gesellschaft nähern. Aus Platzgründen beschränke ich mich aber darauf, einige Beispiele für Technologien anzuführen, die Beteiligte, Kontrolle und Informationen beeinflussen.2
Die Beteiligten an einem Commons sind Akteure, die die entsprechenden Güter verwenden, daraus Nutzen ziehen und die manchmal auch verpflichtet sind, solche Güter selbst zur Verfügung zu stellen.3 Neue Transportmittel, wie die anfangs erwähnten Motorschlitten in Grönland, können neue Beteiligte ins Spiel bringen. Dies kann starke Nebenwirkungen auf das Gemeingut haben, da neue Beteiligte oft zu erhöhtem Ressourcenbedarf führen. Außerdem teilen die Hinzugekommenen möglicherweise nicht die Normen, die von den langjährigen Beteiligten für den Umgang mit den Commons entwickelt wurden.

Wer überhaupt an einem Commons teilnehmen kann, wird in starkem Maße von Techniken bestimmt, die dazu da sind, Menschen auszuschließen.4 Ein Blick in die Geschichtsbücher bestätigt, welche Rolle solche Ausschlusstechniken spielten: »Zwischen 1870 und 1880 berichteten die Zeitungen in dieser Region [den westlichen Prärien der USA – J.T.] mehr über das Setzen von Zäunen als über politische, militärische oder wirtschaftliche Themen« (Basella 1988). Das Wachstum der Stacheldrahtindustrie unterstreicht dies eindrucksvoll. Nachdem die kommerzielle Produktion von Stacheldraht im Jahr 1874 mit 5000 Kilogramm begonnen hatte, stieg sie auf 5300 Tonnen im Jahr 1875, 6000 Tonnen im Jahr 1877 und schließlich 40.000 Tonnen im Jahr 1880 (Basella 1988). Ausschlusstechniken wie Zäune, aber auch das Digitale Rechtemanagement*, werden zur Einzäunung des physikalischen oder virtuellen Raums verwendet. Solche Einhegungen können mitunter neue Commons entstehen lassen, wenn sie von den jeweiligen Commoners genutzt werden, um andere an der Zerstörung der jeweiligen Ressourcen zu hindern.

* Der Begriff »Digitales Rechtemanagement« (DRM) wird für jede Technik verwendet, die Verwendungsarten digitaler Inhalte verhindert, die den Wünschen des Inhalteanbieters widersprechen. Sony, Amazon, Apple, Microsoft, AOL, die BBC und andere verwenden DRM-Technologien. Im Jahr 1998 wurde in den USA der Digital Millennium Copyright Act (DMCA) erlassen, der die Umgehung von Verschlüsselungstechnologien zu einem Straftatbestand macht und damit DRM durchsetzen soll. Die Verwendung des Digitalen Rechtemanagements ist umstritten; daher wird es auch als »Digitales Restriktions-Management« bezeichnet (Anm. der Hg.).

Sie können aber auch Commons zerstören, wenn sie von Eliten eingesetzt werden, um sich ehemaligen Gemeinschaftsbesitz anzueignen. Oft gibt es Umgehungstechniken, die die Ausschlusstechniken wirkungslos machen können; so lassen sich Leitern und Drahtschneider gegen Zäune anwenden, und im Internet haben sich Programme zur Entschlüsselung kopiergeschützter DVDs verbreitet (Touretsky 2001). Als unbeabsichtigte Folge kommt es zu einem technischen Wettrüsten zwischen den Verfechtern von Ausschlusstechniken und jenen, die sie zu umgehen versuchen (vgl. Committee on Intellectual Property Rights 2000).

War früher noch menschliche Aufsicht erforderlich, um Ausschluss durchzusetzen, so ist dies heute mit Hilfe der Technik oft viel kostengünstiger möglich. So »beaufsichtigen« Stacheldraht und elektrische Zäune nicht nur den Zugang, sie »sanktionieren« auch gleich jede Übertretung, wobei sie das menschliche Eingreifen durch Automatisierung ersetzen. Die allgegenwärtigen »Kein Durchgang«Schilder mögen die Regel signalisieren – aber durchgesetzt wird sie mit Hilfe des Zauns.

