Ana de Ita – Die Zerstörung von Commons durch den Naturschutz

Ana de Ita

Es erscheint paradox: Während weltweit immer mehr unternommen wird, um Regionen mit hoher Artenvielfalt zu schützen, wächst bei indigenen Völkern und in vielen Gemeinden der Widerstand gegen die Einrichtung von Naturschutzgebieten.1 Allerdings steht manche Maßnahme der Naturschutzpolitik schlichtweg den Rechten der indigenen Völker entgegen. Dabei ist in vielen Regionen die biologische Vielfalt nur deshalb noch so groß, weil indigene Völker sie stets geschützt und gepflegt haben.
Die Hälfte des mexikanischen Landes zum Beispiel, etwa 106 Millionen Hektar, befindet sich heute im Besitz von »Ejidos«* und sogenannten Agrargemeinschaften (»Comunidades Agrarias«). Es ist die Heimat von Kleinbauern und indigenen Völkern. Obwohl der Naturschutzgedanke mit indigenen Konzepten durchaus in vielen Punkten übereinstimmt, sind viele Naturschutzgebiete inzwischen zur Bedrohung für die Autonomie und die Selbstbestimmung der bisherigen Besitzer geworden.

* Ein »Ejido« bezeichnet den gemeinsamen Grundbesitz an Wald- oder Weideland verbunden mit gemeinschaftlichen sowie individuellen Nutzungsrechten (Parzellen). Im kolonialen Lateinamerika wurden durch das Ejido die Rechts- und Schuldverhältnisse zwischen der spanischen Krone, den lokalen Stellvertretern und den Indigenen geregelt. Die mexikanische Verfassung von 1917 wertete mit Artikel 27 die Ejidos erheblich auf. Unter Staatspräsident Lázaro Cárdenas (1934-1940) wurden ca. 18 Millionen Hektar Land neu aufgeteilt und an Ejidatarios zur unbefristeten Nutzung übertragen (Anm. der Hg.).

Naturschutzgebiete werden auf der Grundlage gesetzlicher Verordnungen, die auf allen Regierungsebenen erlassen werden können, eingerichtet. Sie sind von öffentlichem Interesse, was nach Artikel 27 Absatz VI der mexikanischen Verfassung auch Enteignungen nach sich ziehen kann. In den Schutzgebieten werden die Rechte der Besitzerinnen und Besitzer des Landes den gesetzlichen Bestimmungen für das Schutzgebiet, dem Verwaltungsplan sowie der Raumordnung untergeordnet. Zudem genießen die Besitzerinnen und Besitzer, die von der Nutzung dieser Flächen abhängen, keinerlei Privileg gegenüber anderen sozialen Gruppen, weil sie lediglich als eine von mehreren Interessengruppen angesehen werden. Sie haben kein Vetorecht und selbst das Recht auf vorherige informierte Zustimmung für die Angelegenheiten, die ihre Territorien betreffen, ist nicht gewährleistet. Und als sei dies nicht genug, hat in den Naturschutzgebieten nicht einmal der Naturschutz Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Eingriffe, die die Umwelt stark belasten, wie die Förderung von Erdöl oder der Abbau von Mineralien sind ebenso wenig untersagt wie die Ausbeutung von Wasservorkommen oder anderer Ressourcen durch Marktteilnehmer. Es wird lediglich gefordert, dass diese Aktivitäten »das ökologische Gleichgewicht nicht stören«.

Staatliche Behörden und internationale Naturschutzorganisationen wie Conservation International, der World Wildlife Fund oder The Nature Conservancy und selbst Privatunternehmen wie Coca Cola, Bierproduzenten, Hotels und viele andere entziehen damit den Vollversammlungen der Ejidos und den Mitgliedern der Agrargemeinschaften die Kontrolle und Entscheidungsmacht über das Territorium und die Ressourcennutzung, weswegen es bei der Einrichtung von Schutzgebieten zunehmend zu sozialen Konflikten kommt.

