Dirk Löhr – Das Scheitern der Bodenprivatisierung

Zum überfälligen Kurswechsel in der Entwicklungspolitik

Dirk Löhr

Die andere Globalisierung

Wird von »Globalisierung« gesprochen, wandern die Assoziationen unweigerlich zu den ausschweifenden und von der Realwirtschaft abgehobenen Finanzmärkten. Weniger im öffentlichen Bewusstsein ist jene Globalisierung, die sich über eine Vereinheitlichung bestimmter Institutionen über den gesamten Erdball vollzieht – ich spreche von der Institution des Privateigentums und den Strategien der Privatisierung. Treibende Kräfte dieser Entwicklung sind neben den »üblichen Verdächtigen« – IWF, Weltbank und WTO – durchaus auch die Träger der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit (EZ).
Für die Bodennutzung und die Bodenrechte sieht das folgendermaßen aus: Durch Formalisierung, Spezifizierung (Präzisierung von Teilrechten) und Individualisierung der Eigentumstitel sollen Landkonflikte gemindert, die Effizienz der (Land-)Märkte erhöht, Sicherheit hinsichtlich der Landrechte hergestellt und Zugang zu Krediten ermöglicht werden. Man unterstellt dabei eine Weiterentwicklung der Eigentumsrechte weg von nicht formalisierten oder gemeinschaftlichen Formen hin zu Privateigentum (Platteau 1996). Damit werden jedoch gleichsam andere Formen als das Privateigentum als »minderwertige Vorstufen« disqualifiziert.
Die Privatisierungsstrategie der nationalen und internationalen staatlichen EZ blieb nicht ohne Kritik. Allen voran die zu Umwelt- und Menschenrechtsfragen arbeitenden Nichtregierungsorganisationen wenden ein, dass Privateigentum an Grund und Boden de facto Ausschluss bedeute, der vor allem die ökonomisch und sozial Schwachen trifft. Verlust der Lebensgrundlagen, Zwangsvertreibungen und Zwangsumsiedlungen sind nur einige Diskussionspunkte. Ein besonderer Dorn im Auge ist diesen Akteuren der quasi totalitäre Geltungsanspruch, der kaum Raum für etwas anderes als Privateigentum vorsieht. Die vielfältigen Commons-Institutionen, die seit jeher die Sicherung des Zugangs zu Land regelten, geraten hier aus dem Blick und unter die Räder.
Die Kritik wird innerhalb der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit zwar zunehmend zur Kenntnis genommen. Sucht man jedoch im »Institutionenshop« nach konzeptionellen Alternativen, so wird man bislang kaum fündig.