Technologien beeinflussen auch die Verteilung der Kontrolle zwischen den Akteuren in einer spezifischen Situation. Beispielsweise werden die Bewegungsmöglichkeiten des menschlichen Körpers bei Werkzeugen wie Sägen oder Drehmaschinen durch Schnittführungen oder den mechanischen Aufbau beschränkt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts untersuchte Frederick Taylor solche Mikrostrukturen der Arbeitsorganisation und entwickelte davon ausgehend neue soziotechnische Prozesse, um menschliche Arbeit in der Industrieproduktion noch effizienter einzusetzen. Die neuen Technologien und Arbeitsplatzrichtlinien wurden mit dem Ziel entwickelt, ausgebildete Arbeiter zu ersetzen, um so die Arbeitskraft billiger zu machen und mehr Kontrolle aus der Fabrikhalle heraus an das Management zu übertragen (Braverman 1974). Studien über »ungelernte« Arbeiter in vielen Tätigkeitsbereichen zeigten jedoch, dass die Arbeiter aufgrund dieser Nebenwirkungen keineswegs zu bloßen Ausführenden im Sinne des Taylorismus geworden sind (Kusterer 1978). Durch ihre Erfahrungen und ihren Einfallsreichtum verbessern sie Produktionsabläufe und Qualität und sichern sich eine gewisse Autonomie, indem sie die vom Management festgelegten Vorschriften und technischen Abläufe umgehen. Genau wie im Beispiel von Brasilia weichen die idealisierten, technisch orientierten Visionen mächtiger Akteure von der Alltagsrealität der Menschen ab, da sie nicht zu den gesellschaftlichen Räumen passen, die sie strukturieren und kontrollieren sollen.

Technologien, die bei Wahlen eingesetzt werden – von Stimmzetteln aus Papier über Lochkarten bis zu optischen Scannern und graphischen Benutzeroberflächen – werden zunehmend als Faktor politischer Kontrolle erkannt, insbesondere nach dem umstrittenen Ergebnis der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl des Jahres 2000. »Wahlvorgänge sind inhärent fehleranfällig und waren historisch häufig Manipulationen und Betrug unterworfen. […] Wählen ist ein paradigmatisches Beispiel für ein durchgängiges Sicherheitsproblem, das mit einem breiten Spektrum an technischen und sozialen Problemen verbunden ist. Diese Probleme müssen systematisch angegangen werden – von der Registrierung der Wähler und dem Abgleich mit Wahllisten im Wahllokal, über die Abstimmung selbst bis hin zur Auszählung. Jede der heutigen Technologien hat Schwachstellen; keine ist unfehlbar« (Neumann 2004: 28).

Verschiedene Verfahren beeinflussen die Fehlerrate bei der Auszählung (vgl. Caltech/MIT Voting Technology Project 2001), die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Wahlprozesses sowie seine Transparenz und Überprüfbarkeit (Felten 2003). Bezüglich seiner Schlüsselwirkungen mag der Wechsel der in Wahlen eingesetzten Technologien von Stimmzetteln oder Lochkarten bis zu Wahlcomputern als relativ kleine prozedurale Veränderung erscheinen. Doch dabei wird eine Besonderheit von Computern übersehen: »Die Operationen des Computers sind die meiste Zeit und unter den meisten Umständen unsichtbar« (Moor 1985: 272). Die Kontroverse um computergestützte Wahlen bezieht sich unter anderem auf die Tatsache, dass die Unsichtbarkeit der Rechenoperationen in Verbindung mit rechtsverbindlichen Eigentumsrechten am Quellcode der Programme alle außer den Eigentümern und ihren Vertretern von der Überprüfung des Programmaufbaus ausschließt. Dadurch ist die Überprüfbarkeit dieser Systeme durch unparteiische Dritte prinzipiell ausgeschlossen (Massey 2004).

