Adriana Sanchez und Silke Helfrich
Helfrich: Adriana, kannst du dich vorstellen?
Sanchez: Ich heiße Adriana Sanchez und komme aus einer sehr schönen Gegend im Süden Costa Ricas, die allmählich von der expandierenden Agrarindustrie, vor allem die United Fruit Company, zerstört wird. Ich habe Sprachen und Literatur studiert und arbeite heute in einer selbstverwalteten Kooperative. Wir haben uns auf die Verknüpfung von Wissen, Technik und Gesellschaft spezialisiert und unterstützen Unternehmen der Solidarökonomie. Unsere Kooperative nennt sich Sula Batsu. Das kommt aus der Sprache der Bribri und bedeutet so viel wie »Kreativer Geist«. Ehrenamtlich unterstütze ich die Freie Kulturszene Costa Ricas. Sie versteht sich als Gemeinschaft und bringt Künstler und Entwickler Freier Software mit Bauern und anderen Menschen zusammen, die davon überzeugt sind, dass Wissen geteilt werden muss.
Helfrich: Bauern und Programmierer arbeiten also zusammen?
Sanchez: Ja, alle Menschen eines sozialen Gebildes, egal ob das ein Land, eine Kommune oder eine Arbeitsgruppe ist, teilen gewisse Interessen und ein soziokulturelles Erbe. Die Gemeinschaft für Freie Kultur von Costa Rica möchte einen Raum für Diskussionen öffnen, in dem Menschen aus verschiedenen Bereichen diskutieren und reflektieren können; ein Raum, in dem sie neue Formen entwickeln, Inhalte und lokales Wissen zu schützen, und in dem sie letztlich auch Schöpfer von Kultur sind. Hier entstehen Bündnisse, die für viele oft ganz neu und unerwartet sind, doch gerade dies ist der eigentliche Grund unserer Arbeit: Ein Software-Programmierer ist genau wie ein Bauer Träger von Wissen und Kultur, das der Allgemeinheit nützt. Daher haben sie nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die sozialen Umbrüche zu reflektieren, die mit ihrem Handeln einhergehen.
Helfrich: Was haben Software und Saatgut gemein?
Sanchez: Das Saatgut ist der Keim des Lebens. Aus ihm erzeugt man Nahrung, Kleidung und Obdach – in einem Wort: Wohlergehen. Es ist aber auch ein kleines Behältnis vergangener Zeitalter, denn es enthält viel Wissen und Geschichte. Der Vergleich zwischen Software und Saatgut hat mir schon immer gefallen. Er hilft uns, das Prinzip der Freiheit besser zu verstehen. Wenn wir den Zugang zu Wissen begrenzen – unabhängig davon, ob es sich nun um das Wissen zur Bewirtschaftung von Land handelt oder um das Wissen, das wir zum Umgang mit Software-Programmen brauchen –, dann schränken wir auch die Leistungsfähigkeit all dessen ein, was daraus entsteht: Wenn ein Unternehmen Saatgut so manipuliert, dass dem Saatgut genetische Informationen entzogen werden, um die freie Reproduktion nach der Ernte zu verhindern (und es zudem zu patentieren), dann ist das eine Manipulation und Einschränkung des Lebens selbst.1 Wenn der Quellcode der Software unzugänglich bleibt, dann wird verhindert, dass andere kreative Menschen mit ihrem Wissen zur Verbesserung der Software und zur Anpassung an ihre Bedürfnisse beitragen. Aber alle sollten das tun können.
Helfrich: Warum wollt ihr, dass jeder Software-Programme verbessert?