Bis 2010 verwaltete die Nationale Kommission für Naturschutzgebiete CONANP (Comisión Nacional de Áreas Naturales Protegidas) 174 Schutzgebiete auf einer Fläche von 25,4 Millionen Hektar. Laut einer Studie der Weltbank liegen 95 Prozent dieser Gebiete auf von Ejidos oder Agrargemeinschaften genutzten Territorien. Mindestens 71 Naturschutzgebiete befinden sich auf dem Land von 36 indigenen Völkern. Mindestens 60 der insgesamt 152 für den Naturschutz als vorrangig erachteten Regionen mit einer Gesamtfläche von 51,6 Millionen Hektar überschneiden sich mit indigenen Territorien.
Ende der 1980er-Jahre leisteten die »Ejidos« und Agrargemeinschaften gegen die Bestrebungen der Regierung, weitere Naturschutzgebiete einzurichten, zunehmend Widerstand, weshalb ihnen die Ausweisung sogenannter freiwilliger Schutzzonen vorgeschlagen wurde. In 15 der 31 Bundesstaaten gibt es inzwischen 177 freiwillige Schutzgebiete auf einer Fläche von insgesamt 208.000 Hektar. Mindestens neun indigene Völker sind an diesen Schutzgebieten beteiligt. Die Mehrzahl dieser freiwilligen Schutzgebiete (79) befindet sich im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca. Im Jahr 2008 wurde dann das Allgemeine Gesetz zum Ökologischen Gleichgewicht und Schutz der Umwelt LGEEPA (Ley General del Equilibrio Ecológico y Protección al Ambiente) geändert. Das Bundesgesetz wies nun die freiwilligen Schutzgebiete als zusätzliche Unterkategorie der Naturschutzgebiete aus und erklärte sie entsprechend zu Gebieten im öffentlichen Interesse unter der Zuständigkeit der Bundesbehörden. Was in den Naturschutzgebieten erlaubt war, wurde nun auch in den freiwilligen Schutzzonen durchgesetzt – etwa der Zugriff externer Akteure, denen so Entscheidungsgewalt über die Gemeinressourcen gewährt wird.

Es entbrannten heftige Konflikte zwischen den Gemeinden und der CONANP, denn nun standen sich in den Regionen zwei Naturschutzmodelle und zwei Governance-Modelle gegenüber. Einerseits ein Naturschutz, der von den Gemeinschaften selbst getragen wird und dessen Regularien in Vollversammlungen beschlossen werden, die auf dem Konsensprinzip beruhen; andererseits ein Naturschutz, der von außen durchgesetzt wird, in dem Bestreben, die Kontrolle über die das Territorium betreffenden Entscheidungen zu gewinnen.

Als die Gemeinschaften daraufhin versuchten, die von ihnen getroffenen Vereinbarungen zu den freiwilligen Schutzgebieten aufzukündigen, stellten sie fest, dass die vertraglich vereinbarten Laufzeiten verbindlich sind und sie entweder auf das Auslaufen der Verträge warten oder eine Studie finanzieren mussten, die ihre Ablehnung rechtfertigte.
Vertreterinnen und Vertreter verschiedener indigener Völker der Kuna, Kichwa, Kayampi, Q’eqchi aus Livingstone, Bene Gulash und der Nu Savi haben 2010 im Vorfeld der 10. Gipfelkonferenz der UN-Konvention zur Biologischen Vielfalt im japanischen Nagoya und der 16. UN-Klimakonferenz im mexikanischen Cancún die sogenannte »Erklärung von Heredia« veröffentlicht. Darin fordern sie, Naturschutzgebiete nicht mehr in indigenen Territorien einzurichten, die bereits existierenden Schutzgebiete aufzuheben und die entsprechenden Ländereien an die vertriebenen Gemeinden und Völker zurückgegeben: »Keine Regierung und keine Umweltpolitik kann über unseren Rechten auf das Territorium stehen, so wie sie in der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation und in der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der Indigenen Völker verbrieft sind.«
Doch in der Realität scheint die Einrichtung von Naturschutzgebieten zu einem neuen Instrument der Kolonialisierung zu werden, das anscheinend auf der Annahme beruht, indigene und gemeinschaftlich genutzte Territorien lägen brach und seien menschenleer.

Der Beitrag beruht auf einem Artikel der Autorin, der am 15. Januar 2011 unter dem Titel »Ley de baldíos: áreas naturales protegidas en territorio indígena« in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada erschien.

Literatur

  • Allgemeines Gesetz zum Ökologischen Gleichgewicht und Schutz der Umwelt LGEEPA, Art. 59, geändert im Mai 2008.
  • Erklärung von Heredia (2010): Erklärung zur Verteidigung der Mutter Erde und gegen die Umweltpolitik, Heredia, Costa Rica, 24. September 2010.
  • Weltbank (2001): Diagnósticos sociales y planes de desarrollo de pueblos indígenas en las ANP, Mexiko.
  1. Die Áreas Naturales Protegidas (ANP) werden hier durchgängig als Naturschutzgebiete bezeichnet. Sie entsprechen den hiesigen Naturparkkonzepten (Anm. der Hg.).
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