Die Unsichtbarkeit technischer Operationen beeinflusst auch den Zugang zu Informationen, und zwar nicht nur bei Computern. Wenn eine Technik zu Intransparenz führt, so dass beispielsweise der Ressourcenverbrauch anderer Teilnehmer nicht mehr überprüfbar ist, wird sie eventuell aufgegeben oder zerstört. Lansing nennt als bezeichnendes Beispiel die Bewässerung von Reisfeldern in Indonesien während der »Grünen Revolution« der 1970er-Jahre: »Diese Methode [das genau geplante Fluten der Reisfelder – J.T.] hängt von einem reibungslos funktionierenden gemeinsamen Wassermanagement ab, das mit einem System von Wasserteilern verwirklicht wird, deren Position proportional zur Aufteilung der Wassermenge ist und die damit auf den ersten Blick sichtbar machen, wie viel Wasser in jeden Kanal fließt und ob die Aufteilung mit dem vereinbarten Plan übereinstimmt. […] In einem Modernisierungsvorhaben sollten diese Wasserteiler durch sogenannte ›Romijn-Tore‹ ersetzt werden […]. Bei diesen Vorrichtungen kann die Menge an umgeleitetem Wasser nicht mehr bestimmt werden« (Lansing 2006: 8).

Obwohl die Regierung 55 Millionen Dollar in die Installation der Romijn-Tore investiert hatte, »wurde die neue Bewässerungstechnik, die auf Geheiß der Berater in den Wehren und Kanälen installiert worden war, von den Bauern sofort wieder herausgerissen, sobald ihnen dies gefahrlos möglich erschien« (ebd.: 7).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Technologien entwickelt werden, um bestimmte Ziele zu erreichen, und zwar häufig von einflussreichen gesellschaftlichen Akteuren, die die Macht haben, über den Einsatz von Ressourcen zu bestimmen. Diese Akteure bestimmen damit auch, wer in einem spezifischen Kontext beteiligt wird, wie die Kontrolle zwischen verschiedenen Teilnehmern aufgeteilt ist und welche Informationen verfügbar sind. Die Gestaltung bzw. Prägung der materiellen Umwelt bestimmt tatsächlich die gesellschaftliche Organisation – und das ist häufig sogar explizit beabsichtigt: Körperliche Tätigkeiten sollen geformt, bestimmte Muster von Mobilität und Kommunikation ermöglicht werden; es soll geteilt, verbunden, eingeschlossen oder umgangen werden. Und doch sind die betroffenen Personen solchen Entscheidungen nicht hilflos ausgeliefert, sie stehen den technisch bedingten Kontrollmechanismen nicht machtlos gegenüber. Aus der Komplexität der konkreten gesellschaftlichen Umstände und der aktiven Aneignung und Umgehung durch die Akteure ergeben sich weitreichende Wirkungen, die von den Planern häufig nicht beabsichtigt wurden.

Institutioneller und technologischer Wandel

Seit Max Weber (1895) haben Sozialwissenschaftler die Bedeutung von Regeln und regelähnlichen Mechanismen (oft »Institutionen« genannt) für die Ordnung des gesellschaftlichen Lebens betont. Oft wandeln sich diese mit der Zeit, um sich veränderten Bedingungen anzupassen. So erläutert der Wirtschaftswissenschaftler Douglass C. North in seiner Nobelpreisrede von 1993: »Die Interaktion zwischen Institutionen und Organisationen formt die institutionelle Entwicklung einer Wirtschaft im Lauf der Zeit. Wenn Institutionen die Regeln des Spiels sind, so sind die Organisationen und Unternehmer die Spieler.« Viele Sozialwissenschaftler (so auch North) haben jedoch die Bedeutung der Technik in ihrem Einfluss auf institutionelle und gesellschaftliche Entwicklung übersehen. Wir können also Norths Sportmetapher erweitern und davon sprechen, dass Technologien die Ausstattung des Spiels bilden. Menschen verändern nicht nur die Regeln, nach denen sie spielen, sondern auch die Ausstattung. Und solche Veränderungen in der Ausstattung verändern manchmal das Spiel selbst.

Technologien und die mit ihnen verbundenen Regelungen beeinflussen sich wechselseitig. Stabile Technologien lassen genug Zeit für die Entwicklung gesellschaftlicher Regelungen, die zu ihr, zu den sie nutzenden Menschen und dem konkreten Anwendungszusammenhang passen. Schlager beleuchtet in ihrer vergleichenden Studie von 33 Gruppen von Fischern auf der ganzen Welt (1995: 259): »Zweiundzwanzig Gruppen (67 Prozent) beschränken den Zugang zu ihren Fischgründen mit der verwendeten Fischfangtechnologie.« Sie fährt fort: »Beispielsweise haben die Kabeljau-Fischer von Fermeuse (Neufundland), ›ihre Fischgründe genau wie viele Fischergemeinschaften im Landesinneren so aufgeteilt, dass in bestimmten Gebieten (gewöhnlich den ertragreichsten) nur bestimmte Technologien zum Einsatz kommen dürfen‹« (ebd.: 262).