Sanchez: Weil es die Lebensqualität verbessert. Es gibt da ein allgegenwärtiges Beispiel: das Internet. Während der ersten Jahre seiner Entwicklung mussten alle, die die digitalen Werkzeuge (Webseiten, Anwendungen, Datenbanken) nutzen wollten, exzellente Kenntnisse im Umgang mit Software haben. Doch seit circa zehn Jahren können die Werkzeuge, die wir im Internet finden, von den meisten Menschen genutzt werden, einschließlich jener, die weder lesen noch schreiben können. Der Zugang zu benutzerfreundlichen Technologien, die Menschen auf der ganzen Welt auch wirklich nutzen, verbessert täglich deren Lebensqualität. Stellen wir uns eine Frau vor, eine alleinerziehende Mutter aus einer ländlichen Gegend irgendwo in einem sogenannten Entwicklungsland: Dienstleistungen gibt es in solchen Ländern oft nur in den Städten. Die Frau ist also für einen Behördengang stunden- oder tagelang unterwegs. Stellen wir uns nun eine ländliche Gegend mit Internetanschluss vor. Sie kann jetzt ihre Angelegenheiten über die Websites der Behörden regeln, ohne ihre Kinder alleinlassen zu müssen, Arbeitsstunden oder ganze Tage zu verlieren. Für mich ist das eine Verbesserung der Lebensqualität. Und jetzt stellen wir uns vor, dass in dieser ländlichen Gegend Freie Software benutzt wird, die für die Allgemeinheit unterstützt und gepflegt wird – also kein Internetzentrum oder Internetcafé im traditionellen Sinne, sondern ein Zentrum, wo das Wissen zwischen den Menschen nicht nur geteilt, sondern auch gemacht wird. Wo das generierte Wissen auf den konkreten Erfahrungen und Bedürfnissen der Menschen vor Ort basiert. So entwickelt sich Freie Software. Wenn es gelingt, diese Form der kollektiven Entwicklung auf andere Gebiete zu übertragen, dann wird etwas geschaffen, das kein proprietäres Instrument jemals wird leisten können: Es entsteht Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit; es entsteht das Wissen, etwas gemeinsam verbessern zu können – zum Nutzen aller; und es entsteht Unabhängigkeit vom »Angebot des Marktes«. Es geht also um Selbstbestimmung. Deswegen muss der Softwarecode frei sein. Und deswegen sollte Freie Software in allen öffentlichen Einrichtungen genutzt und gefördert werden, und der Staat sollte die Initiativen zur allgemeinen Verbreitung dieser IT-Leistungen unterstützen: aus Gründen der Sicherheit, der vielseitigen Einsetzbarkeit und vor allem wegen des Potentials, das diese Werkzeuge bieten, um das Lernen, die Entfaltung vorhandener Fähigkeiten und die Kooperation anzuregen.
Helfrich: Wie werden diese Ideen in die Breite getragen. Was sagen zum Beispiel die Bäuerinnen und Bauern im Süden Costa Ricas dazu?
Sanchez: Im Grunde ist die Förderung Freier Software in den Gemeinden einfacher, als wir dachten, da viele der Menschen, mit denen wir arbeiten, gar keine anderen Betriebssysteme kennen. Außerdem ist die Fortbildung unter der Verwendung von Freier Software viel mehr als eine rein fachliche und technische Fortbildung. Sie hat eine erhebliche soziale Wirkung, und das verstehen die Leute gut. Wenn man auf einem Bauernhof arbeitet, geht es ja nicht nur ums Säen: Man muss den Lagerbestand kontrollieren, Buch führen und Termine planen oder Daten von Kunden und Lieferanten aufnehmen. In diesem Sinne gehen Landwirtschaft und Software Hand in Hand, und jemand, der das Feld bestellt, versteht sehr schnell, dass es sich auszahlt, wenn er selbst oder die Gemeinschaft ihr Saatgut und ihre Software kontrollieren und nicht Dritte. Ich weiß aus Erfahrung, dass ein Fortbildungsprozess, der strategisch begleitet wird, einen wesentlichen Umbruch im Leben eines Menschen und seiner Familie mit sich bringen kann. Hier mit Werkzeugen zu arbeiten, die unsere Nutzungsmöglichkeiten nicht einschränken, die kostenlos sind und auch auf alten Computern schnell und effektiv laufen – wie das auf dem Land häufig der Fall ist –, ist immer eine sehr attraktive Möglichkeit.