Anatomie der Eigentumsrechte

Wieso diese Fixierung auf das Privateigentum? Aus juristischer Sicht gewähren Eigentumsrechte vor allem die Möglichkeit, andere Personen von der Einwirkung auf einen Gegenstand auszuschließen. Zudem kann man grundsätzlich mit Gegenständen im Eigentum machen, was man will. Dies unterlag jedoch bei Grund und Boden von jeher starken Einschränkungen durch das öffentliche Recht, etwa das Baurecht. Aus ökonomischer Perspektive kann Eigentum als ein Bündel von mehreren Teilrechten gesehen werden, welches das Recht auf Nutzung (usus), auf Fruchtziehung, also Nutznießung (usus fructus), auf Veränderung (abusus) und auf Veräußerung (ius abutendi) umfasst. Das Privatisierungsdogma wurde nun insbesondere von der aus den USA stammenden Property-Rights-Schule vorangetrieben (Demsetz 1967). Die Property-Rights-Theoretiker betonen, dass in erster Linie das Nutzungs- und das Fruchtziehungsrecht sowie das Veräußerungsrecht gekoppelt und abgesichert werden müssten. Nur so ließen sich denjenigen, welche die Kosten für die Investitionen aufbringen, auch die Erträge zuweisen (Feder/Feeny 1991). Investitionen in Anpflanzungen, Gebäude und Ähnliches würden stimuliert, und Übernutzungserscheinungen, wie sie Garrett Hardin mit seiner Tragedy of the Commons beschrieb, könnten vermieden werden. Abgesehen von der verwirrenden Fehletikettierung – Hardin beschrieb tatsächlich eine Tragödie des Open Access, dabei zeichnen sich Commons gerade durch eine Zugangsregulierung aus – klingt dies zunächst durchaus einleuchtend. Allerdings wird ein wichtiger Aspekt in der einschlägigen Literatur regelmäßig unterschlagen: Das Fruchtziehungs- und Veräußerungsrecht umfasst bei Grund und Boden eben nicht nur die Früchte aus den sogenannten »Improvements« wie Anpflanzungen oder Bebauung; der allergrößte Teil des Bodenwertes erklärt sich vielmehr aus Lagevorteilen, Vorteilen in der Bewirtschaftungsintensität oder auch Qualitätsvorteilen gegenüber Flächen, die gerade noch kostendeckend bewirtschaftet werden können. Ökonomen nennen das »Differentialrenten«. Oftmals sind diese Vorteile rein zufallsbedingt, in den meisten Fällen werden Bodenwerte jedoch von der Gemeinschaft geschaffen (beispielsweise durch Umplanungen oder Infrastrukturinvestitionen, die sich auf die Lage von Grundstücken auswirkt). Ein großer Teil der betreffenden Kosten – je nach Ort und Umstand in unterschiedlicher Höhe – wird ebenfalls von der Gemeinschaft getragen. Dazu gehören Planungs- und Infrastrukturkosten oder Verzichtskosten für alternative öffentliche und private Nutzungen. Im Gegensatz zu Nutzen- und Kostenverteilung bei den »Improvements« fallen also beim Privateigentum am eigentlichen Boden Nutzen und Kosten auseinander. Bodenrenten und Bodenwertzuwächse werden privatisiert, die damit zusammenhängenden Kosten weitgehend von der Gemeinschaft getragen. Das Auseinanderfallen von Nutzen und Kosten ist der Treiber für eine Vielzahl gravierender Fehlentwicklungen wie »Land Grabbing«1und »Rent Seeking«, nicht nur in Ländern der Dritten Welt (Löhr 2010).
Das bisher gezeichnete Bild ist allerdings unvollständig. In Entwicklungsländern findet man häufig einen Dualismus zwischen Privateigentum und staatlichem Eigentum vor. Hinsichtlich des staatlichen Eigentums ist sorgfältig zu unterscheiden: Auf der einen Seite soll der Zugang zu Schutzgebieten geregelt werden, bei denen es sich zum Teil um ehemalige Commons handelt, die im Zuge der Formalisierung des Landrechtes diesen Charakter verloren; allerdings besitzt der Staat oftmals nicht die Kapazität – mitunter auch nicht den Willen –, um den Zugang tatsächlich wirksam zu kontrollieren. Auf der anderen Seite handelt es sich um Konzessionen, die meist an Privatunternehmen zum Zwecke der wirtschaftlichen Ausbeutung vergeben werden. In Kambodscha zum Beispiel machen »Economic Land Concessions« auf sogenanntem »State Private Land« mittlerweile ca. 25 Prozent der Agrarflächen aus. Hinzu kommen großflächige anderweitige Ausbeutungskonzessionen. Obwohl formell Staatseigentum, tragen diese Konzessionen in ökonomischer Hinsicht nahezu sämtliche relevanten Merkmale von Privateigentum. Sogar das Abusus-Recht ist oftmals faktisch in privater Hand, wenn etwa Schutzgesetze für Wälder von den Inhabern der betreffenden Konzessionen ignoriert werden und der Staat dies toleriert. Im Unterschied zum Privateigentum werden die betreffenden Konzessionen nicht über den Marktpreis, sondern über den Staat zugewiesen – oftmals im Rahmen einer völlig intransparenten, manchmal politische Günstlinge bevorzugenden Vergabe. Abgesehen von den häufig fälligen Schmiergeldern müssen anders als bei Privateigentum keine Anschaffungskosten entrichtet werden; die Konzessionsgebühren sind oftmals lachhaft niedrig, der Privilegiencharakter ist offensichtlich.