Doch mit technologischen Veränderungen, die nicht als natürlicher Prozess, sondern absichtlich erfolgen und durch politische Zielsetzungen ermöglicht werden, ergeben sich auch Veränderungen für die Anwendungssituationen der Technik: Neue Beteiligte kommen hinzu, zusätzliche Informationen werden verfügbar, die Ergebnisse verändern sich, Kosten und Nutzen werden anders verteilt. Die Akteure passen ihre Verhaltensweisen diesen Veränderungen an. Die angepassten Verhaltensweisen beeinflussen die weitere Entwicklung der Technik, ohne diese völlig festzulegen, und diese wiederum beeinflusst die Verhaltensweisen, ohne sie völlig festzulegen. Diese wechselseitige Beeinflussung kann sich unendlich fortsetzen.

Die Frage, ob Regeln oder die Steuerung von Verhaltensweisen politisch sind, wirkt merkwürdig. Wie könnten sie es nicht sein? Trotzdem kann die politische Natur der Technik leicht übersehen werden, ebenso ihr Einfluss auf die Commons, obwohl sie deren Elemente berührt: Beteiligte, Kontrolle und Informationen. Technologien müssen demnach bei der Schaffung und Pflege von Commons besondere Berücksichtigung finden, da sie sich rasch verändern und tiefgreifende Auswirkungen haben können. Ebenso wie die Regeln sind sie bewusster menschlicher Planung unterworfen. Sie sind daher ganz sicher politisch, aber ihre politische Wirkung ergibt sich nicht zwingend aus ihrer Gestaltung. Ebenso wenig wird sie nur durch mächtige gesellschaftliche Akteure bestimmt, die Kapitalflüsse steuern und bestimmte politische Ziele verfolgen. Mindestens genauso wichtig ist – gerade für die Zukunft der Commons –, ob sich Individuen und Gemeinschaften, die nicht zur Elite gehören, den politischen Vorgaben der Technik unterwerfen oder Widerstand gegen sie leisten; und ob sie sich Techniken aneignen, sie anpassen, verändern und den Umständen entsprechend einsetzen.

Jens, der eingangs erwähnte grönländische Jäger, ist nicht grundsätzlich technikfeindlich; er selbst benötigt Technik zum Jagen und zum Überleben. Doch genauso wenig nimmt er das Eindringen von Motorschlitten in den Inglefield Sound einfach hin, ein Commons, das er mit anderen teilt. Stattdessen engagiert er sich durch politische Einflussnahme dafür, Motorschlitten im Inglefield Sound verbieten zu lassen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Motorschlitten gut oder schlecht, demokratisch oder autoritär sind, oder ob sie überhaupt politisch sind. Die entscheidende Frage ist, wie Jens und seine Mitbürger in Grönland auf eine neue Technologie reagieren, die eines ihrer Commons beeinflusst. Dies kann eine technikvermittelte Reaktion sein (etwa Auspuffschalldämpfer), eine gesetzliche (etwa ein generelles Verbot), eine gesellschaftliche (etwa eine organisierte Bürgerwehr) oder eine Kombination von allem (etwa ein Gesetz, das die Verwendung von Schalldämpfern zu bestimmten Zeiten vorschreibt und das durch Staat und Bürger gleichermaßen überwacht wird). Welche Wahl sie treffen, ist von Natur aus politisch, ebenso wie die zukünftigen technologischen Entwicklungen und die neuen Richtlinien, die sich daraus ergeben.