Helfrich: Was trägt die Idee der Commons zu eurer Arbeit bei?
Sanchez: Wissen wird derzeit »in Ghettos« diskutiert und generiert, und in diesen Ghettos werden die Kenntnisse der anderen kaum genutzt. Die Spezialisierung ist so weitgehend, dass das Wissen am Ende für den Alltag nicht mehr fruchtbar gemacht werden kann. Zudem fördern die Gesetze zum sogenannten »Geistigen Eigentum«, dass das Wissen eingeschlossen wird. Wenn wir nun von der Perspektive der Commons ausgehen und zunächst mal den freien Zugang zu Wissen respektieren und fördern, damit alle Leute teilen können, was sie wissen, dann »horizontalisieren« sich die Verhältnisse, das heißt: Das Wissen um die Landwirtschaft ist genauso wichtig wie das Wissen um die Entwicklung von Software. Beide sind nützlich für das Leben der meisten anderen Menschen. Wenn wir uns ermächtigen, indem wir dem, was wir wissen, mehr Wert geben, können wir bewusster mit unseren Ressourcen und mit unseren Rechten umgehen. Und ein wirklich wichtiges Recht ist das Recht, unser Wissen zu teilen, denn das verbessert unseren Lebensstandard.
Helfrich: Ein Beispiel, bitte!
Sanchez: Oft, vor allem in den Ländern des Nordens, wird das lokale Wissen als etwas Punktuelles und Ländliches begriffen; als das Wissen der armen Leute. Doch lokales Wissen ist etwas anderes: Es ist jenes Wissen, dass an einem Ort entsteht. Dieser Ort kann mein Büro sein, meine Schule, mein Hof oder mein Hacker-Space. Die Personen dieses Ortes erschaffen kontinuierlich etwas Neues aus dem, was uns hinterlassen wurde. Sie transformieren dieses Neue in viele Werkzeuge, mit denen wir unsere Lebensqualität verbessern können. In der nördlichen Region Costa Ricas gibt es zum Beispiel ein paar Leute, die im Biolandbau arbeiten. Sie haben ein Projekt zum Schutz des einheimischen Saatguts (»semillas criollas«) ins Leben gerufen. Seit 2008 verkaufen sie eigene Produkte wie Kekse und Mehl. Es wird in selbst entworfenen Solaröfen gebacken, um jene Energie zu nutzen, die normalerweise verschwendet wird. Die Gruppe möchte die Baupläne der Öfen offenlegen und teilen, so dass die Öfen auch in anderen Regionen des Landes gebaut und genutzt werden können – zum Vorteil der dortigen Bewohner. Freie Lizenzen wie jene, die die FreieSoftware-Community nutzt,2 schienen ihnen eine gute Option, denn sie erlauben es, Wissen frei zu machen, und schützen zugleich vor der Einverleibung dieses freien Wissens durch große Firmen, die lokales Wissen aufsaugen (und im Eigeninteresse patentieren). Zwar wurden Lizenzen wie jene von Creative Commons3 ursprünglich für digitale Inhalte konzipiert, doch sie funktionieren auch für Offline-Prozesse. Sie tragen dazu bei, dass das, was uns schon immer gehörte, auch unseres bleibt.
- Adriana Sanchez bezieht sich unter anderem auf eine saatgutsterilisierende Technologie, die von Monsanto patentiert wurde. Die international agierende ETC Group hat genetische Manipulation zur Verhinderung der Keimfähigkeit des Saatguts als »Terminator-Technologie« bezeichnet. Unter diesem Namen wurde die Methode bekannt. Sie bedeutet letztlich, dass Saatgut kein Leben mehr spendet, nicht mehr von der Ernte einbehalten und wieder neu ausgebracht werden kann, sondern immer nachgekauft werden muss (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe dazu auch den folgenden Beitrag von Christian Siefkes (Anm. der Hg.). ↩
- Siehe den Beitrag von Mike Linksvayer zu Creative Commons in diesem Buch (Anm. der Hg.). ↩