Die Walze der »Privatisierung« rollt: Rent Seeking und State Capture

Institutionen, die die Privatisierung von Bodenrenten und Bodenwertzuwächsen auf Kosten der Gemeinschaft zulassen, verführen zu Rent Seeking. Der Staat wird vielerorts von Landspekulanten und Landgrabbern vereinnahmt, häufig sogar durch Vertreter dieser Gruppen verkörpert. Bedürftige werden ihrer Lebensgrundlagen beraubt, Gemeinressourcen werden »eingefriedet«, die Landkonzentration schreitet voran. Dieser Aneignungsmechanismus zugunsten der Elite wird, wenngleich nicht bewusst gefördert, doch entwicklungspolitisch toleriert. In der Bevölkerung findet dies indessen wenig Rückhalt. Die Agenda kann daher nur – auf Kosten der Gewaltenteilung – über eine gestärkte Exekutive und – auf Kosten der unteren Ebenen – über einen gestärkten Zentralstaat durchgesetzt werden. Die Entwicklungszusammenarbeit gebärdet sich an dieser Stelle schizophren, wenn sie einerseits Good Governance (eine gute Regierungsführung) fördert und fordert, andererseits jedoch Freibriefe für Rent Seeking (Privateigentum an Grund und Boden) institutionalisiert.
Sie versteht sich häufig als Exporteur »privater Landtitel« – also eines »Produkts«, das schon im mitteleuropäischen Kontext nicht richtig funktioniert. Ungenutzte und untergenutzte Grundstücke, Zersiedelung, systematische Schieflagen bei planerischen Abwägungen zugunsten einflussreicher Investoren und vieles mehr sind nur einige Punkte aus einer langen Liste von Fehlleistungen der westlichen Blaupause (Löhr 2010). Allerdings werden die Auswüchse in den westlichen Staaten durch eine weitgehend gefestigte Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit unterbunden. In den meisten Entwicklungsländern mit ihrer schwachen Governance ist das nicht der Fall.

One size fits all?

Formalisiertes Privateigentum an Grund und Boden ermöglicht – wie dargestellt – die private Aneignung von Bodenwert und Bodenrente. Oftmals wirkt dabei allein schon das Verfahren der Formalisierung diskriminierend: Die Elite kann mit der neuen Klaviatur gut umgehen, sie hat Zugang zu juristischer Beratung und Beziehungen zu den staatlichen Entscheidungsträgern. Hingegen weiß die – oftmals wenig oder gar nicht alphabetisierte – Landbevölkerung meist nicht, wie ihr geschieht, wenn plötzlich Landtitel geltend gemacht werden. Auch und gerade dort, wo Land als Commons begriffen und institutionalisiert, herkömmlicherweise aber nicht durch formalisiertes Recht geregelt wurde, unterstützt die staatliche Entwicklungszusammenarbeit die Zerschlagung der Commons. Weil ein Verständnis der Prozedur, finanzielle Mittel und politische Kontakte fehlen, haben die Betroffenen meist keine Möglichkeit, ihre oftmals sehr alten Ansprüche zu verteidigen. Nun basiert das Recht grundsätzlich auf gegenseitiger Anerkennung; ohne diese hat es keine Legitimation. Mangels allgemeiner Anerkennung des formalisierten, zum Verlust der Lebensgrundlagen der »Schwachen« führenden Rechts findet oft ein Aufeinanderprallen von Rechtssystemen statt: Das Recht der Gewinner (formalisiertes Recht) steht gegen das Recht der Verlierer (traditionelles Gewohnheitsrecht, über das auch Commons geregelt werden). Viele Staaten rutschen durch dieses Aufeinanderprallen in einen Zustand der – de facto – Anarchie, was in einen Zustand des – de facto – Open Access münden kann. Die Folge ist möglicherweise eine »Tragedy of the Anticommons« (Fitzpatrick 2006).2

Ökonomische und soziale Folgen

So verwundert es nicht, dass in vielen Fällen die Ergebnisse der Privatisierung hinter den Erwartungen zurückbleiben. Land wandert keinesfalls wie erwartet zum »besten Wirt«, sondern in die Hände von Spekulanten. Die Folge: Das Land bleibt oft ungenutzt. »Bestenfalls« wandert es in die Hände von Agribusiness-Unternehmen, also zu zahlungskräftigen Gruppen. Lebens- und Wirtschaftsformen mit geringer Zahlungsfähigkeit müssen weichen. Die Vielgestaltigkeit, die für einen gesunden sozialen und wirtschaftlichen Organismus essentiell ist, wird reduziert. Die Kapitulation traditioneller Wirtschafts- und Lebensformen geht häufig mit Migration in die Städte oder in periphere Regionen einher. Das Eindringen der Vertriebenen in die Peripherie bei Abwesenheit wirksamer Zugangskontrollen führt dann oft zu einer weiteren Degradierung natürlicher Ressourcen, die ehemals Commons-Charakter hatten. Ein beredtes Beispiel dafür ist die Provinz Pailin in Kambodscha, wo rund 50 Prozent des Urwaldes in den letzten Jahren vernichtet wurden. Die entstandenen landwirtschaftlichen Flächen werden zudem allmählich entwertet.
Soweit wirtschaftliche Konzessionen erteilt werden, geschieht das oft über den Zentralstaat. Die regionale oder lokale Ebene wird meistens nicht konsultiert. Nicht selten werden eigentlich vorgeschriebene Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen entweder gar nicht oder nur unzureichend durchgeführt. Die Konsequenz sind überlappende Landrechte, die zu Streitigkeiten führen. Die Konzessionäre versuchen in der Regel nicht, diese Streitigkeiten im Einvernehmen mit der betroffenen Bevölkerung zu lösen. Stattdessen wenden sie sich an den Zentralstaat, der ihnen die betreffende Konzession ja erteilt hat. Bisweilen werden dann derartige Landkonflikte über den Einsatz von Polizei oder Militär »bereinigt«. Die ihrer Lebensgrundlage beraubten Menschen reihen sich in den Strom der land-losen Migranten ein.

Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik

Angesichts des Desasters, das die Privatisierungsagenda in vielen Entwicklungsländern zurückgelassen hat, sind mittlerweile sogar dessen Befürworter spürbar zurückhaltend geworden. Allerdings ergeht man sich in Ad-hoc-Modifikationen
– wie der Forderung nach Einzelfallbetrachtung – des Privatisierungsparadigmas, ohne dass dieses bislang grundsätzlich in Frage gestellt wird. Aus meiner Sicht sind für einen solchen Paradigmenwechsel die folgenden Aspekte konstitutiv:

  • Eine neutrale Planung muss Raum für die Vielgestaltigkeit von Lebens- und Wirtschaftsformen gewährleisten. Dies betrifft auch und gerade Formen mit geringer Zahlungsfähigkeit, die für den sozialen Zusammenhalt und die ökologische Funktionsfähigkeit von unschätzbarer Bedeutung sein können. Ein Nebeneinander von formalisiertem Recht und Gewohnheitsrecht ist anzustreben. Dies kann beispielsweise über die Vergabe kollektiver Landtitel für Gemeinschaften unterstützt werden, in denen traditionelles Recht Anwendung findet. Rechtsbeziehungen zu Außenstehenden sollten allerdings über das formalisierte Recht abgewickelt werden.
  • Damit der Staat eine neutrale Planung gewährleisten und Raum für Formen jenseits der kapitalistischen Verwertungslogik bereitstellen kann, muss er möglichst frei von der Einflussnahme von Sonderinteressen sein. Die Verflechtung privater Sonderinteressen mit staatlichen Institutionen sollte kriminalisiert werden – was allerdings auch bei den westlichen »Vorbildern« meist nicht der Fall ist.
  • Kampf dem Rent Seeking bedeutet auch, dass Bodenrente und Bodenwertzuwächse so weit wie möglich zugunsten der Gemeinschaft abgeschöpft werden (Entkapitalisierung des Bodens). Dies kann durch eine intelligente Ausgestaltung des Leasing- oder Grundsteuersystems geschehen. Klar ist, dass diese Forderung in Ländern, deren politische Entscheidungsträger mit Großgrundbesitz und Bauunternehmern eng verbunden sind, nicht einfach durchzusetzen ist.
  • Ebenso sollte der Staat subsidiär ausgestaltet werden, und untere staatliche Ebenen müssten mehr Kompetenzen (zum Beispiel bei der Landverteilung) zugewiesen bekommen. Die Dezentralisierung der Macht ist freilich das Gegenteil dessen, was sich einige Staatslenker wünschen.

Um die dargestellte Agenda verfolgen zu können, muss die Entwicklungszusammenarbeit hart gegen den Wind segeln. Es ist an der Zeit, dafür den Kompass zu justieren.

Literatur

  • Demsetz, Harold (1967): »Toward a Theory of Property Rights«, in: The American Economic Review 57(2), S. 347-359.
  • Feder, Gershon/Feeny, David (1991): »Land Tenure and Property Rights: Theory and Implications for Development Policy«, in: The World Bank Economic Review 5(1), S. 135-153.
  • Fitzpatrick, Daniel (2006): »Evolution and Chaos in Property Rights Systems: The Third World Tragedy of Contested Access«, in: The Yale Law Journal 115, S. 9961048.
  • Löhr, Dirk (2010): »The Driving Forces of Land Conversion – Towards a Financial Framework for Better Land Use Policy«, in: Land Tenure Journal (FAO), Juni 2010, S. 61-89.
  • Platteau, Jean-Philippe (1996): »The Evolutionary Theory of Land Rights as Applied to Sub-Saharan Africa: A Critical Assessment«, in: Development and Change 27,
    S. 29-86.
  1. Vergleiche dazu auch den Beitrag von Liz Alden Wily in diesem Buch (Anm. der Hg.).
  2. Die Tragik der Anti-Allmende beschreibt Michael Heller in diesem Buch (Anm. der Hg.).
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