Literatur

  • Basella, George (1988): The Evolution of Technology, Cambridge.
  • Braverman, Harry (1974): Labor and Monopoly Capital; the Degradation of Work in the Twentieth Century, New York.
  • Committee on Intellectual Property Rights, Computer Science und Telecommunications Board (2000): The Digital Dilemma: Intellectual Property in the Information Age, Washington.
  • Ehrlich, Gretel (2003): This Cold Heaven: Seven Seasons in Greenland, New York.
  • Eisenstein, Elisabeth L. (1983): The Printing Revolution in Early Modern Europe, Cambridge.
  • Felten, Edward W. (2003): »A Skeptical View of DRM and Fair Use«, in: Communications of the ACM, 46, 4, S. 56-59.
  • Friedman, Batya/Kahn Jr, Peter H. (2002): »Human Values, Ethics, and Design«, in: Human Factors and Ergonomics, S. 1177-1201.
  • Kusterer, Kenneth (1978): Know-How on the Job: The Important Working Knowledge of »Unskilled« Workers, Boulder.
  • Lansing, John Stephen (2006): Perfect Order: Recognizing Complexity in Bali, Princeton.
  • Litman, Jessica (2000): Digital Copyright: Protecting Intellectual Property on the Internet, New York.
  • Massey, Andrew (2004): »But We Have to Protect Our Source: How Electronic Voting Companies’ Proprietary Code Ruins Elections«, in: Hastings Communications and Entertainment Law Journal, 27, S. 233.
  • Moor, James H. (1985): »What is Computer Ethics«, in: Metaphilosophy 16, 4,
    S. 266-275.
  • Mumford, Lewis (1964): »Authoritarian and Democratic Technics«, in: Technology and Culture 5, 1, S. 1-8.
  • Neumann, Peter (2004): »Introduction to the Special Issue on the Problems and Potentials of Voting Systems«, in: Communications of the ACM 47, 10, S. 28-30.
  • North, Douglass C. (1993): Economic Performance through Time, Nobelpreisrede, online unter: http://nobelprize.org/nobel_prizes/economics/laureates/1993/ north-lecture.html (Zugriff am 11.08.2011).
  • Ostrom, Elinor (2005): Understanding Institutional Diversity, Princeton.
  • Schlager, Edella (1994): »Fishers’ Institutional Responses to Common-Pool Resource Dilemmas«, in: Ostrom, E./Gardner, R./Walker, J. (Hg.): Rules, Games, and Common-Pool Resources, Chicago, S. 247-266.
  • Sclove, Richard E. (1995): »Making Technology Democratic«, in: Brook, James/ Boal, Iain (Hg.): Resisting the Virtual Life: The Culture and Politics of Information, S. 85-101.
  • Scott, James C. (1998): Seeing Like a State: How Certain Schemes to Improve the Human Condition Have Failed, New Haven.
  • Tenenberg, Josh (2008): The Politics of Technology and the Governance of Commons. The 12th Biennial Conference of the International Association for the Study of Commons, Cheltenham, England.
  • The Caltech/MIT Voting Technology Project (2001): Residual Votes Attributable to Technology: An Assessment of the Reliability of Existing Voting Equipment, VTP Working Paper #2, online unter: http://www.vote.caltech.edu/drupal/ files/working_paper/vtp_wp2.pdf (Zugriff am 24.09.2011).
  • Touretzky, David S. (2001): »Viewpoint: Free Speech Rights for Programmers«, in: Communications of the ACM 44, 8, S. 23-25.
  • Weber, Max (1895): Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburger Antrittsvorlesung, Freiburg i.Br.
  • Winner, Langdon (1980): »›Do Artifacts Have Politics?‹«, in: Daedalus 109, 1, S. 121136.

  1. Die Begriffe »Technik« und »Technologie« werden heute meist synonym verwendet – und zwar im Sinne einer Methode, die eingesetzt wird, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Von Technologie ist hier die Rede, wenn die Gesamtheit bestimmter technischer Verfahren gemeint ist (Anm. der Hg.).
  2. Vgl. Tenenberg (2008) für eine genauere Diskussion aller genannten Elemente
  3. Mehrere Artikel in diesem Buch beschreiben anhand konkreter Beispiele das Verhältnis zwischen dem Management von Gemeinressourcen und der behutsamen Anwendung von Techniken; vgl. beispielsweise die Artikel von Papa Sow und Elina Marmer sowie von Gloria Gallardo und Eva Friman (Anm. der Hg.).
  4. Siehe dazu auch den Beitrag von Silke Helfrich ab S. 85 in diesem Buch (Anm. der Hg.).
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